Neue mRNA-Grippeimpfung ist bisherigen Impfstoffen überlegen

Und wieder blicken Fachleute mit Sorge dem Winter entgegen. Sie fragen sich: Haben sie richtig vorhergesagt, welche Influenzaviren in dieser Saison zirkulieren und Menschen krank machen werden? Und passen die Impfstoffe, deren Zusammensetzung schon seit dem Frühjahr feststeht? Bald könnte dieses Spekulieren auf einen Treffer ein Ende haben. Eine aktuelle Studie belegt erstmals, dass ein Grippeimpfstoff auf mRNA-Basis, der deutlich schneller hergestellt werden kann als konventionelle Vakzinen, auch noch besser vor Influenza schützt.

In Deutschland erkranken schätzungsweise vier bis 16 Millionen Menschen pro Saison an Grippe. Zwar ist eine Influenzainfektion in der Regel nach einigen Tagen – teils mit hohem Fieber, Schmerzen und Erschöpfung – überstanden. Doch je nach Saison sterben bundesweit mehrere Hundert bis Zehntausende Menschen. Die Grippeimpfung schützt in gewissem Maße vor einer Grippeerkrankung. Sie sorgt zudem nachweislich dafür, dass eine Erkrankung weniger schwer verläuft. Das gilt vor allem für Risikogruppen wie Ältere, chronisch Kranke und Schwangere, denen die Ständige Impfkommission (Stiko) die Impfung jährlich empfiehlt. 

Doch bisher gebräuchliche Impfstoffe gegen Influenza haben ein paar Nachteile. Sie werden überwiegend hergestellt, indem das Virus in befruchteten Hühnereiern vermehrt, anschließend geerntet und dann chemisch inaktiviert wird. Danach müssen die Oberflächenproteine aufgereinigt, mit weiteren Stoffen versetzt und schließlich abgefüllt werden. Dieses Prozedere ist extrem aufwendig und der Grund, warum sich die Fachleute der Weltgesundheitsorganisation bereits Monate vor der Grippesaison auf eine Komposition des kommenden Impfstoffs einigen müssen. Auf Mutationen, die das Virus danach noch anhäuft, kann bisher nicht mehr reagiert werden. Einer der Gründe, warum die Impfung in manchen Jahren nur eine Wirksamkeit von etwa 30 Prozent erreicht.

Doch Wissenschaftler forschen längst an Alternativen, etwa auf Basis von mRNA. Die Coronapandemie war der beste Beweis, dass diese Technologie es ermöglicht, Impfstoffe innerhalb kurzer Zeit an sich verändernde Virusvarianten anzupassen. Und so dürften vielen die Namen der Hersteller, die bei der neuen Generation der Grippeimpfungen eine Rolle spielen, bekannt vorkommen. 

Bereits Anfang des Jahres veröffentlichte das US-amerikanische Biotech-Unternehmen Moderna die Ergebnisse einer Studie zu ihrem neuen Influenzaimpfstoff auf mRNA-Basis. Doch zu dessen Wirksamkeit liegt bisher nur eine Pressemitteilung vor. Anders bei Konkurrent Pfizer, der nun nachzieht. Laut einer aktuellen Studie, die im renommierten New England Journal of Medicine erschienen ist, schützt der neue mRNA-Impfstoff des US-Herstellers wirksamer vor Grippe als die aktuell gebräuchlichen Totimpfstoffe. Es handelt sich – wie bei der Moderna-Studie – um eine sogenannte Phase-III-Studie. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass ein neuer Impfstoff zugelassen werden kann.

Mehr als 18.000 gesunde Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren nahmen an der Untersuchung teil. Die Forschenden teilten die Probanden zufällig in eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe ein: Eine Hälfte bekam den neuen mRNA-Impfstoff, die andere einen herkömmlichen Grippeimpfstoff mit inaktivierten Grippeviren. Alle Impfstoffe waren auf die vier empfohlenen saisonalen Grippestämme ausgerichtet. Dann warteten die Forschenden, in welcher Gruppe wie viele Menschen erkrankten. 

