Und lachend fallen wir in den Abgrund

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 45/2025.

Es gibt eine alte Kurzgeschichte von Isaac Asimov, die geht so: Ein kluger Programmierer erzählt einem noch viel klügeren Supercomputer Witze. So richtige Witzewitze, wie man sie in den Fünfzigerjahren erzählt hat, als Asimov die Geschichte schrieb – kommt ein Mann zum Arzt, geht ein Pferd in eine Bar und so weiter. Der Programmierer erzählt dem Supercomputer die Witze, damit der sie analysiert, denn der Programmierer will eine Frage klären, von der er glaubt, dass nur ein Supercomputer sie beantworten kann: Wer erfindet die Witze? Dem Programmierer ist nämlich aufgefallen: Man erzählt sich immer Witze weiter, aber nie trifft man einen, der sich die Witze ausdenkt. 

Also rechnet der Computer und sagt: Alle Witze kommen von Außerirdischen! Die Außerirdischen haben sie uns ins Gehirn gepflanzt, sie wollten auf diese Weise mehr über unsere Psychologie erfahren. So wie man Laborratten in ein Labyrinth setzt, um sie zu studieren. Die Witze sind unser Labyrinth. Dann sagt der Supercomputer noch: Sobald auch nur ein Mensch davon erfährt, dass die Witze ein Experiment der Außerirdischen sind, funktioniert das Experiment nicht mehr und die Außerirdischen werden uns die Witze wieder wegnehmen. Und tatsächlich: Der Programmierer und seine Kollegen können sich plötzlich an keinen einzigen Witz mehr erinnern. Und wenn sie einen lesen würden, dann würden sie nicht mehr darüber lachen. Die Aliens haben uns den Humor wieder weggenommen.

Die Kurzgeschichte ist ein bisschen albern, aber das passt ja. In Wirklichkeit nämlich haben die Außerirdischen uns die Witze nie wieder weggenommen. Leider. Wir haben sie immer noch. Und jeden Tag werden sie mehr. Vor knapp 70 Jahren, als Asimov die Geschichte schrieb, war Komik nur eine Ausdrucksform unter vielen. Heute ist sie die Form, in die alles gegossen werden soll. Früher hat man gesagt: Witz, komm raus, du bist umzingelt. Heute haben die Witze uns umzingelt. Wir entkommen ihnen nicht mehr. Es herrscht eine strenge Lustigkeitspflicht, die sehr ernst genommen wird. Deswegen kommt uns das Ende von Asimovs Kurzgeschichte heute noch viel seltsamer vor als den Lesern in den 1950ern. Wir können uns noch viel weniger vorstellen, wie das wohl wäre: eine Welt, in der alle Witze verschwunden sind. 

"Alles ist witzig", klagte der Komiker Tommi Schmitt schon vor einigen Jahren über die Durchhumorisierung unserer Gegenwart. "Werbung ist witzig, tolle Überschriften aus der taz sind witzig, die Rede zu Opis 70. Geburtstag ist witzig, sogar die Polizei auf Twitter ist witzig." Tatsächlich kann man im 21. Jahrhundert nicht mal über die Straße laufen, ohne dass ein Müllauto vorbeifährt, auf dem noch ein Witz steht ("We kehr for you"). Die Deutsche Bahn produziert jetzt ihre hauseigene Comedyserie mit Anke Engelke, und die Durchsagen in ihren Zügen werden jedes Jahr verwitzelter. Als ich vor Kurzem in die Hauptstadt fuhr, riet der Zugführer kurz vor der Endhaltestelle über die Lautsprecher: Man solle bitte an sein Gepäck denken, denn "nix is' schlimmer als ohne Schlüpper in Berlin zu stehen".

Trump ist tatsächlich ein talentierter Komiker

Einem echten Komiker wie Tommi Schmitt macht das Sorgen. Nicht nur, weil ihm jetzt alle Konkurrenz machen. Auch weil er am besten weiß, dass Komik nicht alles ist: "Wir sind humorübersättigt. Aber wo bleibt das Fundament? Oder fahren wir einfach lachend in den Abgrund rein?" Wir können uns heute, um einen bekannten Spruch abzuwandeln, eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende der Witze. Vom "Ende der Ernsthaftigkeit" schrieb deswegen die Literaturwissenschaftlerin Lauren Michele Jackson Anfang dieses Jahres im New Yorker: "Die angemessene erste Reaktion auf wirklich alles ist Gelächter, so scheint es; nichts stellt den eigenen Geschmack so gänzlich infrage, wie darauf hingewiesen zu werden, man 'nehme etwas zu ernst'."

Egal, was passiert, ob schön oder traurig oder hoffnungsvoll oder schlimm, irgendeiner wird einen Gag daraus machen. Die Zeiten mögen besonders ernst sein, für die Comedy ist es einerlei. "Nichts ist lustig, aber alles ist es", schreibt Lauren Michele Jackson. Schuld daran sind natürlich die Millennials. Chanon Cook, die Chefin des US-Senders Comedy Central, erklärte 2015: "Comedy ist für diese Generation das, was Musik für vorherige Generationen war." Der Sender hatte zuvor in einer Studie herausgefunden, dass sich Menschen, die zwischen 1980 und 1995 geboren sind, vor allem über ihren Humor definieren. Die deutschen Millennials sind aufgewachsen mit Harald Schmidt, Stefan Raab, RTL Samstag Nacht, Bullyparade und der Wochenshow, später haben sich viele von ihnen dann in der Daily Show und dem Colbert Report über amerikanische Politik aufklären lassen, und schließlich sind sie Jan Böhmermann und El Hotzo auf Twitter gefolgt, weil die auch irgendwie links und lustig waren. Und das war schließlich, worum es oft ging. 

Also eigentlich ging es vor allem ums Lustigsein. Rechtsherum passierte nämlich das Gleiche, da waren es die 4chan-Kids, die im Internet ihre Menschenverachtung "just for the lulz" einübten und die dabei mithalfen, Trump 2016 zum US-Präsidenten zu machen. Sie erfanden einen rechten Humor, der so erfolgreich wurde, dass selbst Elon Musk, der immer mal wieder reichste Mann der Welt, sich seiner Macht unterwirft und verzweifelt versucht, auch so lustig zu sein – klappt leider nicht, weil man sich Humor nicht kaufen kann, nicht mal rechten. Trump hingegen ist tatsächlich ein talentierter Komiker – man muss sich nur daran erinnern, wie er im Wahlkampf 2024 so ganz nebenbei die seltsam gekünstelte Sprachmelodie, in der Kamala Harris alle ihre Sätze vorträgt, persiflierte: "The bus will go here and the bus will go there. Because that's what busses do." Das war sehr lustig. Wir wollen uns das nicht so gern eingestehen, weil Komik irgendwie was Gutes sein soll. Dass böse Menschen keine Lieder haben, gilt längst als widerlegt, aber dass sie nicht witzig sind, daran halten wir uns unbedingt fest, obwohl es natürlich genauso falsch ist.