Wie eine Raucherkneipe auf vier Rädern
Bald könnte in Deutschland das Rauchen in Autos verboten werden, wenn Minderjährige oder Schwangere mitfahren: Diesen Freitag bringen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat ein (hier als PDF), der dort 2022 schon einmal verabschiedet worden ist. In den Bundestag hat es das Vorhaben aber nie geschafft, weil die FDP 2023 gegen einen Entwurf aus dem Gesundheitsministerium war. Dann zerbrach die Ampelregierung, und weil die CDU das Verbot ebenfalls ablehnte, kam es im alten Bundestag zu keiner Abstimmung mehr.
Wie sinnvoll ist das nun? Wenn in Deutschland das Rauchen weiter eingeschränkt werden soll, werden fast immer die gleichen Argumente ausgetauscht. Keine Partei zweifelt die wissenschaftlichen Fakten an – ausnahmsweise mal anders als bei Klimafragen oder Coronaviren. Deshalb bewegen sich Kritiker von Verboten in der Debatte oft auf grundsätzlicherem Terrain: Wie weit darf der Staat die individuelle Freiheit im Namen der Gesundheit einschränken? Was darf er verbieten?
Die medizinischen Fakten
Aus medizinischer Sicht ist die Sache wirklich ein No-Brainer. Das Deutsche Krebsforschungszentrum bringt jedes Jahr einen Tabakatlas heraus, der die Erkenntnisse der Gefahren des Rauchens zusammenfasst. Also kurz die Sachlage:
Rauchen und Passivrauchen in der Schwangerschaft sind eine ernste Gefahr für das Kind. Das fängt bei der Plazenta der Mutter an, die sich unter Tabakeinfluss schlechter entwickelt und das Kind nicht vollständig mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Es kann zu Wachstumsverzögerungen oder einer gestörten Hirnentwicklung kommen, die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt steigt. Sehr wahrscheinlich kommt es auch zu häufigeren Fehlgeburten.
Tabakrauch kann zu einem verringerten Geburtsgewicht führen, Asthma, Gesichtsspalten und auch der plötzliche Kindstod werden wahrscheinlicher. Erst kürzlich ist eine umfassende Übersichtsarbeit erschienen, die zeigte, dass Kinder, die Passivrauch ausgesetzt sind, als Erwachsene ein höheres Risiko für Lungenkrebs haben, wahrscheinlich auch schon als Kinder.
Zwar gibt es Studien, die zeigen, dass eine niedrigere Dosis an Tabakrauch während der Schwangerschaft auch weniger Schaden anrichtet. Dennoch warnen Fachleute, dass selbst geringe Mengen an aktiv oder passiv eingeatmetem Tabakrauch problematisch sind. "Die Empfehlungen nationaler und internationaler Fachgesellschaften lauten daher, jede Exposition gegenüber Tabakrauch in der Schwangerschaft strikt zu vermeiden", heißt es im Tabakatlas.
Warum das verrauchte Auto ein besonders gefährlicher Ort ist
Die Risiken in engen Räumen wie Pkw sind dabei besonders groß. Schließlich können die Rauchenden und deren Mitfahrer nicht mal eben das Auto verlassen. Fährt ein Auto mit 50 Sachen durch eine Stadt und der Fahrer zündet sich bei leicht geöffnetem Fenster eine Zigarette an, bekommt eine Schwangere auf dem Beifahrersitz fünfmal so viele schädliche Tabakpartikel ab wie in einer durchschnittlich belüfteten Raucherkneipe. Das hat das Deutsche Krebsforschungszentrum gemessen. Selbst auf der Rückbank, wo Kinder sitzen, erreichen Schadstoffbelastungen – auch bei geöffnetem Fenster – das Level einer Raucherkneipe.
Das hat unmittelbare Folgen: Im Urin der Mitfahrenden sind stark erhöhte Werte krebserregender Stoffe wie 1,3-Butadien, Acrylnitril oder Benzol nachweisbar. Im Blut findet sich das Nikotinabbauprodukt Cotinin, was zeigt, dass die Mitfahrenden Nikotin durch das Passivrauchen aufnehmen.
