"Wir Thais lieben den Frieden, aber …"

Prayad Saoprea sagt, sie habe sogar die Armschlinge für ihren kürzlich operierten linken Ellbogen vergessen. So schnell hat die 48-jährige Thailänderin die Flucht ergriffen, als am Morgen des 24. Juli die ersten Raketen nahe ihrem Dorf an der Grenze mit Kambodscha niedergingen. Wie sie hätten die meisten ihrer Nachbarn ihre Häuser und ihr Vieh zurückgelassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nun stützt Saoprea ihren linken Arm auf ein Kissen, sie sitzt in einem provisorischen Camp für Geflüchtete im Nordosten Thailands auf einer Strohmatte. Immerhin gebe es die vereinbarte Waffenruhe, die zu Dienstag in Kraft getreten ist. "Ich war erst einmal erleichtert", sagt Saoprea.

Prayad Saoprea, 48, will vorerst nicht in ihr Haus an der Grenze zu Kambodscha zurückkehren. © Verena Hölzl

In dem Evakuierungszentrum registrieren Beamte der Lokalregierung die Menschen, verteilen Essen und Waschmittel. Ein Soldat der Militärband säuselt zur Unterhaltung thailändische Coffeeshop-Musik in ein Mikrofon. Über einen Lautsprecher wird verkündet, dass es keinen Anlass zur Sorge gebe: Die Polizei stelle sicher, dass jegliches Eigentum im Grenzgebiet vor Diebstahl geschützt werde.

Fünf Tage lang haben Thailand und Kambodscha sich gegenseitig beschossen. 43 Menschen sind dabei den jüngsten Angaben beider Regierungen zufolge getötet worden, die meisten auf thailändischer Seite. Am Montag verhandelten beide Länder mit Malaysia in der Vermittlerrolle einen Waffenstillstand. US-Präsident Donald Trump, der zuvor mit Konsequenzen für die Zollverhandlungen gedroht hatte, sollten die Gefechte nicht aufhören, brüstet sich damit, Frieden geschaffen zu haben. Seine Sprecherin forderte auf X sogar den Friedensnobelpreis für ihren Chef.

Doch für die betroffenen Menschen sind die Probleme noch lange nicht vorbei. 

Das Evakuierungszentrum auf der Motorsport-Rennstrecke Chang Circuit in Buriram © Verena Hölzl
Schätzungsweise 188.000 Menschen sollen hier Zuflucht gefunden haben. © Stephen J. Boitano/​Getty Images

Hier im Evakuierungszentrum in Buririam interessieren sich nur die wenigsten für den US-Präsidenten. Dass Politiker wieder Hände schütteln und der Konflikt international für beendet erklärt wird, habe nichts mit der Situation vor Ort zu tun, sagen sie. Saoprea und ihre Tochter werden erst einmal noch nicht in ihr kleines Haus nahe der Grenze zurückkehren. Sie will abwarten, bis die ersten Nachbarn sich trauen, und dann eine Entscheidung treffen. Es werde immer noch geschossen, sagt Saoprea. 

Noch am zweiten Tag nach der Vereinbarung über eine Waffenruhe warf Thailand Kambodscha anhaltende Aggressionen vor. An der Grenze wurde von Schüssen berichtet. Kambodscha weist die Anschuldigungen zurück. Am kommenden Montag sollen Vertreter beider Länder erneut zusammenkommen, um zu diskutieren, wie der Waffenstillstand überwacht werden kann. 

