Exil-Autoren beim Internationalen Literaturfestival Berlin: „Heimat ist dort, wo ich mich sicher fühle“
Sieben Euro fünfzig der Cocktail, 50 Cent ein Gedicht. Braucht es noch einen besseren Vergleich für den Wertverfall der Literatur? 50 Cent, das sind inflationsbereinigt weniger als die zehn Pfennige am Kaugummiautomat meiner Kindheit.
Doch was der Exil-Poesieautomat ausspuckt, ist nicht klebrig-süß, sondern bitter und erfahrungsschwanger: „wie viele wörter muss ich in mich/ stecken um frei sprechen zu/ können/ um keine fremde zu sein“, heißt es im Gedicht der belarussischen Lyrikerin Volha Hapeyva, die im Auftrag der Körber-Stiftung die Idee des Lyrik-Spenders entwickelt hat. Die Automaten sind derzeit im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung aufgestellt, rundum die Fotografien der vertriebenen Deutschen nach 1945 in der aktuellen Ausstellung „Der Treck“. Relativierung oder die Erinnerung daran, dass niemand sicher sein kann?

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Fremdheit und Heimat im Exil sind die Themen, die das Zentrum im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Berlin einen langen Abend in den Mittelpunkt stellt, und die Vielfalt der Gäste und des Publikums belegt einmal mehr die Internationalität der Stadt. Was bedeutet Schreiben im Exil und wie spiegelt sich diese Erfahrung in der Literatur? Zunächst einmal muss man oder frau es erst einmal in ein sicheres Land schaffen.
Die ugandische Schriftstellerin und Feministin Stella Nyanzi saß zwei Mal im Gefängnis und wurde gefoltert, bis sie endlich freigelassen wurde und mit einem PEN-Stipendium mit ihren beiden Kindern nach München kam. Ihr Vergehen: Sie hatte den autoritären Staatspräsidenten Museveni und seine Frau, die Bildungsministerin ist, „ein paar Arschbacken“ genannt.
Diktion und Habitus der promovierten medizinischen Anthropologin, die Frauen in ihrer Heimat über Sex, Verhütung und Hygiene aufgeklärt hat, sind bewusst rüde, sie enthüllt auch schon mal ihre Brüste. Ihre Absicht ist, das Schweigen in ihrem Land zu brechen, die Menschen aufzurütteln. Drei Jahre Freiheit gewährt ihr das Stipendium, und das lange rollende R in „Freedom“ erzählt davon, welche Bedeutung das für Nyanzi hat. „Heimat ist dort, wo ich mich sicher fühle.“ Ihre Kinder sprächen inzwischen sehr gut bayrisch. Das Berliner Publikum lacht.
Das Festival
Das Internationale Literaturfestival Berlin läuft noch bis zum 20. September im Haus der Berliner Festspiele sowie weiteren Orten in Berlin. Es wird seit 2023 geleitet von Lavinia Frey und präsentiert über 100 Lesungen, Buchpremieren und Diskussionen. Durchschnittlich kommen rund 20.000 Besucherinnen und Besucher zu den Veranstaltungen.
Auch der prominente türkische Journalist Can Dündar erzählt von seiner Hafterfahrung, die er nur mittels Bücher überstanden habe. Seitdem er nach einem Mordanschlag 2016 nach Deutschland ausreisen konnte, säße er „im Warteraum“, sagt er, denn Exil sei nichts anderes als das Warten darauf, dass sich die Situation ändere. „Von mir wird erwartet, dass ich über Erdoğan spreche“, er sei in „doppelter Mission“ unterwegs, für die Menschen in der Türkei und das Publikum im Westen. Inzwischen über die zweisprachige Online-Plattform „Özgürüz“.
Schreiben im Warteraum
Dagegen versucht der aus Belarus stammende Schriftsteller und diesjährige Leipziger Buchpreisträger Alhierd Bacharevič die Rolle des Aktivisten hinter sich zu lassen. Sein Auftrag sei es, poetische Regeln zu brechen und nicht ständig über die politische Situation in seinem Land zu reden. „Endlich werden meine Bücher als Literatur wahrgenommen und nicht als Klage“.
Als Wanderer zwischen den Welten fühlt sich der 1986 in Afghanistan geborene, im Iran aufgewachsene, als 18-Jähriger nach Afghanistan zurückgekehrte und mittlerweile in Berlin lebende Schriftsteller und Dramatiker Taqi Akhlaqi.
Vor jedem Text steht die Frage: In welcher Sprache schreibe ich und für wen?
Taqi Akhlaqi, in Afghanistan geborener und in Berlin lebender Autor
In seinem Buch „Versteh einer die Deutschen“ beleuchtet er sein Verhältnis zu seinem Gastland: „Vor jedem Text steht die Frage: In welcher Sprache schreibe ich und für wen?“ Im Gespräch am Stehtisch im Foyer erzählt er, er stelle sich immer eine ganz bestimmte Person vor, für die ein Buch bestimmt sei, ohne dass diese es wisse. Ein Fall für literarische Detektive.
Verteidigt eure Demokratie!
Über die Literatur der Exilierten ist auf den Veranstaltungen allerdings wenig die Rede, Moderatorin Shila Behjat verharrt weitgehend auf der Umlaufbahn biografischer Exil- und Schreiberfahrung.
Lediglich Autorin und Filmemacherin Irene Langemann, die über die Geschichte ihrer Familie als „Russlanddeutsche“ schreibt – ein problematischer Begriff, wie sie erklärt –, und Uwe Wittstock („Marseille 1941“) sprechen weitschweifig über ihre Bücher. Was die Verfolgten des Nazi-Regimes und die heutigen Flüchtlinge eint, sagt Wittstock, sei, dass sie alle nicht willkommen gewesen seien und sind. Wie wahr.
Deutschland ein Wartesaal. Das ist keine neue Metapher in der Literatur. Man könnte das politisch auf hiesige Verhältnisse wenden und sich fürchten. Die aus allen Teilen der Welt hierher Geflohenen haben, trotz resignativer Gesten, auch Hoffnung.
Dündar hofft auf die jüngere Generation in der Türkei, die nichts anderes kennt als Erdoğan, aber anderes will. Bacharevič erzählt von den 51 aus den Gefängnissen in Belarus Entlassenen im Rahmen des aktuellen Deals mit Trump. Und dem einen mutigen Politiker, der trotz allem im Land bleiben will. Und Stella Nyanzi ruft auf: Verteidigt eure Demokratie!