Als Casanova die Nacht anders als geplant verbrachte
Solothurn, 1760. Casanova mietet ein Landhaus an der Aare. Dort wartet er sehnsuchtsvoll auf „Madame de ...“, eine „Fee“, in die er sich verliebt hat – laut Casanova-Experten handelt es sich um Maria Anna Ludovica von Roll, 24 Jahre alt. Mit ihrem Ehemann wird sie drei Tage zu Besuch kommen. Eine erotische Eskapade naht.
Dann vergeht Casanova fast schon die Vorfreude, denn auch eine Freundin der Madame kündigt sich an. Es ist eine adelige Witwe, mit der er sich bereits mehrmals verkracht hat und die er als „abscheulich“ und, wegen einer Lahmheit, als „die böse Hinkende“ bezeichnet. Sie will mehrere Zimmer im Landhaus mieten. Weil eine Weigerung seine Chancen bei der Madame schmälern könnte, stimmt Casanova zähneknirschend zu.
Endlich treffen die Gäste ein. Casanova führt die Madame und ihren Gatten in die Zimmer, „die ich für sie hatte zurechtmachen lassen, da sie mir für meine Absichten am passendsten schienen.“ Das Ehepaar wird in separaten Räumen schlafen, die durch zwei Vorzimmer verbunden sind. Casanova besitzt die Schlüssel. Die Madame teilt ihm jedoch mit, dass sie ihrem Ehemann die erste Nacht versprochen hat. Casanova komme besser eine Nacht später. Am nächsten Tag gesteht sie, er müsse auch auf die zweite Nacht verzichten. So bleibt nur die dritte. Aber: „Die Liebe wird Sie erwarten!“
In den Armen des herrlichen Weibs
Nachts, kurz vor eins, schleicht Casanova ums Landhaus. Er tippelt ins erste Vorzimmer, darauf ins zweite. „Im Augenblick, wo ich (die Tür) wieder schloss, fühlte ich mich von einer Hand erfasst, während eine andere sich auf meinen Mund legte.“ Die Geliebten beginnen umstandslos, sich in vollen Zügen zu verwöhnen. „Ein Sofa stand neben uns; wir machten einen Altar daraus.“ In den Armen „des herrlichen Weibs (…), nach dem ich so lange geschmachtet hatte, erneuerte ich unaufhörlich die Beweise meiner glühenden Liebe.“ Zwei Stunden lang gibt es nur „das Geräusch unserer Küsse und unseren lebhaften Bewegungen.“ Dann schlägt die Uhr. Die beiden eilen in ihre Zimmer zurück.
Noch im Glücksrausch begibt sich Casanova am nächsten Morgen zum Frühstücktisch. Doch dort sitzt nicht die Witwe – die hat sich bereits verabschiedet –, sondern Madame. Sie beäugt ihn niedergeschlagen. Beim Spaziergang fragt Casanova, was los sei. „Ich bin erst um vier Uhr eingeschlafen“, gesteht sie ihm, „nachdem ich, in meinem Bette sitzend, ewig auf Sie gewartet hatte.“ Casanova erstarrt. Dann tritt er wortlos hinter eine Hecke, „um mich von einem Schrecken zu erholen, den kein Mensch ahnen konnte.“ Hat er, wegen der Dunkelheit und des Schweigens, in der vergangenen Nacht versehentlich Zeit mit der Witwe verbracht?
Ein Bote meldet sich mit einem Brief. „Ich habe Ihr Haus, mein Herr, recht befriedigt verlassen“, schreibt die Witwe. Nicht wegen des erotischen Abenteuers, „sondern weil ich mich für die Geringschätzung gerächt habe, die Sie mir gegenüber öffentlich zeigten.“ Zwei Nächte habe sie vergebens auf dem Sofa gewartet, in der dritten habe sie ihre Vermutung bestätigt gesehen, dass Madame ihren Ehemann mit Casanova betrügen wolle. Und um wirklich charmant zu enden, lässt die Witwe noch wissen, sie habe ihm, Casanova, eine Geschlechtskrankheit beschert. „Sie haben sich recht viel Mühe gegeben, um mir Ihre Liebe zu beweisen, und es ist unmöglich, dass Sie sich nicht angesteckt haben sollten.“
Als Casanova den Brief liest, ist die Madame schon abgereist, tief betrübt. Er versucht, ihre Ehre zu retten mit dem Gerücht, sein Bediensteter Leduc habe die Nacht mit der Witwe verbracht. Anschließend zieht Casanova nach Bern. Mit der Haushälterin aus seinem Landhaus, in die er sich stürmisch verliebt hat.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.