Stiko empfiehlt Jugendlichen erstmals Impfung gegen Meningokokken
Sie treten selten auf, sind dann aber extrem gefährlich: Infektionen mit bestimmten Meningokokkenarten können binnen Stunden lebensbedrohlich werden – vor allem für Babys, Kinder und Jugendliche. Jetzt hat die Ständige Impfkommission (Stiko) ihre Impfempfehlung überarbeitet. Jugendlichen empfiehlt sie erstmals die Impfung, für Kleinkinder fällt eine weg. Was ändert sich genau und warum? Und was müssen Eltern und Jugendliche jetzt tun? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Was sind Meningokokken?
Meningokokken sind Bakterien, die sich vorzugsweise auf den Schleimhäuten in Nase, Mund und Rachen ansiedeln, uns in der Regel aber keine Probleme bereiten: Experten schätzen, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Menschen in Deutschland Meningokokken auf den Schleimhäuten tragen, ohne es überhaupt zu wissen.
Weltweit sind zwölf Meningokokken-Typen bekannt, Fachleute sprechen auch von Serogruppen. Fünf dieser zwölf können dem Menschen potenziell gefährlich werden; und zwar die Meningokokken-Typen A, B, C, W, X und Y. In Deutschland spielen dabei laut Robert Koch-Institut (RKI) derzeit fast nur B, C, W und Y eine Rolle.
Gefährlich wird es dann, wenn diese Bakterien nicht mehr nur auf den Schleimhäuten sitzen, sondern etwa ins Blut oder Gehirn gelangen, wo normalerweise keine Bakterien zu finden sind. Mediziner sprechen dann von einer invasiven Meningokokken-Erkrankung (IME).
Solche invasiven Infektionen verlaufen normalerweise als Hirnhautentzündung (Meningitis) oder Sepsis, also Blutvergiftung, teils verursachen sie gar eine besonders schwere Form des septischen Schocks. "Was zu einem bestimmten Zeitpunkt genau dazu führt, dass die Erreger die Schleimhaut verlassen und invasiv werden, können wir bislang nicht beantworten", sagte Alexander Dalpke während einer Presseveranstaltung des Science Media Centers. Dalpke ist ärztlicher Direktor des Zentrums für Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Heidelberg und Mitglied der Stiko.
Wie äußert sich eine invasive Meningokokken-Erkrankung?
Menschen mit einer IME zeigen zunächst oft nur Symptome einer einfachen Erkältung, doch innerhalb weniger Stunden geht es ihnen schnell zunehmend schlechter und sie fühlen sich schwer krank, haben Fieber, Schüttelfrost und Schwindel. Je nach Ausprägung der Krankheit variieren die Symptome. Eine Hirnhautentzündung etwa äußert sich typischerweise mit Erbrechen und Nackensteifigkeit, manche Betroffene verlieren das Bewusstsein. Bei septischen Verläufen sind Hauteinblutungen charakteristisch.
Allerdings: Bei Säuglingen und Kleinkindern sind die Symptome meist weniger typisch. Bei ihnen kann eine IME durch Fieber, Erbrechen, Reizbarkeit oder auch Schläfrigkeit auffallen. Auch Krämpfe, plötzliches Aufschreien oder eine vorgewölbte oder harte Fontanelle können auftreten. Die bei Erwachsenen typische Nackensteifigkeit im Falle einer Hirnhautentzündung kann bei Kindern fehlen.
Sowohl eine Hirnhautentzündung als auch eine Blutvergiftung durch Meningokokken sind potenziell lebensbedrohlich, selbst wenn Ärzte sie behandeln. In Deutschland sterben zwischen sieben und 15 Prozent der Menschen mit IME. In zehn bis 20 Prozent der Fälle führt die Krankheit zu schweren Komplikationen, sodass Überlebende teils bleibende Schäden davontragen, etwa Lähmungen, Krampfanfälle, Lernschwierigkeiten oder psychische Störungen. In manchen Fällen verlieren Betroffene ihr Hörvermögen oder Ärzte müssen ihnen nach einem septischen Verlauf ein Körperteil amputieren.
