Colin Farrell taumelt durch Macaus Glitzerhölle wie ein Engel, der vergaß, warum er fiel

Minutiös biegt Colin Farrell die Karten am Rand nach oben, um zu erspähen, ob ihm das Glück gewogen sei. Seine Hände stecken in exaltierten gelben Lederhandschuhen. Die stammen angeblich aus Londons Savile Row. In Wahrheit sind sie „Made in China“ – Kulisse und Blendwerk, wie alles hier.

Die Kamera ist so nah dran, dass wir das Ächzen des Papiers hören. In den Schweißperlen auf Farrells Stirn spiegeln sich höhnisches Neonlicht, harter Marmor und kalt blitzendes Chrom: Wir befinden uns im Casino-Kosmos von Macau, Welthauptstadt des Glücksspiels, mit einem Jahresumsatz sechsmal so hoch wie Las Vegas. Ein effekthascherisches, menschenfeindliches Soziotop. Lord Doyle, wie Farrells Figur sich nennt, mag sich noch so großspurig geben, in maßgeschneiderten Anzügen in seetanggrün, blutrotem Sakko und mit todesmutig pomadisierten Haaren – auch er wird bald die Segel streichen.

Es ist nicht ohne Ironie, dass auch Netflix, der Produzent des neuen Films des zurzeit international erfolgreichsten deutschen Regisseurs, Edward Berger („Konklave“, „Im Westen nichts Neues“), alles tut, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen: Journalisten wird „Ballad of a Small Player“ nur zwei Tage vor Kinostart gezeigt, also erst kommende Woche. (Bei Netflix ist er Ende des Monats zu sehen.) Ich habe ihn beim Zürcher Filmfest erwischt, wo er seine Europapremiere feierte, und kann deshalb berichten. 

Das Erste, was wir von Farrell hören, ist ein lautes „Fuuuuck!“, als er in seiner Suite erwacht, inmitten leerer Champagnerflaschen. Er ist pleite und verzweifelt, vor allem wirkt es aber, als habe er die verheerenden internationalen Kritiken vernommen: Der Film sei stylish, aber hohl, verliere sich in oberflächlichen Klischees, habe nichts zu erzählen. Berger habe seine erste Bauchlandung hingelegt.

Das ist, um es klar zu sagen, nicht fair. Es hilft, wenn man Lawrence Osbornes gleichnamige Romanvorlage gelesen hat, die vor zehn Jahren erschien: eine düster-melancholische Selbstbefragung, eine zerquälte Geistergeschichte in einem dekadent-heruntergekommenen Blade-Runner-Asien. Sie lebt nicht zuletzt von der dräuenden Atmosphäre. Berger und sein Kameramann James Friend drücken stattdessen gehörig auf die Tube. So muss man ein bisschen suchen, bis man hinter den explodierenden Farben und der komischen Groteske die verlorene Seele dieses kleinen Meisterwerks entdeckt. Nur Geduld, sie ist da, wie die Glückssträhne, die auch dem größten Pechvogel einmal zuteilwird.