Boomer-Bakterien
Gerade erst veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Report zur weltweiten Lage in Sachen Antibiotikaresistenz. Nach wie vor sind die Resistenzraten von Bakterien gegen Antibiotika hoch, vielerorts steigen sie weiter an. Am stärksten betroffen sind Länder mit schwachen Gesundheitssystemen und geringer Erreger-Überwachung – also vor allem solche mit niedrigem durchschnittlichem Einkommen.
Europa steht etwas besser da. Hier ist "nur" einer von zehn bakteriellen Infektionen mit Antibiotika schwer beizukommen. Das liegt deutlich unter dem globalen mittleren Wert: Da geht eine von sechs bakteriellen Infektionen auf einen antibiotikaresistenten Erreger zurück.
Doch das ist kein Grund zum Ausruhen, wie eine aktuelle Publikation in Plos Medicine zeigt. In Europa wird demnach die Zahl der Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen in den kommenden Jahren erheblich steigen. Forschende der London School of Hygiene and Tropical Medicine werteten zwölf Millionen Blutproben aus und errechneten, wie häufig Infektionen und resistente Bakterien in verschiedenen Altersgruppen und Geschlechtern in 29 europäischen Ländern auftreten. Daraus ermittelten sie zeitliche Trends und kombinierten sie mit zukünftigen Bevölkerungsdaten, um vorherzusagen, wie sich die antibiotikaresistenten Infektionen bis 2030 und 2050 entwickeln werden. Ihr Fazit: Blutvergiftungen mit resistenten Erregern werden in Europa weiter zunehmen – vor allem bei Menschen, die heute älter sind als 65 Jahre.
Der Grund: Mit zunehmendem Alter ist das Immunsystem weniger leistungsfähig, dadurch kann der Körper Infektionen weniger gut abwehren. Ältere Menschen müssen öfter ins Krankenhaus oder leben in Pflegeeinrichtungen. Dort zirkulieren viele resistente Keime, zusätzlich ist das Infektionsrisiko stark erhöht. Katheter, Dialysen oder andere invasive Therapien, die ältere Menschen häufiger bekommen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Keime in den Körper gelangen. Das führt zu häufigeren Verordnungen von Antibiotika, die manchmal auch nicht optimal dosiert sind. Der Selektionsdruck steigt daher, resistente Bakterien überleben und vermehren sich. Ausgerechnet die Babyboomer tragen die Hauptlast dieser Resistenzen: Ihre Generation hat vom großzügigen Einsatz der Antibiotika profitiert – und muss nun im Alter mit den Folgen zurechtkommen.
Die britische Modellrechnung lässt nur wenig Spielraum für Hoffnung. Selbst mit massiven Gegenmaßnahmen ließe sich das Ziel der Vereinten Nationen, resistente Infektionen bis 2030 um zehn Prozent zu senken, nur bei rund zwei Drittel der Erreger erreichen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Belastung nicht weiter stiege.
In Deutschland versucht man dem Problem mit sogenannten Stewardship-Programmen beizukommen und an Kliniken Antibiotika so kurz und gezielt wie nötig einzusetzen. Die Maßnahmen werden aber nicht überall gleich gut umgesetzt. Wichtig wäre es deshalb, dass die Infektiologie fest an den Kliniken verankert wird. Momentan geschieht das Gegenteil: Das aktuelle Krankenhausreformanpassungsgesetz sieht Streichungen in dem Bereich vor. Fachgesellschaften warnen, und sie tun das zu Recht. Eine Investition in die Infektiologie ist eine Investition in die Zukunft.