Wie häufig sind invasive Meningokokken-Erkrankungen?
Glücklicherweise selten. Das Auftreten unterscheidet sich jedoch nach Alter und Meningokokken-Subtyp.
Am häufigsten erkranken in Deutschland Säuglinge im ersten Lebensjahr. In den vergangenen zehn Jahren erkrankten im Mittel jährlich 0,65 von 100.000 Kindern in dieser Altersgruppe, das sind durchschnittlich fünf Fälle pro Jahr. Bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren liegt die Rate bei 0,27 Fällen pro 100.000, was elf Fällen pro Jahr entspricht.
Warum diese Altersgruppen besonders betroffen sind, dafür gibt es bislang keine eindeutige Erklärung. Eine Rolle spielt wahrscheinlich, dass das Immunsystem von Neugeborenen insgesamt noch nicht so ausgereift ist. Und dass Jugendliche durch die Schule und ihr Sozialverhalten viel engen Kontakt zu anderen haben. Haben Meningokokken unbemerkt die Schleimhäute in Nase, Mund und Rachen besiedelt, können sie sich von dort aus relativ leicht verbreiten – durch Husten, Niesen oder Küssen. Tatsächlich zeigen Daten des RKI, dass ältere Kinder und Teenager von allen Altersgruppen die höchste Meningokokken-Besiedelung aufweisen.
Wie lautete die bisherige Impfempfehlung?
Nochmal zur Erinnerung: Invasive Meningokokken-Infektionen werden in Deutschland vor allem durch die Stämme B, C, W und Y hervorgerufen. Gegen alle davon sind in Deutschland wirksame und sichere Impfstoffe zugelassen. Jeweils ein sogenannter monovalenter Impfstoff schützt vor den Erregern der Gruppen B und C, und ein quadrivalenter vor jenen der Gruppe A, C, W und Y.
In der Vergangenheit wurden die weitaus meisten invasiven Meningokokken-Erkrankungen in Deutschland durch die Bakteriengruppe B verursacht. Ein kleinerer Anteil ging auf die Typen C, W und Y zurück; A spielt hierzulande keine große Rolle. So erklärt sich auch die bisherige Impfempfehlung der Stiko.
Seit 2006 gehört die Impfung gegen Meningokokken C in Deutschland zu den Standardimpfungen für Kleinkinder ab 12 Monaten. Nachdem auch ein wirksamer Impfstoff gegen Meningokokken B auf den Markt gekommen war, nahm die Stiko Anfang 2024 diese Impfung ebenfalls in ihren Impfkalender auf. Seither sollen alle Säuglinge ab zwei Monaten im Rahmen der Grundimmunisierung gegen Meningokokken B geimpft werden. Die Kombi-Impfung gegen Meningokokken ACWY dagegen empfahl die Stiko bislang nur Personen mit einer Immunschwäche, gefährdetem Laborpersonal sowie Menschen, die eine Reise oder einen längeren Aufenthalt in einem Hochrisikoland (zum Beispiel im "Meningitis-Gürtel" in Zentralafrika) planten.
Wer soll sich künftig impfen lassen – und wann?
Die Stiko hat ihre bisherige Meningokokken-Impfempfehlung in zweierlei Hinsicht geändert:
- Erstens: Künftig sollen nicht mehr nur gefährdete Erwachsene, sondern alle Kinder und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 14 Jahren eine Impfung gegen die Bakteriengruppen A, C, W und Y bekommen. Und zwar unabhängig davon, ob sie als Babys bereits gegen Meningokokken C geimpft wurden.
- Die zweite Neuerung betrifft Kleinkinder: Die seit 2006 geltende Standardimpfempfehlung für Meningokokken C für Kinder bis zwei Jahren entfällt.
Was die erst im vergangenen Jahr ausgesprochene Impfempfehlung für Säuglinge gegen Meningokokken B angeht: Sie hat weiterhin Bestand, da B-Meningokokken im ersten Lebensjahr am häufigsten ursächlich für IME sind.
