Schluss mit der Sparpolitik
Der neue Finanzminister hat ein anderes Selbstverständnis als sein Vorgänger. Lars Klingbeil will das Geld nicht nur zusammenhalten, sondern vor allem ausgeben. Deshalb nennt er sich auch gern "Investitionsminister", ganz in Abgrenzung zu Christian Lindner – dem Sparminister. Die schwarze Null? Die sei kein Wert an sich, wenn Brücken und Schulen vergammelten und die Bundeswehr vernachlässigt werde, sagt Klingbeil, als er an diesem Dienstag seinen Entwurf für den Bundeshaushalt des laufenden Jahres vorstellt.
Es sind beispiellose Zahlen, mit denen Klingbeil hantiert. Er plant nicht nur mit Rekordausgaben im Bereich der Verteidigung, sondern auch mit Rekordinvestitionen und Rekordschulden. Das kann er aus zwei Gründen tun: weil die Regierung die Schuldenbremse gelockert und ein Sondervermögen für Infrastruktur geschaffen hat. Nach Klingbeils Vorstellung heute ist klar geworden, wie genau die Regierung die neuen Spielräume nutzen will.
Wie viel Geld die Regierung ausgeben will
Der Gesamtetat im Kernhaushalt steigt in diesem Jahr um rund sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr – auf 503 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2029 könnten die Ausgaben sogar auf 574 Milliarden Euro anwachsen. Den größten Posten im Bundeshaushalt bildet auch in diesem Jahr der Sozialetat. Er liegt bei 190 Milliarden Euro. Das ist etwas mehr als ein Drittel der Gesamtausgaben, und es ist etwas mehr als im Vorjahr. Dagegen schrumpft der Etat für Gesundheit von 16,7 Milliarden Euro auf 16,4 Milliarden Euro.
An zweiter Stelle nach dem Sozialetat steht mit 62 Milliarden Euro der Verteidigungsetat. Die Regierung darf Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausnehmen. Weil die Regierung einen "erweiterten Sicherheitsbegriff" nutzt, können in diesem Jahr rund 32 Milliarden Euro über Kredite finanziert werden. Rechnet man die Mittel aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr und Ukraine-Hilfen hinzu, sind 2025 sogar etwa 100 Milliarden für Verteidigung und Sicherheit veranschlagt.
Und damit nicht genug: In den kommenden Jahren soll der Wehretat drastisch ansteigen. Einerseits, weil 2027 das Sondervermögen für Verteidigung ausläuft. Andererseits, weil die Bundesregierung die Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern will, wie es die Nato gern hätte. Bis 2029 soll dieses Ziel erreicht werden und der Wehretat bei fast 153 Milliarden Euro liegen. Er würde sich damit der Höhe des Sozialetats weiter annähern. "Wir tun, was notwendig ist, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten", sagt Klingbeil.
Wo die Regierung investieren will
Vor allem mit dem Sondervermögen für die Infrastruktur sind große Erwartungen verbunden – und Versprechungen. Von den 500 Milliarden Euro sollen über einen Zeitraum von zwölf Jahren 400 Milliarden in die Sanierung und die Erweiterung der Infrastruktur investiert werden. 100 Milliarden sollen zweckgebunden im Klima- und Transformationsfonds (KTF) landen, also für den klimagerechten Umbau des Landes genutzt werden – so geht der Deal mit den Grünen. Andernfalls hätte die Partei der Schuldenaufnahme im Bundestag gar nicht erst zugestimmt. Ein "Durchbruch für den Klimaschutz" sei das, hatten sich die Grünen anschließend gefreut. Alle betonten dabei immer die "Zusätzlichkeit" der Mittel. Das heißt: In den Sondertopf sollten nicht etwa Posten aus dem regulären Haushalt verschoben werden, um sich mehr Raum zu verschaffen, sondern er sollte zusätzliche, neue Investitionen in Brücken, Häuser und den Klimaschutz finanzieren.
Die geplanten "Rekordinvestitionen", von denen Klingbeil spricht, belaufen sich für dieses Jahr insgesamt auf 115,7 Milliarden Euro. 27 Milliarden davon kommen aus dem Sondervermögen, rund 25 Milliarden aus dem Klimafonds. Der Rest soll aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Union und SPD hatten sich mit den Grünen darauf verständigt, dass die Investitionsquote im Bundeshaushalt mindestens zehn Prozent des Gesamtetats betragen muss, damit keine bereits geplanten Investitionen aus dem Kernhaushalt verschoben werden. Die Quote werde eingehalten, betont Klingbeil.
Dennoch gibt es Zweifel daran, dass das Geld aus dem Sondervermögen tatsächlich zusätzlich ausgegeben wird. So sollen beispielsweise die laufenden Kosten für die schwimmenden Flüssiggas-Terminals in Nord- und Ostsee aus dem Sondertopf finanziert werden, obschon die Spezialschiffe teils schon vor Jahren beschafft wurden. Fällt das noch unter Zusätzlichkeit? Im Wirtschaftsministerium meint man: ja.
