Kein Gras mehr im Sommerschlussverkauf

Alle zwei bis vier Tage landet bei Kundinnen und Kunden von DoktorABC ein neuer Newsletter im Postfach. Wer sich für Cannabis interessiert, bekommt entsprechende aktuelle Angebote: "Machen Sie Ihre Gesundheit bereit für das Oktoberfest!" Um es "in vollen Zügen" zu genießen, sei jetzt der perfekte Moment, ein Rezept zu sichern, bevor das Fest beginnt, heißt es etwa am 18. September dieses Jahres.

Wenn man auf den Bestell-Link klickt, landet man auf der Homepage, auf der steht: "Behandlung mit medizinischem Cannabis": In Deutschland darf Cannabis auch nach der Teillegalisierung nicht einfach so online verkauft werden, es sei denn, es gibt einen medizinischen Grund.

Den stellen bei DoktorABC Ärzte formal fest und stellen ein Rezept aus, zu Gesicht bekommt man die Mediziner nicht. Man muss lediglich online 20 Fragen zu sich und seiner medizinischen Vorgeschichte beantworten und kann unter Symptomen wie "Stress", "Migräne" oder "chronische Schmerzen" auswählen. Das Unternehmen sitzt in London, bietet Telemedizin-Dienstleistungen für Deutschland, Frankreich und die Schweiz an, das Gras kommt postalisch aus einer Apotheke.

Laut des aktuellen Cannabis-Gesetzes ist das im Prinzip legal, Ärzte haben Behandlungsfreiheit. Doch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will die Verschreibungspraxis über reine Fragebögen jetzt beenden. "Den professionalisierten Verordnungsmissbrauch über das Internet werden wir verbieten", teilte sie am Mittwoch mit, nachdem das Bundeskabinett auf ihre Initiative hin beschlossen hatte, das Medizinal-Cannabisgesetz entsprechend zu ändern. Der Bundestag muss dem aber noch zustimmen. Wer medizinisches Cannabis etwa zur Schmerztherapie oder aus anderen medizinischen Gründen braucht, muss künftig persönlich einen Arzt treffen, entweder in einer Praxis oder per Hausbesuch. Nach spätestens einem Jahr ist eine erneute persönliche Konsultation notwendig.

Apotheken sollen Cannabis künftig auch nicht mehr per Post verschicken dürfen, lediglich die Lieferung per Bote bleibt erlaubt. Für die Bundesregierung ist klar, dass sich Konsumierende zu Genusszwecken im Internet mit Cannabis eingedeckt haben. Im ersten Halbjahr 2025 sind die Importe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von rund 19 auf rund 80 Tonnen gestiegen, fast ausschließlich durch Selbstzahler auf Privatrezept, wie man sie im Internet problemlos bekommt.

Keine Frage: Diese Maßnahmen werden die Verschreibungspraxis via Telemedizin für medizinisches Cannabis vermutlich erst mal einschränken – allerdings sowohl für Freizeitkonsumierende als auch für die vielen chronisch kranken Patienten, die auf Cannabis zur Linderung ihrer oft schwerwiegenden Symptome angewiesen sind. Denn aktuell versenden nur wenige spezialisierte Versandapotheken medizinisches Cannabis. Der Großteil der deutschen Apotheken führt das Produkt gar nicht.

Von den rund 17.000 deutschen Apotheken haben sich Schätzungen zufolge etwa 2.500 bis 3.000 Apotheken auf medizinisches Cannabis spezialisiert. In Städten mehr als auf dem Land. Den Großteil des Umsatzes erwirtschaften aber laut Branchenkennern ein paar wenige, auf den Online-Versandhandel spezialisierte Apotheken.

Sollte es künftig Pflicht sein, die Blüten persönlich in der Apotheke abzuholen, könnte das die flächendeckende Versorgung von Patientinnen und Patienten erst mal erschweren. Die Frage ist also, ob Warkens Gesetzentwurf hier die Richtigen in den Blick nimmt.

Aktuell liegt der Fokus der Debatte sehr stark auf den Kundinnen und Kunden solcher Webseiten. Das Problem ist nur, dass sich oft gar nicht trennscharf sagen lässt, warum jemand Cannabis konsumiert. In Umfragen geben viele sowohl medizinische Gründe als auch Genusszwecke an. Die Übergänge scheinen fließend zu sein. Das ergab sowohl die für das Cannabisgesetz vorgesehene Evaluation EKoCan als auch eine Online-Erhebung des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Hochschule Freiburg unter Heavy Usern.

Was dagegen viel mehr Aufmerksamkeit verdient, sind die Marketingstrategien der Telemedizin-Unternehmen, die klar darauf ausgerichtet sind, immer mehr Kundinnen und Kunden für medizinisches Cannabis zu gewinnen. Sie adressieren auch Freizeitkonsumierende.

DoktorABC etwa lockt regelmäßig mit Rabatten und saisonalen Sonderaktionen. "Beliebte Sorten jetzt zu noch günstigeren Preisen", "Sommerschlussverkauf", "Preisalarm" oder "Drei Gratisrezepte zum Teilen mit Ihren Freunden!". Per SMS gibt es Geburtstagsrabatte von bis zu 50 Prozent. Das klingt wie ein Onlineshop mit Ramschware.

Zum Teil versuchen die Telemedizinplattformen auch explizit Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen, mit lustigen Memes und Videos auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram. Und das, obwohl junge Menschen bis 25 das größte Risiko für Langzeitfolgen und psychische Probleme durch Cannabis haben.

Da gibt es etwa "Straßenapotheker Curly", ein Typ mit Vollbart und Käppi, der im weißen Kittel auf einer Couch fläzt. Er empfiehlt Kundinnen und Kunden des Telemedizinanbieters Bloomwell in einem Reel auf Instagram seine Lieblingssorten, während neben ihm die Lavalampe blubbert. "Keine Sorge, keep on smoking", lautet seine Begrüßung, während dicke Rauchschwaden langsam den Blick auf ihn freigeben. In mittlerweile gelöschten Videos unterhalten sich zwei junge Männer Mitte zwanzig darüber, wie leicht man über die App des Unternehmens an Cannabis kommt. Der ZEIT liegen die Videos vor: 

"Bruder, ich hab einfach herausgefunden, wo das Gras günstiger ist, als beim Dealer", heißt es darin.

"Tickst du jetzt selber, oder was?"

"Nee Digga, ich schwör dir, Bloomwell isses." 

Gegen solche Marketingmaßnahmen gibt es eigentlich bereits ein Gesetz. Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist laut Heilmittelwerbegesetz nicht erlaubt. Eine "Ibuprofen heute 50 Prozent günstiger"-Anzeige gibt es deshalb ebenso wenig wie den Ritalin-Back-to-School-Sale. 

Relevant ist aber noch ein anderer Punkt. Die von Gesundheitsministerin Warken geplante Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes wird das tieferliegende Problem, das hinter der Verschreibungspraxis über Telemedizinplattformen liegt, nicht lösen. 

Denn die aktuelle Situation ist die: Zwar ist der Konsum von Cannabis seit dem 1. April 2024 in Deutschland legal, aber es gibt kaum legale Bezugsquellen. So entsteht ein Vakuum, das findige Unternehmer für sich nutzen.