„Friedrich Merz hat ohne eigenes Zutun den Kairos erreicht“
Good morning Germanistan! Wird jetzt alles besser?“ ist eine Geschichte aus Absurdistan, genauer aus Deutschland 2025. Die Autoren, Henryk M. Broder und Reinhard Mohr (beide schreiben für WELT), standen früher beide politisch links – lange ist es her. Ein linksgrünes Milieu, so ihr Befund, hat wichtige Fragen wie etwa die illegale Migration systematisch ignoriert und sich lieber mit Themen wie einer gendergerechten Sprache, der postkolonial korrekten Umbenennung von Straßennamen oder dem Kampf gegen vermeintliche Transphobie befasst.
Satire ist immer weniger zu unterscheiden von ernst gemeinten Forderungen. Keine Satire ist es, dass die Linke in Berlin im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit fordert: „Umsonst pinkeln für alle! Pinkeln ist ein Grundbedürfnis, das alle Menschen haben, und das darf kein Geld kosten – dafür kämpft die Linke seit vielen Jahren.“ Andere „Aktivistinnen“ kämpfen für gender- und transgerechte Toiletten, Frauen-Pissoirs und spezielle Umkleidekabinen für LGBTQI**-People, für „Safe Spaces“ an Schulen und Unis, in denen „jede*r“ sicher ist vor möglicherweise verletzenden Tatsachen, Themen und Gedanken und natürlich für diskriminierungsfreien Sportunterricht, der die schützenswerten Interessen von „mehrgewichtigen Schüler*innen“ respektiert.
Täglich gibt es neue Absurditäten, die man in diesem Buch hinzufügen könnte, so wenn eine Fürsprecherin „sozialer Gerechtigkeit“, die Journalistin Mareice Kaiser, im „Freitag“ erklärt: „Wenn ihr euren Kindern bei den Hausaufgaben helft, verstärkt ihr soziale Ungerechtigkeit. Das Private ist politisch.“ Man möchte fragen: Verstärkt es auch soziale Ungerechtigkeit, wenn man seinen Kindern Bücher in die Hand drückt oder beim Mittagstisch über Politik spricht, weil das vielleicht in Familien von „Unterprivilegierten“ nicht geschieht?
Aber bitte mit CDU-Kohle
Broder und Mohr erinnern an den Tweet von Jette Nietzard, Sprecherin der Grünen Jugend: „Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen.“ Nach Protesten löschte sie ihn. Ebenfalls auf Twitter hatte sie stolz bekannt gegeben: „… habe gerade meine Bachelorarbeit mit ner 1,0 bestanden. Bin jetzt valide Expertin für kapitalismuskritische frühkindliche Bildung, falls ihr so was mal braucht.“
Leute, die sich mit solchen Themen befassen, arbeiten in der Regel nicht in der freien Wirtschaft, sondern leben vom Geld der Steuerzahler. Deshalb stand die Kulturszene in Berlin Kopf, als die Regierung ankündigte, künftig müsse man mit nur noch 950 Millionen Euro im Jahr künstlerisch über die Runden kommen. Broder und Mohr fragen: „Wie soll man die provokativ gesellschaftskritischen Tanzperformances, die subversiven, queer-feministischen Videoinstallationen und all die progressiven, antiglobalistischen Off-Theater-Projekte gegen Rassismus, Sexismus und Neoliberalismus auf die Bühne stemmen, ohne dass die staatskapitalistische CDU-Kohle von Kai Wegner & Konsorten weiterfließt?“
Die Autoren, die beide in Berlin leben, nehmen die Latte-macchiato-Milieus mit Sprachwitz aufs Korn, wo sich das Leben zwischen der Deutschen Umwelthilfe, antirassistischen Initiativen, postkolonialen Arbeitskreisen und queeren Stadtteilgruppen abspielt und das Kreuz bei den Grünen so selbstverständlich ist wie das Zähneputzen am Abend.
„Eklatante Realitätsverweigerung“
Die Toleranz gegen Andersdenkende in diesem Milieu ist gering ausgeprägt. Es werden Meldestellen eingerichtet, natürlich mit Geld vom Steuerzahler, wo man Bürger anschwärzen kann, die sich verdächtig äußern. Seit Längerem gibt es schon die von „Antonio Amadeu Stiftung“ betriebene „Meldestelle Antifeminismus“, bei der – anonym – vorgeblich frauenfeindliche Äußerungen angezeigt und registriert werden können, gefördert vom Bundesfamilienministerium.
Insgesamt 50 unterschiedliche Meldestellen und -portale gibt es in Deutschland, darunter „Hessenschauthin“, eine Meldestelle für „rechtsextreme und rassistisch motivierte Vorfälle“, und „HessenGegenHetze“, dazu viele weitere Melde- und Dokumentationsstellen für „menschenfeindliche Vorfälle“ von Baden-Württemberg bis Hamburg. In Hamburg wird die „Meldestelle gegen antimuslimischen Rassismus“ MARWA praktischerweise gleich von der „Schura“, dem „Rat Islamischer Gemeinschaften in Hamburg e.V“ betrieben.
Zur geistigen Verwirrung in unserem Land gehören jedoch nicht nur all diese linksgrünen Projekte, sondern auch die bei BSW, AfD und deren Wählern beliebte Verharmlosung des russischen Imperialismus. Dem knappen Eingeständnis, dass Putin der Angreifer ist, folgen wortreiche Belehrungen über die „Vorgeschichte“, die man auf keinen Fall unterschlagen dürfe – der Westen habe auch Fehler gemacht und die Russen durch die Osterweiterung der Nato provoziert, und Russland sei im Übrigen viel zu mächtig, als dass man es sich zum Feind machen dürfe usw. „Über die Motive dieser eklatanten Realitätsverweigerung, die von Sahra Wagenknecht über Alice Schwarzer und Margot Käßmann bis hin zu AfD-Trollen wie Tino Chrupalla und braven Sozialdemokraten reicht, die immer noch den Zeiten der guten, alten Friedensbewegung nachhängen, kann man nur spekulieren.“
So bekommt jeder sein Fett weg in diesem Buch. Nur Friedrich Merz wird eher als Hoffnungsträger gesehen. Zwar datiert das Vorwort zum Buch von März 2025, doch man darf neugierig sein, ob sie auch im April 2025 noch voll Optimismus schreiben würden: „Friedrich Merz hat ohne eigenes Zutun den Kairos erreicht, den Augenblick, in dem sich die Dinge entscheiden. Er sollte ihn nutzen. Dann wird nicht alles gut, aber vieles besser. Der politische Umschwung ist im Gang.“ Wirklich? Ich befürchte eher, dass sich an all dem, was die Autoren zu Recht kritisieren, so bald nichts ändern wird. Umso wichtiger ist ihre Bestandsaufnahme.
Henryk M. Broder und Reinhard Mohr: „Good morning Germanistan! Wird jetzt alles besser?“ Europa, 208 Seiten, 18 Euro.