Die Grünen fühlen sich vor allem bei den KTF-Mitteln getäuscht. Gut vier Milliarden daraus sollen verwendet werden, um Verbraucher und Unternehmen bei den Ausgaben für die Gasspeicherumlage zu entlasten. Die Umlage wurde eingeführt, um die mit dem Ukrainekrieg gestiegenen Kosten für die Gasbeschaffung auf die Allgemeinheit umzuwälzen. Anfang des Jahres stieg sie auf 0,299 Cent pro Kilowattstunde. Jetzt also soll ausgerechnet mit Mitteln aus dem Klimafonds fossile Energie bezuschusst werden. Die "Finanztricks von Merz und Klingbeil" konterkarierten Klimaschutz und Zukunftstechnologien, wettert Vize-Fraktionschef der Grünen, Andreas Audretsch.
An anderer Stelle erfüllt die Regierung schon eher, was sie versprochen hat. So bekommt das Bauministerium für den Wohnungsbau insgesamt über elf Milliarden Euro aus dem Sondertopf; für den sozialen Wohnungsbau stehen allein in diesem Jahr 3,5 Milliarden Euro bereit. Das wird zwar kaum ausreichen, um die Wohnungsnot im Land zu beseitigen, aber immerhin ist es mehr Geld als bisher. Und aus dem KTF gibt es zudem Mittel für die energetische Stadtsanierung. 166 Milliarden Euro sollen bis zum Ende der Wahlperiode zudem der Verkehrsinfrastruktur zugutekommen, mit 107 Milliarden Euro sind fast zwei Drittel davon für den Bahnverkehr vorgesehen.
Zusätzliche Entlastung für Privatleute und Unternehmen plant die Regierung auch bei den Strompreisen. Wie im Koalitionsvertrag versprochen sollen die Netzentgelte runter, der Industriestrompreis soll energieintensive Betriebe entlasten – alles finanziert aus dem KTF.
Auch an der Förderung von klimafreundlichen Heizungen wie Wärmepumpen will das Wirtschaftsministerium offenbar vorerst nicht rütteln – obwohl die Union mit dem Ende des sogenannten Heizungsgesetzes Wahlkampf gemacht hat. Anscheinend betrachtet man im Ministerium die Förderung getrennt von einer erneuten Reform des Gebäudeenergiegesetzes. Und damit hat man es erst mal nicht eilig.
Wie viele neue Schulden die Regierung machen will
All das muss irgendwie bezahlt werden. Die Steuereinnahmen des Bundes reichen nicht aus, um die Pläne von Schwarz-Rot zu finanzieren. Die Einnahmen belaufen sich in diesem Jahr nur auf 421 Milliarden Euro. Unter anderem die geplanten Entlastungen für Unternehmen sorgen dafür, dass künftig Steuereinnahmen wegfallen. Daher kommen zu den Rekordinvestitionen künftig auch Rekordschulden. Bis 2029 will die Regierung insgesamt fast 850 Milliarden Euro neue Schulden machen. Die Nettokreditaufnahme soll schon in diesem Jahr von 33,3 auf 81,8 Milliarden Euro steigen. Im Jahr 2029 soll sie sogar bei 126,1 Milliarden liegen.
Ob Deutschland diese Schulden jemals zurückzahlt, ist offen. Viel entscheidender ist ohnehin, wie stark die Zinsbelastung ist. Die neuen Schulden treiben sie in die Höhe. Für dieses Jahr rechnet das Finanzministerium noch mit Zinskosten von rund 30 Milliarden Euro. 2029 könnte der Betrag jedoch schon bei mehr als 60 Milliarden Euro liegen, wie Haushaltsstaatssekretär Steffen Meyer vorrechnet.
Die Hoffnung im Bundesfinanzministerium ist, dass die Investitionen das Wirtschaftswachstum stärken und die Steuereinnahmen steigen. Dann ließen sich auch Schulden und Zinslast besser tragen. Jüngste Konjunkturprognosen lassen diese Hoffnung berechtigt scheinen: Spätestens im kommenden Jahr könnte die deutsche Wirtschaft wieder wachsen.
Trotzdem geht es nicht ganz ohne Sparen. Klingbeil erklärt: Die Wünsche der Ministerien lagen ursprünglich 50 Milliarden über der jetzigen Planung für den Bundeshaushalt 2025. Dafür liefen die Verhandlungen innerhalb der Regierung auffallend geräuschlos. Wo genau gekürzt wurde, will Klingbeil nicht verraten, um die Harmonie nicht zu gefährden, wie er sagt. Doch für die kommende Jahre tun sich noch große Lücken auf, wie aus der Kabinettsvorlage hervorgeht, die das Bundesfinanzministerium an die anderen Ressorts verschickte: Ein Haushaltsloch von 144 Milliarden Euro gilt es für die Jahre 2027 bis 2029 zu schließen. Sollten die Steuereinnahmen nicht wie erwartet steigen, stehen harte Verhandlungen bevor.