"Genauso ist das gewesen"

Der Applaus ist längst verklungen, die meisten Besucherinnen und Besucher sind trotzdem geblieben. Rund einhundert fein angezogene Operngänger sitzen um kurz nach zehn Uhr abends am vergangenen Freitag im Foyer des Opernhauses in Chemnitz. Ihre Blicke sind auf eine Stuhlreihe gerichtet, hinter der ein Weihnachtsbaum leuchtet. Vor wenigen Minuten haben sie noch das Stück Rummelplatz gesehen, jetzt folgt das Nachspiel.

2025 war Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt. Das Jahr ist zwar noch nicht vorbei, aber die Stadt hat den Titel am vergangenen Wochenende feierlich wieder abgegeben, die große Bühne am Karl-Marx-Denkmal ist abgebaut. Und während sich in der einstigen Industriestadt nun die ersten Debatten darüber andeuten, wie man bewahren könnte, was hier in den vergangenen Monaten nicht nur kulturell, sondern auch gesellschaftlich entstanden ist, kann man in der Oper an diesem Abend noch einmal erleben, wofür das Jahr eigentlich stand.

Seit September läuft Rummelplatz in Chemnitz. Die Oper beruht auf dem Roman von Werner Bräunig und erzählt von Arbeitern und Arbeiterinnen der Wismut AG. Die Autorin Jenny Erpenbeck hat aus dem Text eine Oper gemacht. Alle Vorführungen sind ausverkauft. Der Andrang war so groß, dass Zusatzvorstellungen geplant wurden – eine Seltenheit für ein zeitgenössisches Stück. Das Besondere: Nach fast jeder Vorstellung bietet die Oper eine Nachbesprechung an, nennt es "Gedankenkarussell". Diskutiert wurde schon über "ostdeutsche Lebenswelten im Umbruch", über Geschichtsdarstellungen in der Kunst oder "Industriestädte und ihre Geschichten".

Am vergangenen Freitagabend dreht sich das Gedankenkarussell um das Thema "Arbeiteridentitäten im Wandel". Wie hat sich das Bild der Arbeiterinnen und Bergleute nach dem Niedergang der Wismut und den Umbrüchen der Neunziger verändert? Darüber soll das Publikum heute diskutieren. Vor dem Weihnachtsbaum sitzen die Schauspielerin Elisabeth Dopheide und ihr Kollege Thomas Essl, die gerade noch auf der Bühne einen Volksaufstand angezettelt haben, daneben die Dramaturgin Friederike Pank und der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser.

Kaiser hat mehr als ein Jahrzehnt lang den Nachlass der Wismut erforscht. Denn in der DDR war das Unternehmen einer der größten Auftraggeber staatlicher Kunst. Mehr als 300 Werke hat er für das Kulturhauptstadtjahr in der Ausstellung Sonnensucher in einer alten Baumwollspinnerei in Zwickau zusammengetragen. "Das Thema wurde lange tabuisiert", sagt er jetzt im Opernfoyer und lehnt sich nach vorn zum Publikum. Auch im Kulturhauptstadtjahr habe sich kaum ein Museum in Chemnitz an das "ambivalente Erbe" der Wismut gewagt.

Tabuisiert, weil in Chemnitz und Umgebung zeitweise mehr als die Hälfte des Urans für das sowjetische Atombombenprogramm abgebaut wurde. Die Arbeit machte die Menschen krank, viele wurden gezwungen, unter Tage zu gehen. Umso glücklicher sei er, sagt Kaiser und schaut zur Dramaturgin Pank, dass ausgerechnet die Oper sich an eben dieses Erbe gewagt habe. Das Publikum applaudiert.

Pank sagt: "Bergleute galten in der DDR als Idealbild der Arbeiter." Für die Schufterei unter Tage hätten sie Ansehen und gute Bezahlung genossen. Gerade in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg seien sie oft besser versorgt gewesen als der Rest der Bevölkerung. "Und diese Faszination mit der Bergmannsidentität ist nichts, was mit den Neunzigern seinen Untergang gefunden hat", sagt Pank.

Kaiser erklärt, das Arbeiterbild in der DDR sei von "körperlicher Stärke, Führungsqualität und Kollektivität" geprägt gewesen. Gerade in den Fünfzigern und Sechzigern wurden Bergleute so auch in der bildenden Kunst dargestellt, etwa in den Werken des Künstlers Werner Petzold. Bis heute bestimmten diese Darstellungen das Bild der Wismut-Arbeiter. Erst im Laufe der Zeit hätten sich immer mehr Künstler auch der Umweltzerstörung oder den Arbeitsbedingungen bei der Wismut gewidmet.

In der Oper Rummelplatz treffen nicht nur überzeugte Kommunisten und Heldinnen der Arbeit zusammen. Zunächst sind sie stolz auf ihre Stellung, auf die harte Arbeit und darauf, das Erz abzubauen, "das die Welt im Gleichgewicht hält". Im Stück sieht man, wie sie in engen, dunklen Kammern teilweise mit bloßen Händen das Uran aus dem Stein schlagen. Die Schauspieler bewegen sich in Zeitlupe, ihre Gesten wirken schwer, gequält. Aber nach einem Grubenunglück beginnen sie zu zweifeln.