So nicht!

Nun also auch Kanada: Es wird nicht das letzte Land gewesen sein, das in diesen Tagen und Wochen die diplomatische Anerkennung eines Staates Palästina in Aussicht stellt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit seiner Ankündigung, diesen Schritt bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September zu vollziehen, eine internationale Welle an Zuspruch ausgelöst. Israel zeigt sich empört.

Dazu ist zweierlei zu sagen. Einmal, dass Israel sich das diplomatische Desaster, das es nun beklagt, selbst zuzuschreiben hat. Und zum anderen, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotzdem eine schlechte Idee ist, von der man die Finger lassen sollte.

Der Frust mit Israel ist verständlich

Selbst verantwortlich für die plötzliche Hochkonjunktur der Anerkennung eines Palästinenserstaates ist Israel, weil sowohl seine Kriegsführung im Gazastreifen als auch seine Haltung zur Frage eines eigenen Staates Palästina wie eine bewusste Provokation der globalen öffentlichen Meinung wirken. Die Gründung eines palästinensischen Staates nicht bloß für voreilig zu erklären und für die Zukunft an strenge Bedingungen zu knüpfen (was jeder realistische Beobachter verstehen müsste), sondern die ganze Idee pauschal und kategorisch zu verwerfen, wie es die Regierung in Jerusalem tut – das löst bis tief in die westliche Welt hinein ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung beim Thema Nahostkonflikt aus. 

Da keine äußere Macht (außer bis zu einem gewissen Grad die Vereinigten Staaten) nachhaltigen Einfluss auf die israelische Position besitzt, macht sich die internationale Frustration im symbolischen Akt der Staatsanerkennung Palästinas Luft. Wenn Israel nicht zunehmend mit einer Politik feindseliger Deklarationen konfrontiert werden will, muss es zu einer ernsthaften politischen Debatte über die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser bereit sein.

Kann man der palästinensischen Nationalbewegung vertrauen?

Das alles ändert jedoch nichts daran, dass die diplomatische Anerkennung eines palästinensischen Staates derzeit falsch ist. Der konkrete und kurzfristige Schaden besteht in einer Stärkung der Hamas und damit einer Gefährdung der Chancen auf eine Entspannung in Gaza. Franzosen, Briten und Kanadier wollen mit ihrem Vorstoß eigentlich der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas entgegenkommen, dem offiziellen Partner der internationalen Gemeinschaft. Doch in Wahrheit kann nur die Hamas profitieren. 

Denn was sollen die Führer der Terrororganisation denken, wenn sie Großbritanniens Premierminister Keir Starmer sagen hören, sein Land werde einen Staat Palästina anerkennen, falls Israel sich nicht auf eine Waffenruhe einlasse? Die Hamas wird sich ermutigt fühlen, in Waffenstillstand-Gesprächen eine besonders harte Haltung einzunehmen, Israel durch diese Kompromisslosigkeit die Zustimmung zu einer Vereinbarung unmöglich zu machen – und dafür am Ende auch noch den diplomatischen Gewinn der Staatsanerkennung einzustreichen. Das Ganze ist ein Musterbeispiel für die verquere Logik, die bei vielen Forderungen nach mehr Druck auf Israel am Werk ist. Mehr Druck auf Israel bedeutet häufig Zuspruch für die Hamas und damit schlechtere Aussichten auf ein Ende des Krieges, mit allen grausamen Folgen für die Zivilbevölkerung.

Keine Abkürzung auf dem Weg zur Zweistaatenlösung

Das Problem mit der Anerkennungspolitik reicht jedoch über den akuten Gazakonflikt hinaus. Letztlich geht es darum, ob man der palästinensischen Nationalbewegung in ihrem augenblicklichen Zustand einen Staat anvertrauen kann, und die Antwort darauf lautet: Nein. Das Verhältnis zu Gewalt und Terror, der Einfluss des radikalen Islamismus, die Haltung zur Existenz Israels als jüdischer Staat – zu all diesen Punkten stellen sich, zurückhaltend gesagt, ernste Fragen an die palästinensische Gesellschaft und ihre führenden Repräsentanten. Die Zustimmung, ja der Jubel, auf den die Bluttaten der Hamas vielfach gestoßen sind, ist unvergessen. Es ist kein Ausdruck eines irrationalen Traumas, wenn die Idee eines Palästinenserstaates in Israel seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 weithin als gescheitertes Projekt und weltfremde Rhetorik gilt. Es gibt vielmehr gute Gründe für diese Desillusionierung. 

Langfristig darf es dabei nicht bleiben, wenn der Nahostkonflikt je eine Wendung zum Besseren nehmen soll: Eine Teilung des Landes zwischen Jordan und Mittelmeer, das also, was im Jargon der internationalen Politik Zweistaatenlösung heißt, ist nach wie vor die einzig vorstellbare Art, die mörderische Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern zu befrieden. Aber auf dem Weg dahin gibt es keine bequemen Abkürzungen. Schon gar nicht durch Gestenpolitik wie die schnelle Anerkennung eines palästinensischen Staates.