Für Kinder stellt die hohe Konzentration der Schadstoffe im Auto ein besonderes Problem dar: Sie haben eine höhere Atemfrequenz und nehmen deshalb schneller Giftstoffe auf, die ihr Körper langsamer abbaut als der von Erwachsenen. "Es besteht ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen, Asthma, Mittelohrentzündungen und plötzlichen Kindstod", schreibt der Tabakatlas über Passivrauch für Kinder.
Wie umgehen mit den medizinischen Fakten?
Nach einer Schätzung des Deutschen Krebsforschungszentrums sind eine Million Kinder und Jugendliche regelmäßig in Autos Belastungen durch Tabakrauch ausgesetzt. Zahlreiche Fachverbände wie das Deutsche Kinderhilfswerk, die Bundesärztekammer und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordern daher seit Jahren ein solches Verbot. Auch Grüne und SPD wären dafür.
Was also spricht dagegen, in Autos ein Rauchverbot zu verhängen, wenn Kinder oder Schwangere mitfahren?
Grundsätzlich gilt: Je niedriger das Bildungsniveau und das Einkommen einer Familie, desto eher sind Kinder Passivrauch daheim oder im Auto ausgesetzt. In Elternhäusern mit hohem Sozialstatus sei weniger als jedes fünfzigste Kind Tabakrauch ausgesetzt, in Elternhäusern mit niedrigem Sozialstatus hingegen jedes fünfte Kind, heißt es im Tabakatlas – analog sieht es in Autos aus.
Die übergeordnete Frage ist also: Wie erreicht man die Familien am besten, in denen Kinder besonders viel Passivrauch ausgesetzt sind – und bringt bei der Frage ein Rauchverbot in Autos überhaupt etwas?
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU im Bundestag, Simone Borchardt, beabsichtigt, das Vorhaben zwar nicht abzulehnen, ist aber skeptisch. "Gesundheitspolitik muss umfassender ansetzen", schreibt sie der ZEIT. Borchardt fürchtet, dass ein Rauchverbot in Autos reiner Aktionismus sei und größere Probleme verschleiere. "Eine grundsätzliche Verbotspolitik halte ich langfristig nicht für erfolgversprechend." Ein Rauchverbot im Fahrzeug möge ein Signal sein, löse aber nicht das Grundproblem, dass Kinder auch in Wohnungen, auf Spielplätzen oder im familiären Umfeld Tabakrauch ausgesetzt seien.
Der Sprecher für Public Health und Drogenpolitik der Linken, Ates Gürpinar, argumentiert ähnlich – wobei ihm die Verbote im Gesetz nicht weit genug gehen. Man sei für eine Einhegung des Tabakrauchens, aber: "Das Gesetz in seiner jetzigen Form greift zu kurz. Es verstellt mit dem singulären Vorgehen sogar den Blick auf das eigentliche Problem", schreibt er. Die Linke fordert ein umfassendes Werbeverbot, Zigaretten sollen weniger verfügbar sein, die Lobbymacht der Industrie müsse gebrochen werden. Ob seine Fraktion dem Gesetz zustimme, hänge von der konkreten Ausführung ab.
Umsetzbarkeit, Verlagerung und Freiheitsrechte
Von der AfD kommt das Argument, dass die Menschen eigenverantwortlich handeln sollen. Man sei die Partei der Freiheit, gegen mehr Rauchverbote und für mehr Aufklärung über die Risiken des Rauchens, schreibt Martin Sichert, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD. "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, die Menschen von allen Lebensrisiken fernzuhalten", ergänzt er.
Eltern würden häufiger zu Hause rauchen, wenn sie nicht mehr im eigenen Auto oder vor der Gaststätte rauchen dürfen. Das würde eine deutlich massivere Schädigung der Kinder zur Folge haben, da Rauchen nur noch im rein privaten Umfeld stattfände, schreibt Sichert.
Auch an der Umsetzbarkeit zweifelt die AfD: Polizeibeamte könnten ohne einschlägige Kontrollen kaum einschätzen, ob jemand schwanger ist. Ähnlich argumentierte auch die CDU in der Vergangenheit. Das Vorhaben sei "nicht umsetzbar", sagte Tino Sorge, der damalige gesundheitspolitische Sprecher der CDU 2023.
