Triumph der Hartnäckigkeit: Gedenkort Polen in Berlin eingeweiht – doch nur als Provisorium
Ein schlichter Findling unter einem Wildapfelbaum mit einer bronzenen Erklärtafel: Viereinhalb Jahre nach dem Bundestagsbeschluss vom Oktober 2020 ist der Gedenkort für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus im Herzen von Berlin eingeweiht worden.
Ist das bewundernswert schnell? Oder kommt die Besinnung „80 Jahre zu spät“, wie Rabbiner Andreas Nachama, einer der Initiatoren des Projekts, anmerkte?
Man kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf das neue Ensemble auf einer Wiese zwischen Kanzleramt und Reichstag blicken. Knut Abraham, Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, nennt es „das derzeit wichtigste erinnerungspolitische Projekt in Deutschland“.
Vielen Deutschen ist das Ausmaß der deutschen Verbrechen in Polen nicht bekannt.
Heiko Maas, Ex-Außenminister und Präsident des Deutschen Polen-Instituts (dpi)
Bisher ist es nur ein Provisorium und nicht auf Dauer angelegt. Der eigentlich geplante Gedenkort soll neben dem Mahnmal für die Opfer auch ein Informationszentrum und eine Begegnungsstätte anbieten.
Das Warten auf den Gedenkort geht weiter
„Auf diesen Tag haben wir lange gewartet“, sagt Heiko Maas, Ex-Außenminister und Präsident des Deutschen Polen-Instituts (dpi) in Darmstadt. Doch das Warten geht weiter. Für das endgültige Denkmal seien ein weiterer Bundestagsbeschluss und eine Ausschreibung nötig.
„Gedenken funktioniert nicht ohne Wissen“, erläuterte Maas das Ziel. „Vielen Deutschen ist das Ausmaß der deutschen Verbrechen in Polen nicht bekannt.“
Der Anstoß für das Projekt war 2017 aus der Bürgergesellschaft gekommen. Eine „Fünferbande“ hatte den Gedenkort gefordert: die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der damalige Direktor des dpi, Dieter Bingen, der Ex-Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, und Andreas Nachama. Ihren Aufruf unterzeichneten zahlreiche Veteranen der deutsch-polnischen Aussöhnung.
Vom Anhalter Bahnhof zur Krolloper
Zunächst hatten die Initiatoren an ein Mahnmal vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs am Askanischen Platz gedacht. Von dort waren Züge in die Vernichtungslager gerollt.
Doch als die Politik den Vorstoß der Zivilgesellschaft aufnahm, änderte sich das Projekt und wuchs zur Idee eines „Deutsch-Polnischen Hauses“ mit den drei Elementen Gedenken, Information und Begegnung. Als Ort mit Symbolkraft wurde das Gelände der Krolloper gewählt. Dort war nach dem Reichstagsbrand der provisorische Sitz des Parlaments. Dort hörten die Abgeordneten am 1. September 1939 Hitlers Rede zum Angriff auf Polen.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer würdigte den Platz als „Ort, wo Worte zu Waffen wurden“. Der provisorische „Stein unter einem Wildapfelbaum, der blühen und Früchte tragen soll, ist ein Wegzeichen, das den weiteren Weg weist, den Polen und Deutsche zusammen gehen wollen.“
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner dankte den Initiatoren: „Ohne ihre Hartnäckigkeit wären wir nicht hier. Wir schließen eine Lücke in der Gedenkkultur Berlins.“
Hanna Wróblewska, Ministerin für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen, dankte für den Gedenkort. „Es gibt wohl keine polnische Familie, die die Folgen der deutschen Besatzung 1939 bis 1945 nicht persönlich gespürt hat.“ Sie zitierte den polnischen Lyriker Zbigniew Herbert: „Ein Volk, das sein Gedächtnis verliert, verliert sein Gewissen.“ Sie hoffe, dass das Mahnmal zu einem weiteren Stützpfeiler der Nachbarschaft werde.
Polen-Koordinator Abraham erinnerte daran, dass eine breite Mehrheit im Bundestag für das Projekt gestimmt hat. Nur die AfD habe den Antrag nicht unterstützt. „Deutschland hat einen Weg gefunden, das Erinnern auszudrücken. Und einen Ort.“
Dann hatten die Initiatoren das Wort. Rita Süssmuth dankte „allen, die durchgehalten haben trotz der Debatten, welches Projekt wir unterstützen: das ursprüngliche oder das des Bundestags?“
Mausbach erinnerte an Polens früheren Außenminister Wladyslaw Bartoszewski. „Er wollte das Mahnmal, aber eines wollte er noch mehr: Verständigung und Freundschaft zwischen Deutschen und Polen.“ Bingen mahnte: „Dies ist ein Findling, ein ungeschliffener Stein. Und ein Stolperstein, bis das endgültige Mahnmal steht.“
Thierse erinnerte daran, „dass ich im Krieg in Breslau geboren bin. Ich bin aufgewachsen im Bewusstsein des Verlusts der Heimat, aber im Wissen, wer die Verantwortung dafür trägt: wir Deutschen.“ In der DDR habe er „gesehen, wie von oben angeordnete Verständigung misslingt. Sie muss von der Zivilgesellschaft getragen werden.“ Das wünsche er sich für den Gedenkort Polen.