Sie haben den Namen des Herrn missbraucht

"Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht." (Zweites Gebot)

Donald Trump, JD Vance, Stephen Miller, Marco Rubio, Pete Hegseth, und wie sie alle heißen, haben es auf der Trauerfeier für den ermordeten Charlie Kirk getan. Sie haben den Namen des Herrn missbraucht, mit einer anmaßenden Veranstaltung, einem Hochamt der Selbsterhöhung, einer Liturgie der Verschmelzung von Evangelium und nationalistischer Rhetorik. 

"Hass ist keine Antwort auf Hass." Einen Augenblick lang hatte Erika Kirk mit diesen Worten den Geist des Evangeliums aufleuchten lassen. Doch der amerikanische Präsident erstickte diesen Moment mit seiner Hassrede. "Ich hasse meine Feinde und wünsche ihnen nicht das Beste. Sorry, Erika." Dann die Umarmung der Witwe – ein Übergriff auf ihre Botschaft, die Erniedrigung des Evangeliums unter den Geist des Hasses. Das Bild bleibt in Erinnerung als ein Moment maximaler Verwirrung. Vereinigung des Unvereinbaren durch Vereinnahmung.

Alles Richtige wird falsch

Missbrauch macht, dass alles Richtige falsch wird. Es ist wie bei einem Notentext, der hinter einem Violinschlüssel steht. Wenn man den Violinschlüssel durch einen Bratschenschlüssel ersetzt, wird alles, was dahintersteht, falsch. Der Notenschlüssel der MAGA-Bewegung, mit ihrem Trump- und Märtyrerkult, verfälscht buchstäblich alles, was fromm klingend daherkommt. Es gibt keinen Satz mehr im Evangelium, den man gegen diese Vereinnahmung schützen kann. Ein "unglaublich großes Publikum" (Donald Trump) machte in Glendale im Bundesstaat Arizona mit bei der Trauerfeier für Charlie Kirk. Dieses Ereignis steht für einen ebenso abgründigen wie destruktiven Irrweg der "christlichen" Rechten.

Es ist zu wenig, dem Missbrauch des Evangeliums einige Einzelzitate aus dem Evangelium, etwa aus der Bergpredigt, entgegenzuhalten. Das Vorzeichen vor dem ganzen Text entscheidet, wie er in seinen Einzelaussagen zu verstehen ist. Für die ersten Christen lautete das Vorzeichen: "Wir verkündigen einen gekreuzigten Messias", heißt es im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth. Damit waren zwei Entscheidungen getroffen, die Licht auf das Ganze werfen sollten. Erstens: Der Messias – der Gesalbte, der König – hat keine Macht. Es geht also um etwas anderes als um Macht. Das Christentum hat zwar selbst immer wieder dem Kult der Macht gehuldigt. Aber es kennt auch vom Gekreuzigten her einen machtvollen Einspruch gegen den Kult der Macht. Er gehört zur DNA des Christentums, gerade weil der Gekreuzigte in seiner Ohnmacht das Vorzeichen des gesamten christlichen Glaubens ist. Dieser Einspruch durchzieht ebenfalls die Geschichte des Christentums. Von seinem Ursprung her bricht es mit der Vorstellung von einem rettenden Machthaber, der entsprechend den Worten des zweiten Psalms die feindlichen Völker der Erde "mit eiserner Keule zerschlägt, wie Krüge aus Ton zertrümmert".

Paradox formuliert: Das Christentum stellt der anmaßenden Macht von Mächtigen, die den Namen Gottes missbrauchen, um ihre Macht zu steigern, die Macht der Ohnmacht entgegen. Daraus folgt der in der Theologie sogenannte eschatologische Vorbehalt gegenüber allen irdischen Erscheinungsformen der Macht. Es gibt keine Macht, die mit der Macht Gottes gleichgesetzt werden kann. Das säkulare Pendant zu diesem Vorbehalt ist die Selbstbeschränkung des Rechtsstaates, der von sich selbst weiß, dass seine Rechtssetzung und Rechtsprechung niemals ganz identisch sein werden mit der Gerechtigkeit. Es gibt eben eine Schwäche, die eine Stärke ist. Sie zu verraten, um gegen "das Böse" zu siegen, "das sich immer noch unter uns bewegt" (JD Vance), ist der eigentliche Verrat, auch der Verrat am Christentum – denn es tauscht den Notenschlüssel aus.

