Je verwirrender, desto besser für Netanjahu

Kurz nachdem US-Präsident Donald Trump in der Nacht zum Dienstag die Waffenruhe zwischen dem Iran und Israel verkündet hatte, heulten in Israel die Sirenen. Von 5 Uhr bis 7 Uhr morgens durchgehend – der längste Luftalarm seit Kriegsbeginn vor zwölf Tagen. In mehreren Wellen feuerte das iranische Regime ballistische Raketen und Drohnen ab. In der Stadt Beersheba in der Negevwüste trafen sie ein Mehrfamilienhaus. Vier Menschen starben, obwohl sie sich in ihrem Bunkerzimmer befanden – einem Schutzraum, den jede israelische Wohnung haben muss. Nach israelischen Angaben war eine Ghader-Rakete mit einem 400-Kilogramm-Sprengkopf eingeschlagen.

Gegen 9 Uhr erklärte Israels Regierung, einem Ende der gegenseitigen Kämpfe zuzustimmen. Seitdem werfen sich beide Seiten vor, die Waffenruhe bereits gebrochen zu haben. Das iranische Regime erklärte, seine Angriffe seien unmittelbar vor Beginn der Waffenruhe erfolgt, israelische Angriffe gegen 8 Uhr aber nicht. Israel zufolge habe wiederum der Iran gegen 10.30 Uhr Ortszeit eine einzelne ballistische Rakete geschossen – israelische Medien veröffentlichten Fotos einer Abfangrakete, die auf einem Bauernhof unweit von Haifa herabgestürzt sein soll. 

Gewiss ist, dass US-Präsident Donald Trump gegen 14 Uhr Ortszeit – also am sehr frühen Morgen in Washington – wach und wütend war: Er sei "nicht glücklich mit Israel ... wirklich unglücklich mit Israel", aber er sei "auch nicht glücklich mit dem Iran", sagte Trump über die mutmaßlich gegenseitigen Waffenruhe-Brüche vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel nach Den Haag. "Wir haben es mit zwei Ländern zu tun, die sich schon so lange und so hart bekämpfen, dass sie nicht mehr wissen, was zur Hölle sie eigentlich tun."

Netanjahu stimmte der Waffenruhe nicht persönlich zu

Die verbale Attacke Trumps zielt unmittelbar auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Während Trump in seiner Stellungnahme am Morgen kryptische Botschaften an den einstigen Verbündeten schickte, etwa sagte, Israel habe mit Bombardierungen auf den Iran begonnen, kurz nachdem "der Deal" stand, bleibt Netanjahu bisher auffallend still. Die Zustimmung zur Waffenruhe ließ er nur als allgemeine Erklärung seines Büros verschicken, nicht als persönliche Stellungnahme. Zum Vergleich: Als die USA mit ihren bunkerbrechenden Bomben am Wochenende mehrere Nuklearanlagen im Iran angriffen, bedankte sich Netanjahu in einer persönlichen Botschaft. Nun dagegen greift er auf sein bewährtes Mittel zurück: maximale Verwirrung.

Denn: Je weniger klar ist, ob der Krieg gegen den Iran vorbei ist, und je weniger Netanjahu persönlich Verantwortung zeigt, desto mehr innenpolitischer Spielraum bleibt ihm. Seine Koalition wackelt seit Wochen. Am Tag vor dem Beginn der Angriffe auf den Iran hatten Oppositionspolitiker einen Antrag zur Auflösung der Knesset, Israels Parlament, stellen wollen. Hätten die ultraorthodoxen Parteien aus der Regierung von Netanjahu den Antrag gestützt, wäre die Koalition gestürzt. Nur Stunden vor dem Angriff wies die Knesset den Antrag ab. Israelische Medien berichteten später, die ultraorthodoxen Parteien hätten von den geplanten Angriffe gewusst und ihre angekündigte Unterstützung für den Antrag deshalb zurückgezogen.