Auch Menschen aus Kambodscha, die in Thailand arbeiten, sind mit ihren Familien in ihr Heimatland zurückgekehrt. © Adri Salido/​Anadolu/​imago images

Im "Distrikt der Kugeln"

Es ist nicht das erste Mal, dass Thailand und Kambodscha einander bekriegen. Zuletzt kam es 2011 zu Gefechten, bei denen mindestens 16 Menschen getötet wurden. Wie auch dieses Mal ging es um eine umstrittene Grenzziehung und um Tempel, auf die beide Länder Anspruch erheben. Zumindest im Falle eines der Tempel hat der Internationale Gerichtshof bereits 1962 zugunsten von Kambodscha entschieden. Doch ein Zerwürfnis zwischen Kambodschas Langzeitherrscher Hun Sen und Thaksin Shinawatra, dem Anführer einer mächtigen thailändischen Politiker-Dynastie, hat die Spannungen in den vergangenen Wochen erneut zu einem Konflikt anwachsen lassen.

Die thailändische Armee verteilt Essensrationen. © Lillian Suwanrumpha/​AFP/​Getty Images

Am Tag darauf in der sogenannten Roten Zone, eine Stunde südlich vom Flüchtlingszentrum, in dem unmittelbaren Grenzgebiet, wo bis zuletzt Artilleriebeschuss drohte: Männer der Bürgerwehr patrouillieren durch die Straßen, auf denen nach wie vor Laster des Militärs unterwegs sind. Die allermeisten Häuser sind verriegelt. Jeder, der nicht aussieht, als sei er von hier, muss seinen Ausweis vorzeigen. Man müsse sich vor Spionen schützen, erklären die Männer von der Bürgerwehr ihre Skepsis. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt, auf dem die Antlitze einer bekannten Brigade abgedruckt sind. Darüber ist eine Zeile aus der thailändischen Nationalhymne zu lesen: "Wir Thais lieben den Frieden. Aber wir haben keine Angst vor dem Krieg."

Vor der Polizeistation des Unterbezirks Ban Khok Krachai herrscht dank Waffenstillstand Barbecue-Stimmung. Die Ehefrauen der Polizisten sind gerade aus Geflüchtetencamps und von Verwandten zu ihren Männern zurückgekehrt. An Plastiktischen tauschen sie sich bei Reis und Brause über die vergangenen Tage aus. Auf einem Fußballfeld vor dem Revier grasen sieben Kühe, die Dorfbewohner den Polizisten anvertraut haben, bevor sie sich und ihre Familien in Sicherheit brachten. 

Ein selbstgebauter Bunker der Polizisten in der sogenannten Roten Zone nahe der Grenze © Verena Hölzl

Wegen des regelmäßigen Beschusses sprechen sie hier vom "Distrikt der Kugeln". Mitten im Reisfeld hinter der Polizeistation ist gleich am ersten Tag der Kämpfe eine BM21-Rakete eingeschlagen. In ihrem Krater hat sich Regenwasser gesammelt, auf den ersten Blick sieht er aus wie eine Pfütze. Jemand hat zur Markierung einen Ast hineingesteckt. "Falls jemand kommt, um sich anzuschauen, was hier passiert ist", sagt Surachai Japha, 56, Polizist. Jeder solle sehen, was die Kambodschaner getan haben.

Von hier aus ist Ta Muan Thom, eine der umstrittenen Tempelanlagen, nur noch wenige Kilometer entfernt. Ab und an joggten sie in der Vergangenheit mal daran vorbei, sagen die Polizisten. Eine besondere Rolle scheint der Tempel im Alltag allerdings nicht zu spielen. Fragt man sie, welcher Religion die Stätte eigentlich gewidmet ist, schauen die Männer einander verdutzt an. Sie sind sich nicht sicher, ob der Tempel tatsächlich hinduistisch ist. 

Viel lieber präsentieren sie ihren Bunker: Fünf Abwasserrohre, die mit Reifen, Sandsäcken und Erde in eine Art überirdisches Bollwerk verwandelt worden sind. Als Erwachsener hat man sitzend darin Platz. "Besser als nichts", sagen die Polizisten. Abbauen werden sie ihn erst einmal nicht. "Sicher ist sicher", meinen sie.

Manche Menschen haben sich auch geweigert, die Rote Zone zu verlassen. So wie diese Bäuerin in der Provinz Surin. © Lillian Suwanrumpha/​AFP/​Getty Images