Lanz-Talk zum Krieg in der Ukraine: „Wir leben eben nicht in einer Pippi-Langstrumpf-Welt“
Angesichts der Bilder aus der Ukraine oder Gaza scheint der Krieg manchmal allgegenwärtig zu sein. Umso größer ist das Bedürfnis nach Orientierung. In seiner Sendung am Mittwochabend wagt der sonst eher krawallige Talkshow-Moderator Markus Lanz einmal den grundsätzlichen Blick auf Kriege.
Heraus kam eine ungewohnt ernsthafte Talksendung, die der Tagespolitik den Rücken kehrt und Raum für Nuancen lässt. Die ZDF-Sendung in der TV-Kritik.
Die Gäste
- Sönke Neitzel, Militärhistoriker
- Katrin Eigendorf, ZDF-Journalistin
- Ole Nymoen, Autor
- Andrey Gurkov, Journalist und Publizist
Wie berechtigt ist die Angst vor dem Krieg?
Er wolle über etwas sprechen, „das langsam immer tiefer einsickert in unser Bewusstsein“, kündigt Lanz gleich zu Beginn an. Die Rede ist von der „Angst vor einem neuen großen Krieg“, die der Moderator weit verbreitet sieht.
Wie berechtigt diese Kriegsangst ist, möchte Lanz von Sönke Neitzel erfahren: „Wird es einen dritten Weltkrieg geben?“, fragt er den Militärhistoriker. Neitzel hält die Debatte über Weltkrieg und Atomwaffen für eine „sehr deutsche Diskussion“, geprägt etwa vom Kalten Krieg.
In anderen Ländern sie die Debatte aufgrund anderer historischer Erfahrungen „sachlicher“. Ein großer Krieg unter Einsatz von Atomwaffen werde unter Militärexperten kaum ernsthaft diskutiert. Viel wahrscheinlicher seien regionale und begrenzte Konflikte, erklärt Neitzel.
Sie habe viele Kriege gesehen, sagt die ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf. Angst sei dabei „ein wichtiges Warnsignal“, aber „ein schlechter Dauerratgeber“. Gerade weil Krieg „die ultimative Entmenschlichung“ bedeute, müsse er verhindert werden – „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“.
Was richten Kriege an?
Was Krieg mit einer Gesellschaft macht, beschreibt die Journalistin anhand ihrer Begegnungen in der Ukraine. „Das Leben spielt sich eigentlich nur noch ab, sagen manche, in Grautönen, nur noch in Zerstörung“, sagt Eigendorf. Sie erzählt nachdenklich und berührend, manchmal stockt ihre Stimme.
Bei Gefangenenaustauschen habe sie Männer gesehen, die körperlich und seelisch so verwundet gewesen seien, dass sie kaum in ihre Familien zurückkehren konnten. „Diese Menschen sind zerstört“, sagt Eigendorf. „Da wird wirklich das Menschsein vernichtet.“
Sie frage sich, wie lange es für die Ukraine nach Kriegsende dauern werde, „zurückzukehren zu dem, was eigentlich menschliches Zusammenleben, menschliche Existenz ausmacht“.
Wieso gilt der Krieg in Russland als heldenhaft?
Ebenso eindrücklich ist, was der russische Journalist und Publizist Andrey Gurkov über die Wahrnehmung von Krieg in Russland berichtet. Schon in der Sowjetunion sei gelehrt worden, „wir Russen sind in den Kriegen immer die Helden, wir sterben dort auch den Heldentod, aber am Ende sind wir die glorreichen Sieger“.
Dieses Selbstbild nutze Putin und treibe es auf die Spitze: „Das Religiöse daran, das ist Putins Werk“, sagt Gurkov. Insbesondere seit der Krim-Annexion sei dieser Mythos des siegreichen Krieges strategisch eingesetzt worden. In der russischen Gesellschaft falle das auf fruchtbaren Boden.
Das ist, was Staaten mit ihren Bürgern machen. Sie machen sie zum Material ihrer Souveränität und sind bereit, notfalls über hunderttausende Leichen zu gehen.
Ole Nymoen, Autor
Eigendorf teilt diese Einschätzung. Das Militärische, das „immer Teil der russischen DNA“ gewesen sei, habe Putin „zu einer Art Todeskult“ transformiert, sagt die Journalistin. In Russland gelte: „Der Sieg rechtfertigt die Opfer“, sagt Gurkov. Deshalb kämpfe Putin heute weiter hartnäckig gegen die Ukraine. „Wenn am Ende ein Sieg steht, dann kann er sagen, das war nicht umsonst.“
Lässt sich Kapitulation rechtfertigen?
Was bedeutet es, sich ganz persönlich mit der eigenen Rolle in einem möglichen Krieg auseinanderzusetzen? Wohl um diese Frage zu klären, hat Lanz den Autor Ole Nymoen eingeladen.
Getreu dem Motto „Besser besetzt als tot“ vertritt Nymoen die Überzeugung, im Ernstfall lieber ein Leben unter Fremdherrschaft in Kauf zu nehmen, als zur Waffe zu greifen. Nur weil er zufällig Deutscher sei, verpflichte ihn das nicht, für den deutschen Staat sein Leben aufs Spiel zu setzen, so lautet Nymoens Argumentation.
Sowieso kann er mit dem Konzept der Staatsbürgerschaft wenig anfangen: „Ich glaube nicht, dass ich mit den Menschen, die in diesem Land leben, irgendeine große Gemeinsamkeit habe, die ich nicht mit dem Rest der Welt auch haben könnte.“
Diese Haltung vertrat Nymoen schon in mehreren Talkshows, weswegen seine Aussagen an diesem Abend höchstens in ihrer Bildlichkeit überraschen. Ein Beispiel: „Das ist, was Staaten mit ihren Bürgern machen. Sie machen sie zum Material ihrer Souveränität und sind bereit, notfalls über hunderttausende Leichen zu gehen.“
Und was ist mit der Ukraine?
Dass man nicht viel Neues von Nymoen erfährt, daran hat die merkwürdige Fragestrategie des Moderators durchaus ihren Anteil. Lanz nimmt seinen Gast mit Was-wäre-wenn-Fragen regelrecht in die Mangel, beißt jedoch auf Granit. Etwas zu penetrant versucht er, ein Szenario zu finden, in dem Nymoen doch zur Waffe greifen würde.
Ob die Ukraine in den ersten drei Tagen hätte aufgeben sollen, fragt er Nymoen. Der schnauft, bleibt aber bei seiner Position: „Mir wäre es das als Ukrainer deswegen nicht wert gewesen, und keine Ahnung.“ Wo der Moderator konkret werden möchte, rettet sich Nymoen ins Abstrakte. So scheitert das Gespräch.
Zerbricht Europa an der deutschen Kapitulationsstimmung?
„Natürlich ist das das gefundene Fressen für die russische Propaganda“, verurteilt Gurkov Nymoens Haltung, die der Journalist als „Kapitulationsstimmung“ bezeichnet. „Es bestätigt das Narrativ, die Europäer sind Weicheier, Drückeberger.“ Zugleich könne diese Haltung bei den osteuropäischen Staaten große Zweifel auslösen, ob im Ernstfall auf Deutschland Verlass sei.
„Ich fände es auch besser, ehrlich gesagt, wenn wir die Bundeswehr abschaffen könnten“, sagt der Militärhistoriker Neitzel an anderer Stelle. Aber „mit Schwäche hat man noch keine Revisionsmacht gestoppt“, wie Russland eine sei. „Wir leben eben nicht in einer Pippi-Langstrumpf-Welt“, resümiert er.