Insgesamt kommt für Jugendliche also eine Impfung hinzu, für Kleinkinder fällt eine weg.
Warum ändert die Stiko ihre Impfempfehlung für Kleinkinder?
Dass die Stiko eine Impfempfehlung zurücknimmt – wie jetzt im Fall der Meningokokken-C-Impfung für Kleinkinder – ist relativ selten. "Doch es ist auch Aufgabe der Stiko, bekannte Impfungen dahingehend zu bewerten, inwiefern sie effizient zum Individual- und zum Gesundheitsschutz einer Bevölkerung beitragen", sagt Alexander Dalpke. Und für die Impfung gegen Meningokokken C habe sich herausgestellt, dass diese nicht mehr geeignet ist, um die Menschen in Deutschland insgesamt bestmöglich vor invasiven Meningokokken-Erkrankungen zu schützen.
Denn in den vergangenen Jahren ist die Zahl der IME unter Säuglingen und Kleinkindern, die auf den Typ C zurückzuführen sind, stetig zurückgegangen. Zwischen 2020 und 2023 gab es deutschlandweit keinen einzigen Fall, 2024 einen. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit: Sollte man standardmäßig alle Kleinkinder in Deutschland impfen, um einen einzigen Meningokokken-C-Fall zu verhindern? Die Stiko kam zu dem Schluss: Nein.
Dazu kam eine weitere Überlegung: Der Impfkalender für Kleinkinder ist derzeit sehr dicht. Zu der empfohlenen RSV-Immunisierung kommt die insgesamt dreimal notwendige 6-fach-Impfung gegen Polio, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B sowie gegen Meningokokken B und Pneumokokken.
"Die Krankheitslast für Pneumokokken ist fünfzig- bis hundertfach höher als die durch Meningokokken", sagt Alexander Dalpke. "Doch leider ist im Moment zu beobachten, dass die Pneumokokken-Impfung häufig zu spät abgeschlossen wird." Empfohlen ist das laut Stiko im elften Lebensmonat. Indem man die Meningokokken-C-Impfung streicht, erhofft man sich auch, dass andere, wichtigere Standardimpfungen im ersten und zweiten Lebensjahr zeitgerecht durchgeführt werden.
Warum empfiehlt die Stiko jetzt die Meningokokken-ACWY-Impfung für Jugendliche?
Das hat mehrere Gründe und unter anderem mit einer Verschiebung der Bakteriengruppen seit der Corona-Pandemie zu tun. Während der Pandemie selbst gingen die IME-Fälle insgesamt deutlich zurück, nach dem Ende der Kontaktbeschränkungen stiegen sie wieder an. Jedoch werden invasive Meningokokken-Erkrankungen in Deutschland seither immer seltener durch den Typ C ausgelöst, dafür stieg der Anteil der Fälle, die auf Typ Y zurückzuführen sind, in allen Altersgruppen. "2023 zeigte sich plötzlich eine ganz andere Epidemiologie: Wir hatten insgesamt fast gleich viele Fälle von Serogruppe B und Y", sagt Heike Claus, Leiterin des nationalen Referenzzentrums für Meningokokken und Haemophilus influenzae an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. "Es hat eine komplette Verschiebung gegeben."
Die Experten der Stiko standen angesichts dieser Entwicklung vor der Frage, wie man die Bevölkerung in Deutschland bestmöglich vor Meningokokken Y schützen kann. "Unsere Modellierungen haben gezeigt, dass wir den effizientesten Schutz erreichen können, wenn wir Jugendliche impfen", sagt Alexander Dalpke.
Das liegt daran, dass die Schleimhäute von Jugendlichen überdurchschnittlich häufig mit Meningokokken besiedelt sind. Die Impfung hat auch einen Effekt auf diese Besiedelung. Man erhofft sich also den indirekten Effekt, dass durch die Impfung der Jugendlichen die Zirkulation des Erregers in der ganzen Bevölkerung sinkt und somit auch andere Altersgruppen zusätzlich geschützt werden.
