Aufklärung abschalten?
Der Anspruch war riesig – und er sollte nicht aufgegeben werden. Seit gut einem Jahr ist der "Bundes-Klinik-Atlas" online. Mit ihm wollte der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Fragen beantworten, mit denen sich viele alleingelassen fühlen: In welches Krankenhaus soll ich gehen? Mit welchen Operationen haben die Ärzte viel Erfahrung? Wo häufen sich Komplikationen? Reicht das Personal aus? Das staatliche Vergleichsportal sollte für Transparenz und damit Qualität sorgen.
Nun scheint Lauterbachs Nachfolgerin Nina Warken (CDU) das Aus vorzubereiten, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nachgehakt im Gesundheitsministerium: Man prüfe "die verschiedenen Optionen", heißt es. Wie diese Prüfung ausgeht, lässt sich erahnen. Der Atlas war nie ein Liebling der Union.
Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es aber fatal, wenn er offline ginge. Denn wer in Deutschland ins Krankenhaus muss, kann längst nicht sicher sein, auch überall gut versorgt zu werden. Viel zu oft führen Kliniken Behandlungen durch, für die es ihnen an Ausstattung und Erfahrung fehlt. Die Krankenhausreform soll das ändern. Ob es wirklich gelingt, bleibt unsicher. Umso wichtiger ist es, sich vor einem geplanten Eingriff zu informieren. Und zwar unabhängig. Ohne Werbeversprechen von lächelnden Ärztinnen oder Ein-Sterne-Bewertungen von Patienten, denen das Essen nicht geschmeckt hat.
Allerdings eignet sich der Bundes-Klinik-Atlas dafür bislang nur mäßig. Schon der Start verlief holprig, Daten waren nicht auf dem neusten Stand, noch immer mangelt es für zu viele Behandlungen an Informationen. Und die Verständlichkeit? Geht so. Kein Wunder, dass nur wenige die Seite nutzen.
Sie deswegen abzuschalten, wäre jedoch absurd. Die berechtigte Kritik ist ein Argument für die Weiterentwicklung, für mehr Verständlichkeit, mehr Service, mehr Informationen. Schließlich ist das Grundprinzip richtig: ein offizieller Überblick über die Versorgungsqualität der Krankenhäuser – basierend auf einheitlichen, verpflichtend erhobenen Angaben.
Wenn die Gesundheitsministerin betont, "Doppelstrukturen" seien nicht effizient, unterschlägt sie: Kein anderes Angebot ist völlig neutral. Eines der größten und bekanntesten etwa, das Deutsche Krankenhausverzeichnis, kommt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, einer Lobby-Organisation der Kliniken.
Das Problem ist nicht der Atlas. Es ist der fehlende Wille, für Transparenz zu sorgen. Denn die stört ein Geschäftsmodell, das auf dem diffusen Glauben von Menschen beruht, in "ihrem" Krankenhaus schon irgendwie gut aufgehoben zu sein. An unabhängig informierten Patienten hat die Branche kein Interesse, das ist klar. Dass auch die Gesundheitsministerin keines zeigt, ist unverständlich.
Denn ein Bundes-Klinik-Atlas, der diesen Namen auch verdient, könnte im besten Fall zu einer Art Krankenhausreform von unten führen: Würde jede und jeder sofort erkennen, welches Haus schlampige Arbeit macht, müssten die schlechten Abteilungen langfristig schließen, und die guten könnten ausgebaut werden – weil aufgeklärte Patienten mit den Füßen abstimmen. Es würde etwas entstehen, das Unionspolitiker doch immer zu lieben behaupten: Wettbewerb!