In der Kontrollgruppe, die den konventionellen Impfstoff erhalten hatte, erkrankten 87 Menschen an einer laborbestätigten Influenza. In der mRNA-Gruppe waren es nur 57 Personen. Der neue Impfstoff, so errechnete es das Team um Pfizer-Forscherin Kelly Lindert, war somit 34,5 Prozent wirksamer bei der Verhinderung einer Influenza-Erkrankung als die Kontrollimpfstoffe.

Welche Vorteile mRNA-Impfstoffe haben

Für Experten, die das deutsche und das australische Science Media Center befragt hat, ist das eine positive Nachricht. Und auch in einem begleitenden Kommentar zur Studie, den zwei nicht an der Studie beteiligte US-Wissenschaftler verfasst haben, heißt es, dass die Entwicklung von saisonalen Grippeimpfstoffen mit verbesserter Wirksamkeit einen wichtigen Fortschritt für die öffentliche Gesundheit darstellt.

Zwei Aspekte seien mit Blick auf die neuen Ergebnisse wichtig, sagt der Virologe und renommierte Impfstoffexperte Florian Krammer, der an der Medizinischen Universität Wien und der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York forscht. "mRNA-basierte Impfstoffe können viel schneller hergestellt werden, Entscheidungen zu den Impfstämmen müssten erst im Mai oder Juli getroffen werden." Zu diesem Zeitpunkt hätte man schon Daten, wie sich die Grippeviren verändern, während sie auf der Südhalbkugel zirkulieren. Die entsprechend angepassten Impfstoffe würden viel eher mit den Viren zusammenpassen, die dann auch wirklich bei uns zirkulieren, sagt Krammer. Sie könnten also einerseits dazu beitragen, dass jedes Jahr weniger Menschen überhaupt an Grippe erkranken und auch weniger Menschen einen schweren Verlauf haben. 

Andererseits haben mRNA-Impfstoffe auch das Potenzial, Pandemien vorzubeugen. "Wenn eine Firma einen zugelassenen Influenzaimpfstoff für saisonale Influenza auf dem Markt hat, kann dieser sehr schnell auf einen neuen pandemischen Stamm umgestellt werden, H5N1 etwa", sagt Krammer. H5N1 ist eine Variante der Influenza A, das sogenannte Vogelgrippevirus. Bisher stecken sich Menschen nur in Einzelfällen bei Tieren an; eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist nicht bekannt. Sollte sich das in Zukunft ändern, könnte es von Vorteil sein, wenn schon Grippeimpfstoffe auf mRNA-Basis gegen saisonale Influenza zugelassen wären. Dann entfielen laut Krammer Effizienzstudien, die sich, wie bei Covid-19, wahrscheinlich fast ein Jahr hinziehen würden.

Ohnehin dürfte man im Pandemiefall auf Technologien wie mRNA angewiesen sein, sagt Alexander Dalpke vom Zentrum für Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Hygiene in Heidelberg, der auch Mitglied der Stiko ist. Denn eine Herstellung in Hühnereiern sei in so einer Situation "kaum skalierbar". Das habe sich etwa während der "Schweinegrippe"-Pandemie im Jahr 2009 gezeigt. 

Es trat kaum Influenza B auf

Die neuen Ergebnisse sind also ein klarer Fortschritt. Doch einige Fragen kann die Studie nicht beantworten. So testete Pfizer seinen Impfstoff während der Grippesaison 2022/23 in den USA, auf den Philippinen und in Südafrika. Die insgesamt 144 Grippefälle im Untersuchungszeitraum gingen vor allem auf Influenza A zurück; nur zwei Personen erkrankten an Influenza B. Experten sehen darin eine Einschränkung der Studie. Denn sie erlaubt keine Rückschlüsse darauf, wie gut der neue Impfstoff gegen Influenza B wirkt. 

