Ab November könnte die Hälfte der freiberuflichen Hebammen wegfallen
Die Gesundheitsministerien der Länder haben den Bund in einem Brief vor den geplanten neuen Arbeitsbedingungen für Hebammen gewarnt. Der Brief, der der ZEIT vorliegt, ist an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) adressiert und kritisiert die Entscheidung einer Schiedsstelle über den neuen Hebammenhilfevertrag. Zuerst hatte die Bild-Zeitung darüber berichtet.
Der Hebammenhilfevertrag (PDF) soll ab November bundesweit gelten und die Vergütung von Geburten verändern, die
freiberufliche Hebammen im Krankenhaus begleiten. Diese sogenannten Beleghebammen sollen zwar einen höheren Stundenlohn und Zuschläge erhalten, jedoch insgesamt weniger Vergütung, wenn sie mehrere Versicherte gleichzeitig betreuen – was jedoch im Klinikalltag laut Hebammenverband (DHV) die Regel ist.
Hälfte der Beleghebammen könnte wegbrechen
Der DHV spricht von Einbußen von bis zu 35 Prozent für 19.000 freiberuflich tätige Geburtshelferinnen und -helfer. In einer Umfrage des Verbandes (PDF) gaben 93 Prozent der befragten Belegteams an, dass sich der neue Vertrag in Zukunft "sehr negativ auf ihre Arbeit" auswirken werde. Rund die Hälfte plant innerhalb der nächsten sechs Monate aus der Geburtshilfe auszusteigen – fast alle wählten als Grund dafür aus, dass die Neuregelung "wirtschaftlich nicht tragbar" sei.
Deutschlandweit werden rund 20 Prozent aller Geburten von Beleghebammen begleitet, es gibt jedoch regional starke Unterschiede. In Bayern werden etwa 80 Prozent aller Geburten von freien Hebammen betreut.
Auch die Gesundheitsminister und -ministerinnen der Länder sind alarmiert. Die Entscheidung könnte die wirtschaftliche Situation der Beleghebammen beeinträchtigen, heißt es in dem Brief von Anfang Juli. Die Länder befürchten demnach, dass sich mit Inkrafttreten des Vertrags zahlreiche Hebammen "aus der stationären Versorgung zurückziehen" werden. Dies könne sich "gravierend" auf die Versorgung von Frauen und Kindern in der Geburtshilfe auswirken.
Gesundheitsminister: Entscheidung der Schiedsstelle veröffentlichen
Die Gesundheitsministerkonferenz fordert daher, dass die Entscheidung der Schiedsstelle im Detail veröffentlicht werden solle, damit die "Vertragspartner ihre Rechte wahrnehmen und die Schiedsstelleneinscheidung ggf. auch einer gerichtlichen Klärung zuführen können", heißt es im Brief. Die Schiedsstelle war nach gescheiterten Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Berufsverbänden angerufen worden.
Das Bundesgesundheitsministerium schrieb dazu auf Anfrage der ZEIT, dass das Ministerium einzig die "Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Amtsführung" der Schiedsstelle prüfen könne, nicht aber die getroffene Entscheidung selbst. Jedoch soll spätestens mit Inkrafttreten des neuen Hebammenhilfevertrags eine Arbeitsgruppe gebildet werden. Diese soll einerseits "FAQs und Hinweise zur Umsetzung der neuen Vergütungsstruktur" erarbeiten und zum anderen das neue System evaluieren und "erforderlichenfalls unverzüglich Verhandlungen zu dessen Weiterentwicklung aufnehmen". Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), an die der Brief adressiert war, äußerte sich nicht.
Der Berufsverband fordert jetzt schon ein "Nachjustieren auf politischer Ebene". DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer sagte laut Mitteilung: "Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen argumentiert, er wolle die 1:1-Betreuung fördern, gefährdet aber gleichzeitig dasjenige klinische Versorgungsmodell, in dem deutlich mehr 1:1-Betreuung stattfindet als in anderen klinischen Settings." Im Gegensatz zu fest angestellten Hebammen erbringen Beleghebammen laut DHV 15-mal häufiger (PDF) 1:1-Leistungen. Grundsätzlich sei eine solche direkte Versorgung wünschenswert, jedoch nicht zulasten der Beleghebammen, schreibt der DHV (PDF).
Neue Regelung sieht nur teilweise Abrechnung von Leistung vor
Bisher darf eine Beleghebamme, die ein bis zwei Frauen gleichzeitig betreut, ihre Leistungen jeweils zu 100 Prozent in Rechnung stellen. In Notfällen ist die Betreuung einer dritten Frau ebenfalls möglich und abrechenbar.
Mit dem neuen Vertrag darf eine Hebamme ihre Leistung für die erste betreute Frau grundsätzlich nur noch zu 80 Prozent in Leistung stellen. Wenn eine 1:1-Betreuung stattfindet, erhält sie einen Zuschlag (PDF). Diesen kann sie jedoch nur zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt geltend machen. In vielen Situationen fällt er weg, weil Geburten schwer planbar und kaum zu koordinieren sind und viel Flexibilität erfordern (PDF). Wenn eine Hebamme also doch zwischenzeitlich eine zweite oder sogar dritte Frau betreuen muss – auch wenn es nur am Rand der Frist ist – fällt der Zuschlag weg. Zudem dürfen alle erbrachten Leistungen für jede weitere Frau nur noch zu 30 Prozent abgerechnet werden.
Der Berufsverband fordert konkret, dass weiterhin hundert Prozent des Stundensatzes abgerechnet werden dürfen und die Vergütung aller Hebammen mindestens an die Grundlohnentwicklung angepasst werden soll. Bislang bestehe eine Lücke von 12,4 Prozent, teilte der Verband mit.