Rebellion mit Reispaste: Die neue Ausstellung bei Spore will die Welt verändern

Sporen sind mikroskopisch klein, geduldig und in der Lage, ihre Aktivitäten so lange einzustellen, bis die Bedingungen für ein mitunter explosives Wachstum wieder stimmen.

Im Berliner Haus Spore Initiative in Neukölln, das wie die Organismen heißt, passiert derzeit so ziemlich das Gegenteil: In diesem jüngst vom Deutschen Architekturmuseum „für herausragende zeitgenössische Architektur“ ausgezeichneten Gebäude vibriert es vor lauter Aktivität.

Es fällt allein schon auf, weil es anders ist als alle Architektur entlang der Hermannstraße. Ebenerdig zeigt die Fassade viel Glas und verschmilzt teils mit der Mauer des ehemaligen Friedhofs, der sich – nun als Garten mit einigen verfallenen Grabsteinen – weitläufig hinter dem Haus erstreckt. Darüber schotten recycelte Ziegel die beinahe fensterlosen Ausstellungsräume ab.

Zwei kantige Einbuchtungen schaffen eine ungewohnte Geometrie. Nötig wurden sie wegen der denkmalgeschützten Leuchtfeuermasten, die wie stilisierte Sprungbretter eines Schwimmbads aussehen und zum stillgelegten Flughafen Tempelhof gehören.

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Kommunikation ohne Hierarchien

Was in den Räumen von Spore geschieht, lässt sich mit konventionellen Ideen über künstlerische Produktionen schwer fassen. Es handelt sich um Kunst aus Communities des sogenannten globalen Südens, die unverkäuflich ist und in der Reflexion drängender sozialer wie ökologischer Themen entstehen.

Es gibt dazu ein Kultur- und Lernprogramm, Workshops, Diskussionen auch zu heiklen politischen Themen, kostenlose Lesungen oder Konzerte, zwei Ateliers für Künstlerinnen und Künstler und im Erdgeschoss ein Café. Und es gibt mit Antonia Alampi eine Direktorin, die zuvor den wichtigen Projektraum Savvy Contemporary mitleitete und den Berliner Kunstbetrieb deshalb inwendig kennt.

Dennoch hebt sich die aktuelle Schau „Unsettled Earth“ von gewohnten Ausstellungen ab. Sie ist ein Exempel dafür, wie sich zivile Initiativen und künstlerische Projekte miteinander verbinden. Kulturelles Wissen wird reaktiviert, um gegen festsitzende Denkmuster zu rebellieren; diesmal mithilfe von Graswurzel-Experimenten in Palästina, die jenseits aller fiktiven Besitzansprüche aus landwirtschaftlicher, ökologischer wie auch kultureller Sicht über das Potenzial von „Niemandsland“ nachdenken.

Zur Ausstellung

Unsetteld Earth mit Arbeiten von Ahmad Alaqra, Jumana Manna, Bayan Abu Nahlas und anderen Künstlerinnen wie Künstlern wächst und verändert sich bis zum 28. Februar 2026 in den Räumen von Spore Initiavtive, Hermannstr. 86, 12051 Berlin. Die Ausstellung hat geöffnet Donnerstag & Freitag von 15 bis 20 Uhr, Samstag & Sonntag von 12 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt. Über weitere Veranstaltungen des Projekts informiert die Website von Spore.

Die Ausstellung, die ein umfangreiches Programm begleitet, passt perfekt zu Spore. Es geht um Kommunikation ohne Hierarchien, um Austausch ohne Bevormundung, um eine Reflexion globaler Herausforderungen unter Berücksichtigung marginalisierter Praktiken, die etwa immer schon mit klimatischen Extremen umzugehen wussten.

Solche Initiativen bekommen hier Raum. Künstler wie der Mexikaner Rafiki Sánchez konnten in einem der hiesigen Ateliers arbeiten oder wie die Frauen der indigenen Warli-Gemeinschaft aus dem indischen Bundesstaat Maharashtra vergangenen Sommer ein monumentales Wandgemälde aus Reispaste bei Spore verwirklichen. Das alles lässt sich Hans Schöpflin viel Geld kosten.

Der Gründer Hans Schöpflin

Der Spore-Gründer und -Stifter trägt einen prominenten Namen. Allerdings wurde er nicht mit dem in Lörrach angesiedelten Versandhaus der Familie reich, denn das ging schon 1966 an den Konkurrenten Quelle. Hans Schöpflin, Jahrgang 1941, zog mit Anfang dreißig in die USA, wo er zuvor studiert hatte, wurde über Umwege selbst Unternehmer und machte mit Wagniskapital ein Vermögen.