Zwar gehen auch in Deutschland die meisten Grippeerkrankungen auf Influenza-A-Viren zurück; der Anteil von Influenza-B-Viren variiert jedoch je nach Saison. Während es dem RKI zufolge in der Saison 2018/19 "eine nur sehr sporadische Zirkulation dieser Viren in der Bevölkerung" gab, nahm ihr Anteil in den vorangegangenen Saisons 2023/24 und 2024/25 deutlich zu.

Die aktuelle Studie kann außerdem nicht beantworten, wie Menschen über 65 Jahren auf das mRNA-Vakzin reagieren. Denn sie wurden nicht untersucht. "Gerade ältere Menschen haben ein höheres Risiko, schwer an Influenza zu erkranken, reagieren aber schwächer auf die Influenzaimpfstoffe", sagt Dalpke. Für sie gibt es daher bereits Alternativen zu den konventionellen Impfstoffen: Hochdosis-Impfungen, die höhere Antigenmengen enthalten, sowie sogenannte adjuvantierte Impfstoffe mit einem Wirkverstärker. Wie sich der neue mRNA-Impfstoff im Vergleich mit diesen aufgepeppten Vakzinen schlägt, hat die Studie nicht untersucht.

Sicher ist jedoch, dass mRNA-Impfstoffe von sich aus im Schnitt eine verhältnismäßig starke Immunreaktion auslösen. Das zeigte sich auch im Blut der Probandinnen der aktuellen Studie: In der Versuchsgruppe war die Antikörperbildung gegen Influenza-A-Stämme stärker als in der Kontrollgruppe. Wie für mRNA-Impfstoffe typisch, berichteten die Versuchspersonen allerdings auch deutlich häufiger über Impfreaktionen wie Muskelschmerzen, Müdigkeit oder Rötungen an der Einstichstelle. "Das kennen wir von Covid-19-Impfungen", sagt Dalpke. 

Es konnten bei den Probanden keine Sicherheitsbedenken festgestellt werden, schreiben die Autoren der Studie. So berichtete auch kein Teilnehmer über eine Herzmuskelentzündung, die in seltenen Fällen eine bekannte Nebenwirkung der Covid-Impfstoffe auf mRNA-Basis ist.

Für Dalpke sprechen die beobachteten Impfreaktionen nicht dagegen, die neuen Impfstoffe zuzulassen. "In der Anwendung wäre das dann eine Abwägung von besserer Wirksamkeit versus erhöhten Nebenwirkungen. Bei besonders gefährdeten Menschen könnte aber der Schutzgedanke dominieren." Auch Krammer zufolge zeigt sowohl die Pfizer- als auch die Moderna-Studie, dass mRNA-Grippeimpfstoffe gut funktionieren. "Die Nebenwirkungen sind zwar höher, aber die kann man – vor allem in Risikogruppen – für einen besseren Schutz in Kauf nehmen", sagt Krammer. 

In dem erwähnten begleitenden Kommentar zur Pfizer-Studie nennen Hana El Sahly und Robert Atmar vom Baylor College of Medicine in Houston die neuen Impfstoffe vielversprechend. Ob sie künftig tatsächlich die jährlichen Erkrankungszahlen reduzieren können, hänge jedoch davon ab, ob man – erstens – die Impfreaktionen reduzieren kann, die Impfstoffe also verträglicher machen. Und zweitens, ob sich zeigen lässt, dass die neuen mRNA-Impfstoffe auch gegen verschiedene Grippestämme zuverlässig schützen und auch bei Menschen über 65 Jahren gut wirken. 

El Sahly und Atmar schreiben: "Der verbesserte Schutz durch mRNA-Impfstoffe gegen Influenza-A-Viren bei jungen Erwachsenen ist ein Schritt nach vorne, aber es bleibt noch viel zu tun, bevor mRNA-Impfstoffe im jährlichen Kampf gegen die Influenza eingesetzt werden können."