Mehr öffentliche Verbote führen zu weniger Rauch daheim
Das Argument, Verbote würden dazu führen, dass Menschen daheim mehr qualmen, ist aber kaum haltbar. Weltweit kämpfen Staaten seit Jahrzehnten gegen das Rauchen, die Quoten sinken weltweit und die effektivsten Methoden dafür sind gut erforscht. Die Top drei Maßnahmen: Steuererhöhungen, Rauchverbote, Aufklärungskampagnen.
Das wirkt auch in Deutschland. Kinder sind hierzulande immer weniger Passivrauch ausgesetzt. 2003 hielten sich noch etwas mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen mehrmals in der Woche in verrauchten Räumen auf, 2017 waren es noch 14 Prozent, hält der Tabakatlas fest. Eine mögliche Erklärung: Wird Rauchen in der Öffentlichkeit eingeschränkt, führt das zu einem Sinneswandel und mehr Problembewusstsein, viele rauchen dann auch zu Hause weniger.
Es ist auch wenig schlüssig, ein Rauchverbot in Autos als Einzelmaßnahme abzutun. Ganz einfach deshalb, weil der Schritt Teil einer längerfristigen Strategie ist – bei deren Umsetzung Deutschland allerdings nicht gerade Vorreiter ist: In diesem Jahr ist das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs 20 Jahre alt geworden, ein völkerrechtlich bindender Vertrag, einer der wichtigsten Punkte darin: Menschen vor Tabakrauch schützen.
Dass ein Rauchverbot in Pkw bei Anwesenheit von Kindern und Schwangeren in Deutschland verfassungsrechtlich zulässig wäre, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits 2015 festgestellt. Schließlich hätten Kinder keinerlei individuelle Entscheidungsmöglichkeit, ob sie an einer Fahrt im Auto teilnehmen wollen oder nicht. Jugendschutz sei laut Grundgesetz ein "Ziel von bedeutsamem Rang". Außerdem bleibe "Autofahrern die Möglichkeit, bei längeren Fahrten Raucherpausen einzulegen".
Andere Länder machen es längst vor
In zahlreichen europäischen Ländern ist das Rauchen in Autos bereits verboten, wenn Kinder drinsitzen, darunter in Österreich, Frankreich oder Großbritannien. Länder wie Frankreich gehen ohnehin wesentlich weiter als Deutschland und verbieten das Rauchen selbst unter freiem Himmel an öffentlichen Plätzen.
In Österreich gilt die jetzt in Deutschland diskutierte Autoregelung seit 2018. Und dort gab es in der Gesellschaft weitaus weniger Widerstand: "Das ist friedlich durchgegangen", sagt Josef Smolle, Arzt und ehemaliger gesundheitspolitischer Sprecher der Regierungspartei ÖVP. Was auch daran lag, dass man zeitgleich das Rauchen in Gaststätten und Kneipen verboten hat, was für wesentlich mehr Aufregung sorgte. "Aber heute ist das Common Sense, vom größten, schönsten Restaurant bis zum kleinsten, verschwiegendsten Beisl, überall hält man sich daran." So sei das mit Rauchverboten meist: Erst große Aufregung, die dann schnell abebbt.
Und die Umsetzbarkeit? Wie kontrolliert die Polizei das Rauchverbot in Autos? "Das geschieht im Zuge von normalen Verkehrskontrollen. Über Probleme im Vollzug ist uns nichts bekannt", schreibt das österreichische Innenministerium.
Einig sind sich Fachleute wie auch Vertreter von CDU, SPD, Grüne und Linke indes, dass es ohnehin weitere Regeln zum Nichtraucherschutz bräuchte: Bessere Beratungsangebote bei der Rauchentwöhnung, bessere Erstattung durch die Krankenkassen, Anreize für Hausärztinnen, Patienten Rauchentwöhnungsprogramme anzubieten – bei diesen Punkten sind sich die vier Parteien einig. Als Teil einer längerfristigen Strategie wäre das als nächster Schritt nach dem Autorauchverbot also problemlos umsetzbar.