Der Manierismus stört? Gut so.
Maria schaut ein wenig skeptisch drein, das Kind so grimmig, als ahnte es schon von seiner Bestimmung. Und die Heiligen sind auch nur Menschen. Das zeigt uns der Maler Michael Triegel in altmeisterlicher, geradezu hyperrealistischer Maniera. Fein gemalt mit Ölfarben und Eitempera, und noch verfeinert mit dem Einsatz von Blattgold.
Petrus trägt ein rotes Käppi, vielleicht hält er den Schlüssel zur MAGA-Kirche hoch. Der nachdenklich rauschebärtige Paulus neben ihm trägt einen Rabbinerhut. Ein streng gescheitelter Dietrich Bonhoeffer fixiert uns auf der anderen Seite des gut 240 mal 220 Zentimeter großen Gemäldes als evangelischer „Heiliger“. Und Michael Triegels Ehefrau ist auch im Publikum der „Sacra conversazione“ verwegit. Die in ihrer Gegenwärtigkeit so eindrucksvolle wie befremdliche Darstellung ergänzt seit fünf Jahren den 1541 im Bildersturm verlorenen Mittelteil des Altarretabels von Lucas Cranach dem Älteren im Naumburger Dom.
Ist das nicht Anbiederung an die Kunst der Renaissance? Muss man heute so altmodisch malen? Fragten sich bei Michael Triegel viele, die sich schon über den aufdringlichen Realismus der „Neuen Leipziger Schule“ wunderten, der er wie auch Neo Rauch angehörte. Ist das nicht rückwärtsgewandt, antimodern, reaktionär? Fanden manche, spätestens als der einstige Atheist den Auftrag annahm, Josef Ratzinger als Papst Benedikt XVI. zu porträtieren und Katholik wurde.
Der Kunsthistoriker Andreas Beyer hält den vermeintlichen Anachronismus hingegen für subversiv. In dem Bildband „Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren“ (Hirmer Verlag, 216 Seiten, 40 Euro) charakterisiert er Triegel als einen „der bildbewusstesten, im Wortsinne auch: bildkritischsten Maler überhaupt“. Neutral kann man wertschätzen, dass die Kirche mit dem Auftrag, ein christliches Gemälde aus der Zeit, als die regelstrenge Renaissance gerade erste Manierismen entwickelte, von einem unangepassten Gegenwartsmaler ergänzen zu lassen, hier der Kunstfreiheit wirklich Raum verschaffte – inklusive ästhetischer Kontroversen.
Für die Unesco steht der sogenannte Triegel-Cranach-Altar vor allem der eigenen Ideologie im Weg. Im Westchor, einem „Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft“ störe er die Sichtachsen in der Weltkulturerbe-Architektur. Das beanstandete die Kultur- und Bildungsorganisation der Vereinten Nationen schon 2022 kurz nach der Aufstellung. Der Marienaltar wurde pflichtschuldig abgebaut und Triegels Bild ging erst mal auf Tournee. Kaum zurück, droht die Unesco wieder mit dem Entzug des für die Tourismuswirtschaft bedeutenden Titels, wenn der Altar nicht an eine weniger exponierte Stelle im Dom verbannt wird.
Liturgisch ergibt das wenig Sinn, hört man von Geistlichen. Die evangelische Gemeinde in Naumburg pocht mutig auf kirchliche Selbstbestimmung. Und architekturhistorisch wie kirchenräumlich ist es unerheblich, ob das Altarbild von Triegel oder Cranach gemalt wurde, ob es inhaltlich gefällt, irritiert oder vor den Kopf stößt. Die Unesco hat das Gesamtwerk Naumburger Dom völlig zu Recht 2018 als „einzigartiges Zeugnis der mittelalterlichen Architektur und Kunst des 13. Jahrhunderts“ in die Welterbeliste aufgenommen. Als Kritiker der Gegenwartskunst sollte sich die Unesco nicht aufspielen.