"Die haben das gemacht wie beim Konklave in Rom"
Weißer Rauch in Hamburg, der NDR hat einen neuen Intendanten. Hendrik Lünenborg wird den öffentlich-rechtlichen Sender in den kommenden fünf Jahren führen. Aber seine Wahl hat einen Preis. Die beiden Aufsichtsgremien, die im Sender für seine Wahl verantwortlich sind, haben sich über den Prozess tief zerstritten. Die Spitze des Verwaltungsrats, der Lünenborg vorgeschlagen hat, scheint gekränkt, weil der Rundfunkrat die erste Kandidatin abgelehnt hatte. Viele Mitglieder im Rundfunkrat wiederum fühlen sich vom Verwaltungsrat nicht respektiert. Das Verhältnis zwischen den Gremien gilt als schwer belastet.
Der NDR hat zwei Aufsichtsgremien. Der Verwaltungsrat (zwölf Mitglieder) ist vor allem für die Finanzaufsicht zuständig. Er sucht aber auch einen Kandidaten und schlägt ihn vor, wenn ein Intendant aufhören muss oder aufhören will, wie der noch aktuelle Senderchef Joachim Knuth. (Es waren in der Geschichte des NDR stets Männer.) Der Rundfunkrat wiederum (58 Mitglieder) führt die Programmaufsicht und berät den Intendanten im besten Fall in inhaltlichen Fragen. Seine Mitglieder gehören verschiedenen Gruppen, Institutionen und Parteien an, und diese Vertreter der Gesellschaft stimmen in einer öffentlichen Sitzung über den Vorschlag des Verwaltungsrats ab, entscheiden also, wer der nächste Chef wird.
Alle wollten das Beste für den NDR, doch über das "Wie" entwickelte sich der Konflikt. Begonnen hat es damit, dass vier Mitglieder des Verwaltungsrats eine Findungskommission gebildet und eine Personalberatung namens Delta eingeschaltet hatten, die als exzellent gilt, wenn sie Spitzenpersonal in der Energiebranche, in der Industrie und im öffentlichen Dienst vermitteln soll. So beschreibt sich die Agentur auch selbst auf ihrer Website.
Mehr als ein halbes Dutzend Gesprächspartner von haben dann aber unabhängig voneinander den Eindruck geschildert, dass Delta wenig eigene Kenntnisse und Netzwerke habe, wenn es um die Frage geht, wer im Fernsehen und speziell im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für höchste Ämter geeignet ist. Der Verwaltungsratsvorsitzende des NDR, Rüdiger Hülskamp, schreibt dagegen auf Anfrage: Die Agentur würde "über eine gute Expertise im Feld der Medienbranche verfügen", einer der beteiligten Berater gehöre "zu den Top 20 der Branche". Unterschiedlicher kann eine Bewertung kaum ausfallen.
Hülskamp und seine Stellvertreterin sind selbst erst seit zwei Jahren in der Medienaufsicht tätig. Ihre Meriten haben sich Rüdiger Hülskamp als systemischer Berater in Hamburg und seine Stellvertreterin Uta-Maria Kuder als Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern erworben. In dieser Konstellation begannen Bewerbergespräche und Kandidatenauswahl.
Zugleich engen die gesetzlichen Vorgaben den Verwaltungsrat stark ein. Der Rundfunkstaatsvertrag des NDR verlangt eindeutig, dass der Verwaltungsrat einen einzigen Kandidaten vorschlägt und bis dahin das Verfahren bei sich behält. Ganz anders ist die Wahl im vergangenen Jahr im WDR verlaufen. Dort warben drei Kandidaten in wochenlangen Gesprächen mit dem Rundfunkrat um einzelne Stimmen und traten am Ende im Rundfunkrat öffentlich gegeneinander an, präsentierten ihre Pläne. So konnte der Rundfunkrat eine fundierte Entscheidung fällen. Das war im NDR nicht möglich.
Die Findungskommission des NDR hatte sich zudem möglichst hohe Geheimhaltung verordnet, und so war es eine Überraschung, als sie Anfang April die Medienmanagerin Sandra Harzer-Kux als Kandidatin präsentierte. Harzer-Kux – aber auch die Mitglieder des Rundfunkrats – hatten vor der Wahl nur die Chance, einander kurz per Video kennenzulernen. Ein Rundfunkrat sagt: "Wir mussten alle erst mal googeln, wer das ist." Und als Harzer-Kux, die im sogenannten Corporate Publishing erfolgreich ist, also Medienangebote im Auftrag von Werbekunden erstellt, wenige Tage später im Rundfunkrat ihre Bewerbungsrede hielt, hinterließ sie einen Teil der Aufseher irritiert bis ratlos. Als Managerin konnte sie überzeugen, aber was sie beim und mit dem NDR vorhatte, das blieb unklar. Anschließend verlor Harzer-Kux die Wahl. Das hatte es in der Geschichte des NDR noch nie gegeben. Der Eklat war da.