Die Frucht des Bekenntnisses zum Gekreuzigten war in der nachösterlichen Zeit die Versöhnung der Völker in einer neu entstehenden Gemeinschaft namens Kirche, ein "Friede" zwischen den Völkern. "Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Nichtjuden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder", so steht es im Brief an die Gemeinde in Ephesus. Und in dem an die Gemeinden in Galatien: "Es gibt nicht mehr Juden und Nichtjuden … sondern ihr seid eins in Christus." Das ist die zweite Aussage, die mit dem Notenschlüssel des Kreuzes einhergeht: Die Feindschaft zwischen den Völkern wird überwunden, nicht bloß abstrakt im Denken, auch nicht in einer staatlichen Form, sondern durch die Zusammenkunft in einer gesellschaftlichen Größe, die sich Kirche nennt. 

Der Gefahr der Selbstsakralisierung oder auch Selbstverstaatlichung ist diese Kirche im Laufe der Geschichte immer wieder erlegen. Doch das Vorzeichen vor dem ganzen Evangelium ist und bleibt ein völkerübergreifendes, universalistisches Ethos der Nächstenliebe, das an der Basis praktiziert wird und von dort aus zu einer Kirche wächst. Es ist jedenfalls das genaue Gegenteil von dem, was die neue, selbst ernannte christliche Rechte propagiert, wenn sie die Liebe zu den eigenen Leuten über die von dem Evangelium gemeinte Liebe zum Nächsten stellt – und damit auch noch Deportationspolitik rechtfertigt. Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar.

Außerordentliche Gnade

Die Gedenkfeier für Charlie Kirk begann mit einer Dudelsackkapelle, die das Lied Amazing Grace intonierte. Es ist dasselbe Lied, das Barack Obama am Ende seiner Trauerrede im Juni 2015 für den ermordeten Pastor Clement Pinckney anstimmte. Der Text des Liedes wurde 1772 von John Newton in England geschrieben. "Amazing grace. How sweet the sound, that saved a wretch like me. I once was lost, but now am found. Was blind, but now I see." Einst war ich verloren, aber jetzt hat Gott mich gefunden. Newton wurde erst spät in seinem Leben Pastor. Davor fuhr er zur See und half mit, versklavte Menschen von der afrikanischen Westküste nach Amerika zu verschleppen. Als ehemaliger Sklavenhändler erzählt er in dem Lied von der "außerordentlichen Gnade" Gottes, die er als Sünder selbst erfuhr. Sein Herz "erschaudert" bei dem Gedanken, selbst am Sklavenhandel mitgewirkt zu haben. 

Das Christentum ist nicht zu denken ohne die Bereitschaft zur Reue. Das ist ein letzter Notenschlüssel vor dem Text des Evangeliums: Es ist zunächst kritisch an einen selbst gerichtet. Am Anfang des Evangeliums steht der Ruf zur Umkehr, besser übersetzt: zum Umdenken, was mindestens bedeutet: zur Überprüfung des eigenen Mindsets, nicht nur einmal und dann nie wieder, sondern immer dann, wenn "die Zeit", der kairós, eine Gelegenheit dazu da ist. Der Missbrauch des Namens Gottes beruht hingegen auf einer Lektüre des Evangeliums im Geist der Selbsterhöhung. Deren Rückseite ist immer die Erniedrigung der anderen. 

Mit Gegenpredigten kann man solchermaßen Verblendeten nicht die Augen öffnen. Mit Gewalt auch nicht. "Hass kann keine Antwort auf Hass sein", auch nicht Hass auf die anmaßenden Großnarzissten, die Hass predigen. Auch der Hass gegen eine böse Sache "verzerrt die Züge" (Bertolt Brecht). Zur Macht der Ohnmacht gehört vielmehr die Hoffnung. "Der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht." Man darf hoffen – und daran arbeiten –, dass das absehbare Desaster nicht zu viele Unschuldige mit in den Abgrund reißt.