Leider keine Einzelfälle

"Warum hatten wir noch nie Sex?" Mit einer solchen Frage vom Chef müssen Ärztinnen in deutschen Krankenhäusern offenbar rechnen. Es kann auch um die Farbe der Intimbehaarung gehen. Für eine Ärztin mit Migrationshintergrund kann die Beförderung ausbleiben, weil die "sicher bald viele Kinder bekomme".

Dies sind nur einige Beispiele für sexistische oder rassistische Kommentare, die eine Umfrage des Marburger Bundes unter knapp 500 Hamburger Ärzten und Ärztinnen zutage gefördert hat: 81 Prozent der Teilnehmer sind bereits mit solchen oder ähnlichen entwürdigenden Äußerungen konfrontiert worden. Unter Frauen sind es 86 Prozent.

Konsequenzen hat das in den seltensten Fällen. Denn im deutschen Klinikalltag entscheidet in der Regel ein kleiner Zirkel mächtiger männlicher Chefs weitgehend unbeobachtet über Dienstpläne, Forschungsvorhaben und Beförderungen. Wer sich beschwert, riskiert seine Karriere. 87 Prozent der Befragten Ärztinnen und Ärzte gaben an, in ihrer Laufbahn Machtmissbrauch erlebt oder beobachtet zu haben, die meisten von ihnen mehrfach. Gleichzeitig fürchtet mehr als jede Zweite negative Konsequenzen, wenn sie Missstände anspricht oder Übergriffigkeiten kritisiert.

Die Folgen sind bekannt: Diskriminierung, Intransparenz, Abhängigkeit, ein Klima der Angst. Neu ist der Versuch, das Problem in Zahlen zu fassen und offen darüber zu sprechen. "Hat die Medizin ein Führungsproblem?" lautete der Titel der Podiumsdiskussion, bei der die Umfrage am Montagabend in Hamburg vorgestellt wurde. Ja, sie hat eins. Gut, dass dafür nun mehr Öffentlichkeit geschaffen wird.

Die Auswertung zeigt, dass es sich nicht – wie oft behauptet – um Einzelfälle handelt, sondern um einen Fehler im System: Kaum ein Berufsfeld baut so sehr auf Hierarchien wie die Medizin. Wer sich nach dem Studium zum Facharzt weiterbilden möchte, ist für mindestens ein halbes Jahrzehnt komplett von seinen Chef- und Oberärzten abhängig. Sie haben es in der Hand, wie gut und wie schnell die jungen Mediziner vorankommen – oder ob sie irgendwann frustriert den Arztberuf aufgeben. Dabei fehlt es schon jetzt vielen Fachrichtungen an Nachwuchs.

Das oft toxische Arbeitsklima in Krankenhäusern nicht mehr als normal zu akzeptieren, ist ein erster wichtiger Schritt. Doch die auf dem Podium diskutierten Lösungsansätze waren ernüchternd. Die einen forderten, sich konsequent an Gleichstellungsbeauftragte, Betriebsräte oder Ärztekammern zu wenden. Die anderen riefen zu mehr Mut auf, Missstände anzusprechen.

Wer so argumentiert, wälzt die Verantwortung auf die Betroffenen ab. Sie sollen sich beschweren, für sich und ihre Kollegen einstehen. Dass dies nicht funktioniert, haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dafür sind die Abhängigkeiten zu stark. Hinzu kommt, dass viele der Anlaufstellen kaum Durchsetzungskraft haben, weil dort selbst gefürchtet wird, bei der Klinikführung in Ungnade zu fallen. Die möchte vor allem den Ruf des Hauses schützen; einen Chefarzt zu entlassen, kommt daher auch bei grobem Fehlverhalten kaum infrage.

Was es stattdessen bräuchte: Beschwerdestellen außerhalb des Kliniksystems, die Konsequenzen ziehen können – und dies auch tun. Die Führungsqualität von Chefärzten müsste regelmäßig kontrolliert werden, beispielsweise mittels anonymer Befragungen durch die Ärztekammern, mancherorts geschieht das bereits. Auch klare Kriterien bei Stellenbesetzungen würden helfen, um Macht- und Männerbündnisse zu durchbrechen. Kurz: gute Strukturen, die gutes Verhalten zumindest wahrscheinlicher machen.