Danach zog sich der Verwaltungsrat in eine Wagenburg zurück, sagen mehrere Rundfunkräte unabhängig voneinander. Sie wollen sich namentlich nicht zitieren lassen. Statt gemeinsam zu schauen, wie man aus dieser Situation herauskomme, hätten sich die Verwaltungsräte kaum mit den Rundfunkräten ausgetauscht. Ein Mitglied der Findungskommission sei erst einmal in Urlaub gegangen. Drei Wochen später habe der Verwaltungsrat mitgeteilt, der neue Kandidat sei die Nummer zwei aus dem ersten Verfahren: Hendrik Lünenborg.
Verwaltungsratschef Rüdiger Hülskamp schreibt dazu: "Der Staatsvertrag sieht bei einer gescheiterten Wahl im Rundfunkrat vor, dass der Verwaltungsrat innerhalb eines Monats einen neuen Personalvorschlag unterbreiten kann. Von dieser Möglichkeit haben wir Gebrauch gemacht." Es sei "die Zeit zu knapp für ein solides Auswahlverfahren uns unbekannter Kandidaten" gewesen.
Aus der Pressemitteilung, die der Verwaltungsrat vor zwei Wochen herausgab, ist offen herauszulesen, wie übel man dem Rundfunkrat die Ablehnung von Harzer-Kux immer noch nimmt. Eigene Fehler? Nicht im Verwaltungsrat! Der Vorsitzende lässt sich in der Pressemitteilung so zitieren: Man habe in "einem breit angelegten, mehrstufigen und professionell durchgeführten Auswahlverfahren" den Kandidaten ermittelt.
Als Seitenhieb auf den Rundfunkrat lässt sich verstehen, wenn es weiter heißt: "Einigen Mitgliedern des Rundfunkrates ist es offenbar sehr wichtig, dass eine Person für dieses Amt zusätzlich auch eigene Erfahrung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitbringt." Hier dringt Unverständnis dafür durch, dass die erste Kandidatin, eine von außen, durchgefallen ist.
"Als seien wir Deppen"
Im Rundfunkrat sind ihrerseits viele aufgebracht. Es fallen Worte wie "Frust", "man fühlte sich behandelt, als sei man nicht volljährig" oder "als seien wir Deppen", "der Umgang sei seltsam amateurhaft" gewesen. Der Rundfunkstaatsvertrag habe durchaus erlaubt, den Rundfunkrat informell in das Verfahren einzubinden, sagen mehrere Rundfunkräte. Sie hätten das von Juristen prüfen lassen. Aber es ist nicht geschehen. Stattdessen durfte der Rundfunkratsvorsitzende Nico Fickinger an der ersten Kandidatenvorauswahl teilnehmen, wurde dafür aber zu strengstem Stillschweigen verpflichtet, wie mehrere Räte berichten. "Die haben das gemacht wie beim Konklave in Rom", sagt ein Gesprächspartner.
Das Ergebnis ist ein schwer gestörtes Verhältnis zwischen beiden Gremien. Es war ein Verfahren, in dem alle das Beste wollten, in dem sie von gesetzlichen Regeln eingeengt wurden – in dem darüber hinaus aber von Anfang an offensichtlich Vertrauen zueinander fehlte. So lief zwar am Ende alles "oberformellkorrekt", wie ein Rundfunkrat sagt, aber es hatte eben seinen Preis.
Trotz dieses Konflikts lief die Wahl des zweiten Kandidaten, Hendrik Lünenborg, am heutigen Freitag ohne größere Zwischenfälle ab. Lünenborg ist einerseits ein Mann des "Systems NDR" – der Begriff wurde in der heutigen Rundfunkratssitzung mehrfach verwendet –, aber er selbst betont, dass er innerhalb des NDR alle drei Jahre die Stelle gewechselt habe, insofern die verzweigte Sendeanstalt kenne – und ihre Probleme. Aktuell ist er Landesfunkhausdirektor in Hamburg. "Gerade weil ich den NDR kenne, weiß ich, wie man ihn verändern muss", sagte Lünenborg bei seiner Vorstellungsrede im Rundfunkrat.
Der künftige Intendant sprach davon, wie viel Veränderung notwendig sei und dass der NDR die kommenden Jahre mit einer "konstruktiven Fehlerkultur" angehen müsse. Er bezog das auch auf sich: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich als Intendant Fehler machen werde, wahrscheinlich sogar, aber ich nehme mir vor, diese Fehler einzuräumen und es danach besser zu machen."
Vielleicht ist das auch ein Anstoß für die Gremien, das zurückliegende Verfahren noch einmal miteinander zu diskutieren.