Doch auch der Schutz der Jugendlichen selbst ist ein zentrales Argument: Für eine Impfung im Jugendalter spricht, dass ältere Kinder und Teenager nach Säuglingen das höchste Risiko haben, eine invasive Meningokokken-Erkrankung zu entwickeln. Der Krankheitsgipfel liegt im Alter von 15 bis 19 Jahren. Die Stiko empfiehlt die Impfung unmittelbar davor, also im Alter von zwölf bis 14 Jahren.
Die Stiko schreibt von einem "guten individuellen Schutz" durch die ACWY-Impfung, sie erwartet eine Schutzwirkung von fünf bis sieben Jahren. Jedoch ist die Datenlage dünn und die Fachleute werden nach der Änderung beobachten, ob die Neuregelung die erwünschten Effekte zeigt.
Und nicht zuletzt erhofft sich die Stiko mit ihrer neuen Impfempfehlung einen weiteren Effekt: Sie möchte die Vorsorgeuntersuchung im Jugendalter (J1) stärken, die im Alter von 12 bis 14 Jahren ansteht, die allerdings bisher etwa nur die Hälfte der Teenager wahrnimmt. Die nun empfohlene Impfung gegen Meningokokken könnte das ändern, hofft die Stiko. "Es ist eine Chance für Kinder- und Jugendärzte, einen Kontaktpunkt zu schaffen, um die Jugendlichen in einem wichtigen Alter des Entwicklungsumschwungs noch einmal zu sehen", sagt Alexander Dalpke. Im Zuge dessen könnten dann auch andere wichtige Impfungen angesprochen und gegebenenfalls nachgeholt werden, etwa die gegen das Humane Papillomvirus (HPV) oder die Auffrischungsimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Polio. Die Meningokokken-Impfung kann zeitgleich zu diesen Impfungen erfolgen.
Was sollten Eltern mit Kindern unter 12 Jahren jetzt tun?
Eltern von Kleinkindern, bei denen die Impfung gegen Meningokokken C noch aussteht und die ihr Kind trotz der Änderung gern impfen lassen möchten, haben weiterhin Anspruch auf die Impfung. Erst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die neue Stiko-Empfehlung geprüft und akzeptiert hat, der Schutzimpfkatalog offiziell geändert ist und das Bundesgesundheitsministerium dies bestätigt hat, übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Immunisierung nicht mehr.
Eltern, deren Kind bereits gegen Meningokokken C geimpft wurde, aber jünger als zwölf Jahre ist, müssen im Prinzip nichts tun, als auf den Termin der Vorsorgeuntersuchung J1 zu warten. Dann können sie ihr Kind – zusätzlich zu der bereits erfolgten Impfung gegen Meningokokken C – gegen die Bakteriengruppe A, C, W und Y impfen lassen.
Was sollten Eltern mit Kindern ab 12 Jahren jetzt tun?
Eltern mit einem Kind zwischen 12 und 14 Jahren können aktuell noch keinen Termin für die Meningokokken-Impfung vereinbaren. Zuerst muss der G-BA die neue Impfempfehlung der Stiko überprüfen. Das ist jedoch ein Routinevorgang. Dann wird sie durch das Bundesgesundheitsministerium offiziell in den Katalog der Schutzimpfungen aufgenommen. Dann übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen auch die Kosten dafür.
Die Kinder- und Jugendärztin Julia Tabatabai, Mitglied der Stiko, sagt: "Es wird so sein, wie wir es auch schon von anderen Impfempfehlungen kennen: Es wird noch ein paar Monate dauern, bis wir tatsächlich die Impfung vor Ort in den Praxen anbieten und über die Krankenkasse abrechnen können." Sobald der Prozess abgeschlossen ist, können aber auch Eltern von über 14-Jährigen zum Arzt gehen: Die Meningokokken-ACWY-Impfung kann bis zum 25. Geburtstag nachgeholt werden.
Die ausführliche wissenschaftliche Begründung der Stiko lesen Sie hier.