Streit um Sommerinterview mit Alice Weidel: AfD-Gegner brauchen untereinander mehr Empathie
Es gibt heftigen Streit über die Störung des Sommerinterviews mit Alice Weidel, und zwar unter Demokraten. Um die Rechtsextremen soll es an dieser Stelle erst einmal gar nicht gehen. Ich meine Diskussionen unter Menschen, die die AfD entschieden ablehnen und sie unbedingt von der Macht fernhalten wollen.
Die einen sagen: Warum rafft ihr nicht, dass ihr mit solchen Aktionen nur die AfD stärkt? Wollt ihr das einfach nicht verstehen?
Die anderen sagen: Es sollte für Demokraten selbstverständlich sein, gegen Rechtsextreme zu protestieren, und zwar überall dort, wo es möglich ist. Und dass der größere Skandal sei, 2025 immer noch zu glauben, Rechtsextreme ließen sich entlarven, indem man ihnen in einem Sommerinterview die Plattform gibt, ihre rassistische Weltsicht auszubreiten.

Sebastian Leber ist Tagesspiegel-Reporter. In seiner Kolumne beschäftigt er sich jede Woche mit einer Widrigkeit der Gegenwart. Sie können ihn auf Instagram sowie Bluesky erreichen.
Es ist besorgniserregend, zu sehen, wie heftig Demokraten in dieser Frage aneinandergeraten. Im Netz wurden Menschen, die sich seit vielen Jahren gegen die AfD engagieren, aber das Störmanöver als kontraproduktiv ablehnen, finstere Motive unterstellt – zum Beispiel heimliche Sympathien für die Rechtsextremen. Befürworter der Aktion wurden dagegen als „dumm“ oder zumindest „ahnungslos“ abgestempelt. Ihnen wurde vorgeworfen, sie wollten bloß Krawall.
Wollte man diesem Streit irgendetwas Positives abgewinnen, könnte man sagen: Die Härte im Umgang und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zeigen zumindest, für wie ernst alle Beteiligten die Lage halten und für wie real die Gefahr, die von den Rechtsextremen ausgeht.
Drei von vier Deutschen wollen die Rechtsextremen nicht wählen
Aber diese Härte führt zu Verletzungen und Verbitterung, und sie kostet Kraft. Dabei sind gefühlt eh alle erschöpft und verzweifelt. In Umfragen steht die AfD wieder bei 25 Prozent. Das ist gruselig.
Es bedeutet aber auch: Drei von vier Deutschen wollen die Rechtsextremen nicht wählen. Diese Bevölkerungsmehrheit zeigt untereinander leider oft sehr wenig Empathie.
Persönlich stimme ich dem Satiriker Florian Schröder zu, der sagt: Wenn die Kritik am Protest gegen Faschisten empörter ist als die Kritik an den Faschisten, läuft etwas falsch. Und auch dem „Zeit“-Journalisten Christian Bangel, der über die AfD sagt: „Diese Partei ist nicht normal, und sie zu behandeln wie alle anderen, ist möglicherweise die ganz falsche Antwort.“
Doch das bedeutet nicht, dass ich Demokraten, die sich über die Kunstaktion aufregen, heimliche Sympathien für Rechtsextreme unterstelle. Stattdessen nehme ich an, dass sie offensichtlich tief besorgt oder verzweifelt sind. Und dann versuche ich kurz innezuhalten.
Ganz sicher weiß ich auch, dass die Befürworter der Kunstaktion in der ganz großen Mehrheit nicht „dumm“ sind, wie es in vielen empörten Posts behauptet wird.
Die Initiatoren der Störaktion sind es ebenfalls nicht. Im Interview mit dem Tagesspiegel hat Philipp Ruch, der Gründer des Künstlerkollektivs „Zentrum für Politische Schönheit“, seine Aktion verteidigt. Er sagt, er besetze die AfD gerne in der Opferrolle: „Wollen wir gesichert Rechtsextreme lieber in der Täterrolle sehen?“ Es wundert ihn, wo manche ihre Prioritäten setzten: „Als sei es das Allerwichtigste, jetzt zu verhindern, dass sich die AfD als Opfer inszeniert. Diese Frage ist nicht entscheidend.“
Ist Widerstand nur etwas für den Geschichtsunterricht?
Philipp Ruch, Gründer des „Zentrums für Politische Schönheit“
Philipp Ruch sagt, für Demokraten sollte nicht der entscheidende Blickwinkel sein, wie sich eine Störaktion auf potenzielle AfD-Wähler auswirkt. Und er fragt: „Ist Widerstand nur etwas für den Geschichtsunterricht?“ Das komplette Interview kann man hier nachlesen.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dass Gegner der AfD untereinander mehr Empathie aufbringen. Es ist doch offensichtlich, dass wir alle kein Patentrezept haben, mit welcher Strategie sich die Rechtsextremen am effektivsten und dauerhaft von der Macht fernhalten lassen. Und dass das frustriert und wütend und Angst macht.
Aber solange sich die drei Viertel der Deutschen, die die AfD nicht wählen wollen, nicht spalten lassen, besteht zumindest die Chance, dass die AfD niemals Machtoptionen erhalten wird.
Genau das hat übrigens die AfD vor: Sie möchte spalten. Sie will, wie es Politikberater Johannes Hillje erklärt, mittels kultureller Polarisierung die politische Mitte beseitigen. Ihr Ziel ist, SPD und Grüne an den linken Rand zu drängen und dadurch die Union ins eigene Lager zu zwingen, ihr dabei gleichzeitig weitere Wähler abzunehmen.
Diese Spaltung gilt es unbedingt zu verhindern. Und dazu gehört meiner Ansicht nach auch, dass Demokraten untereinander und füreinander Geduld und Verständnis aufbringen. Zumindest die Bereitschaft, sich die Argumente andersdenkender Demokraten anzuhören und zu akzeptieren, dass Menschen auf unterschiedliche Wege versuchen, die AfD von der Macht fernzuhalten. Das kann übrigens auch eine Chance sein.
Nachtrag: Mist, ich wollte eigentlich noch Jan Gorkow zitieren. Der singt: „Lasst uns schauen, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt.“ Und nein, die AfD ist nicht mitgemeint.
Lesermeinungen zum Artikel
„Das ist doch nicht erst seit dem Sommerinterview so - das ist der Streit von Anfang an. Die einen wollen die AfD „mit allen Mitteln“ bekämpfen, die anderen wollen sie wie jede andere Partei politisch bekämpfen. Beides läuft parallel, sodass beide Seiten sagen, die andere Strategie sei schuld, dass sie so stark geworden ist. Die potenziellen Wähler allerdings interessiert weniger, was „die anderen machen“ - sondern was die anderen nicht machen.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit Community-User McSchreck