Deutschland fast Schlusslicht bei Gesundheitsvorsorge in Europa
Trotz hoher Gesundheitsausgaben leiden viele Menschen in Deutschland an den Folgen vermeidbarer Gesundheitsrisiken. Deutschland sei eines der "Präventions-Schlusslichter in Nord- und Zentraleuropa", heißt es in einem am Donnerstag vorgestellten Report der AOK und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Von insgesamt 18 untersuchten Ländern belegt Deutschland in der Untersuchung den vorletzten Platz.
Für den Bericht haben Fachleute ausgewertet, wie stark einzelne Länder wissenschaftlich empfohlene Präventionsmaßnahmen umsetzen. Daraus haben sie anschließend ein Ranking erstellt, das sie Public Health Index nennen. Diesen Index wollen AOK und DKFZ künftig alle zwei Jahre neu berechnen.
Insgesamt kann jedes Land bei der Auswertung bis zu 100 Punkte erreichen, die sich daraus errechnen, wie energisch die Länder gegen die Risikofaktoren Rauchen, Alkoholkonsum, eine unausgewogene Ernährung und mangelnde Bewegung vorgehen. Deutschland erhält demnach nur 36,9 von 100 möglichen Punkten. Nur die Schweiz schneidet noch schlechter ab.
In Deutschland spielen diese Faktoren laut dem Gesundheitsreport bei etwa vier von zehn Todesfällen eine zentrale Rolle. Die Studienautoren bemängeln, dass sich viele dieser Fälle vermeiden ließen – wenn die Bundesregierung denn effektive Gesetze auf den Weg bringen würde.
Sie fordern unter anderem, die Steuern auf Nikotin, Alkohol und Zucker zu erhöhen. Ähnliche Maßnahmen hätten sich in anderen Ländern längst bewährt. "In Sachen mutiger Präventionspolitik können wir sehr viel von unseren europäischen Nachbarn lernen", teilte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, mit.
Denn eigentlich gibt Deutschland pro Kopf mehr Geld für Gesundheit aus als jedes andere Land in der EU, wie die Autoren des Gesundheitsreports hervorheben. Im Jahr 2022 lagen die Ausgaben demnach bei insgesamt 5.317 Euro pro Person. Das waren rund 2.200 Euro mehr als im EU-Durchschnitt. Dennoch lag die Lebenserwartung demnach im selben Jahr zum ersten Mal knapp unter dem EU-Mittelwert von 81,4 Jahren.
Vermeidbare Risikofaktoren spielen hier laut den Studienautoren eine große Rolle. So starben nach einer Berechnung des DKFZ allein im Jahr 2021 rund 131.000 Menschen an den Folgen von Rauchen und Passivrauchen. Auch Adipositas und Alkoholkonsum hätten Schätzungen zufolge Zehntausende Tote gefordert, hohe Blutzuckerwerte und Bluthochdruck sogar jeweils mehr als 100.000.
"Prävention ist keine Privatsache"
"Prävention ist nicht nur Privatsache oder eine Frage der Eigenverantwortung, sondern muss politisch umfassend betrachtet werden", teilte die AOK-Vorstandsvorsitzende Reimann mit. Die Bundesregierung dürfe sich nicht nur auf Appelle und freiwillige Maßnahmen der Industrie beschränken, heißt es im Report.
Viel wirksamer seien Werbeverbote, Verkaufseinschränkungen und höhere Steuern auf Tabak oder Alkohol, wie sie seit einigen Jahren etwa in den skandinavischen Ländern erhoben werden. Solche Maßnahmen hätten etwa in Litauen den Alkoholkonsum deutlich reduziert, heißt es weiter. In den Niederlanden wiederum hätten viele Menschen mit dem Rauchen aufgehört, nachdem die Regierung die Tabaksteuer im Jahr 2024 deutlich angehoben hatte.
Die Erkenntnisse des AOK-Reports decken sich mit den Ergebnissen früherer Studien. Es sei "seit Jahren klar", dass Deutschland entsprechende Richtlinien der WHO nur "halbherzig" umsetze, sagte der Gesundheitswissenschaftler Hajo Zeeb der ZEIT. Es gebe hier nur wenig Regulierung – dafür aber ein "gutes Umfeld für Lobbys".