„Verrat an den Opfern des Terrorismus“: Bundestags-Vizepräsident Nouripour kritisiert Taliban-Annäherung der Regierung
Zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan entsenden die Islamisten ihr eigenes Konsularpersonal nach Deutschland. Dies sei im Rahmen des Abschiebeflugs nach Kabul vereinbart worden, wie Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag bestätigt hat
„Im Zuge der Kommunikation wurde verabredet, zwei Vertreter der afghanischen Verwaltung in die deutsche Konsularvertretung einzugliedern“, hatte Kornelius in der Bundespressekonferenz gesagt. Diese sollen bereits am vorigen Wochenende eingereist sein und unterstützen die afghanischen Vertretungen, die bislang von Personen geleitet werden, die vor der Machtübernahme der Taliban 2021 akkreditiert wurden. Laut Kornelius sollen die zwei Taliban-Vertreter weitere Rückführungsflüge nach Afghanistan unterstützen.
Bundestags-Vizepräsident Omid Nouripour sieht in der Entscheidung der Bundesregierung einen Präzedenzfall. „Was zunächst als technische Maßnahme zur Durchführung von Abschiebeflügen verkauft wurde, entpuppt sich als großer Schritt in Richtung der Anerkennung eines Terrorregimes“, sagte Nouripour dem Tagesspiegel.

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Der Grünen-Politiker kritisierte, dass der Schritt für die Taliban bedeutete, dass ihnen ein internationaler Status verliehen würde. Dabei sei die Terrororganisation auch für den Mord an 53 Bundeswehr-Soldaten während des Afghanistan-Einsatzes verantwortlich.
Nouripour sagte: „Die Bundesregierung muss sich der Tragweite ihres Handelns bewusst sein: Solch ein Vorgehen ist nicht nur ein Verrat an den Opfern des Terrorismus, sondern auch ein fatales Signal in Richtung aller Bemühungen, Islamismus in Deutschland im Keim zu ersticken.“
Die Gespräche zur Kooperation bei Abschiebungen setzen wir auf technischer Ebene fort, denn eine Abschiebung von Verbrechern steht im überragenden Interesse unseres Rechtsstaats.
CDU-Politiker Jürgen Hardt verteidigt die Verhandlungen mit den Taliban.
Der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, verteidigte die Entscheidung der Regierung dagegen. „Deutschland hat ein Interesse daran, dass Afghanen in Deutschland Pässe ihres Landes erhalten können“, sagte er dem Tagesspiegel.
Rechtlich sehe er in dem Schritt kein Problem: „Die Billigung zweier Konsularbeamte, die keine Diplomaten sind, sondern nur konsularisch nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen tätig, ist also im beiderseitigen Interesse“, sagte Hardt.
Er machte deutlich, dass die Bundesregierung weiterhin keine diplomatischen Beziehungen mit den Taliban anstrebe. „Die Gespräche zur Kooperation bei Abschiebungen setzen wir auf technischer Ebene fort, denn eine Abschiebung von Verbrechern steht im überragenden Interesse unseres Rechtsstaats“, sagte Hardt.
Mit den Taliban zu verhandeln, nur um Abschiebungen zu erleichtern, war und ist für die SPD keine Option.
SPD-Politikerin Derya Türk-Nachbaur schließt Gespräche mit den Taliban aus.
Das sieht man beim sozialdemokratischen Koalitionspartner jedoch ganz anders: „Mit den Taliban zu verhandeln, nur um Abschiebungen zu erleichtern, war und ist für die SPD keine Option“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Derya Türk-Nachbaur, dem Tagesspiegel. Sie betont gleichzeitig, dass von einer Anerkennung der Taliban als Regierung „niemals“ die Rede sein könne.
Wer Frauenrechte missachte und Andersdenkende verfolge, habe keinen Anspruch auf diplomatische Aufwertung. „Ich sehe mit großer Sorge, dass sich das Taliban-Regime Schritt für Schritt den Weg zur ‘internationalen Normalisierung’ bahnen will. Das dürfen wir niemals akzeptieren“, sagte die Außenpolitikerin.
Wie die „Welt“ berichtet, soll es sich bei dem Konsularpersonal um die erfahrenen Diplomaten Sayed Mustafa Hashemi und Nibras-ul-Haq Aziz handeln. Demnach soll Aziz bereits mindestens ab dem Jahr 2019 Teil einer Taliban-Delegation gewesen sein, die mit der US-Regierung Friedensverhandlungen führte. Hashemi soll laut dem Bericht in der Vergangenheit für die Taliban in der Türkei tätig gewesen sein.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sich zuletzt öffentlich dafür ausgesprochen, einen direkten Draht zu den Taliban aufzubauen, um in Zukunft nicht mehr auf die Vermittlerrolle Katars angewiesen zu sein. Das ist innerhalb der Koalition jedoch umstritten.