Unternehmer und Mäzen: Hans Schöpflin

© Felix Groteloh

Dass er auch deshalb wegging, weil in Lörrach das fehlende unternehmerische Glück seines Vaters als Makel galt, erzählt Schöpflin im Büro von Spore mit feinem, ironischem Unterton. Dennoch ahnt man ein Stück Wahrheit hinter den Sätzen. Der Sohn ließ die Enge und das Provinzielle jener Zeit in Deutschland hinter sich, ging nach Kalifornien und lernte in San Diego den mehr als zwei Jahrzehnte älteren Unternehmer Sol Price kennen, dessen Eltern als jüdische Immigranten aus Minsk nach Amerika eingewandert waren. Price wurde sein Mentor.

Es gibt ein Bewusstsein hier, und es gibt ein Bewusstsein dort, beide haben selten Kenntnis voneinander. Wir wollen eine Plattform sein, wo echte Dialoge stattfinden.

Spore-Gründer und -Mäzen Hans Schöpflin

„Er kam aus der jüdisch-amerikanischen Tradition, in der Geben und Nehmen Bestandteil der Kultur sind“, erzählt Schöpflin. Wirtschaftlicher Erfolg, gepaart mit sozialer Verantwortung, das lag ihm aber auch. Sein Geld hat er von Anfang an reinvestiert, statt sich wie aufstrebende Kollegen um ihn herum eine Yacht zu kaufen: „Ich habe immer auf Menschen gesetzt und wollte ein verantwortlicher Unternehmer sein.“

Price habe ihn dennoch geformt. „Irgendwann meinte er, ich sei ja nun ein reicher Mann, und er habe da ein Projekt in San Diego. Unterprivilegierte Jugendliche aus Mexiko und anderen Regionen Südamerikas. Es wäre doch schön, wenn ich mit einsteigen würde. So hat er mich an die Philanthropie geführt.“

1998 gründete Hans Schöpflin noch in den USA die Panta Rhea Foundation zur Förderung gegenseitiger Verständigung im Einklang mit der Natur, drei Jahre später folgte die Schöpflin Stiftung in Lörrach-Brombach, wo er seit 2013 wieder lebt.

Rund zwölf Millionen Euro Stiftungsmittel stehen jährlich zur Verfügung. In der ehemaligen Villa seiner Eltern entstand ein Zentrum für Suchtprävention – vorangegangen war 1995 der Tod seines Sohnes Axel an einer Überdosis. Ein tiefer, schmerzhafter Einschnitt in Schöpflins Leben: „Über zwei Jahre habe ich mich danach besonnen, mich intensiv mit Buddhismus beschäftigt und der Frage nach dem Sinn meines Erfolgs. Was ist der Sinn des Geldes? Mir macht es ja auch Spaß, Geld zu verdienen. Aber je mehr ich verdiene, desto mehr kann ich dann auf der anderen Seite tun.“

Globales Wissen zirkuliert

Die Verbindung zum Buddhismus, der alles miteinander in Verbindung und den Menschen als Teil der Natur sieht, hat Schöpflins ökologisches Bewusstsein geschärft. In Kalifornien, wo Wasserknappheit ein virulentes Thema ist, war er mit seiner Stiftung zudem aktivistisch tätig. Ein erstes Projekt richtete sich gegen globale Großkonzerne, die 2001 in Colorado Wasser abzapfen und zu Geld machen wollten. Für Schöpflin ein Unding, sich ein common good anzueignen, wie er sagt: „Das empört mich bis heute.“ Drei Jahre hätten sie um das Wasser gekämpft, mit „vollem Risiko“. Und erfolgreich.

Was er damals auch begriff, war der Wert freier journalistischer Medien, die aus unterschiedlichen Perspektiven berichteten. Daraus resultiert „Publix“ als Haus für Journalismus und Öffentlichkeit, das vergangenen Herbst als Nachbar von Spore eröffnet hat.

Für Hans Schöpflin gehört beides zusammen und mündet in der Aufgabe, globales Wissen in Zirkulation zu bringen: „Es gibt ein Bewusstsein hier, und es gibt ein Bewusstsein dort, beide haben selten Kenntnis voneinander. Wir wollen eine Plattform sein, wo echte Dialoge stattfinden.“ Schöpflin ist ein Glücksfall für Berlin, das dieses Glück noch gar nicht richtig fassen kann.