"Bei unseren Ermittlungen herrscht völliger Stillstand"

Oleksandr Klymenko wirkt erschöpft, als er fünf internationale Journalisten in sein Büro bittet – darunter DIE ZEIT. Der politische Druck auf seine Behörde, die ukrainische Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (Sapo), und das Nationale Antikorruptionsbüro (Nabu) ist enorm. Erst vergangene Woche entzog Präsident Selenskyj ihnen per Gesetz die Unabhängigkeit – nach Protesten soll das jetzt rückgängig gemacht werden.

DIE ZEIT: Herr Klymenko, das ukrainische Parlament stimmt am heutigen Donnerstag über ein Gesetz ab, das Ihrer Behörde ihre Unabhängigkeit zurückgeben soll. Mit welcher Entscheidung rechnen Sie?

Oleksandr Klymenko: Ich erwarte, dass das Gesetz verabschiedet und umgehend vom Präsidenten unterzeichnet wird, sodass es bereits am Freitag in Kraft treten kann.

ZEIT: Und wenn nicht?

Klymenko: Dann werden die Abgeordneten alternative Entwürfe prüfen. Davon gibt es mehrere. Einige von ihnen enthalten Passagen, die für uns inakzeptabel sind – wie die erneute Prüfung des Personals beim Nabu. Dafür gibt es keinerlei Grundlage. Internationale Experten haben das Nabu geprüft und kamen zu dem Schluss, dass es effektiv arbeitet.

Wenn wir der anderen Seite nichts geben, bekommen wir unsere Rechte nicht zurück.
Oleksandr Klymenko

ZEIT: Sie ermitteln auch gegen einige Abgeordnete, die heute abstimmen werden. Wie viele sind betroffen?

Klymenko: Es sind aktuell 32 Parlamentarier aus dieser Legislaturperiode. Insgesamt, also inklusive früherer Legislaturperioden, sind es 71 Abgeordnete. Das sind nur die Verfahren, bei denen es bereits Anklagen oder einen formellen Verdacht gibt. Die Gesamtzahl der eingeleiteten Verfahren ist höher.

ZEIT: Der Entwurf, über den abgestimmt wird, sieht vor, dass das Personal von Nabu und Sapo alle zwei Jahre Tests mit Lügendetektoren durchlaufen muss. Was halten Sie davon?

Klymenko: Die Ermittler durchlaufen auch jetzt schon regelmäßig Tests mit Lügendetektoren. Sie werden gefragt, ob sie im Interesse einer anderen Behörde, eines Oligarchen oder eines fremden Staates arbeiten. Wichtig ist, dass diese Tests bei uns und beim Nabu intern durchgeführt werden sollen. Ich habe deshalb keine Bedenken. Wir haben dieser Bestimmung übrigens zugestimmt, weil wir wussten: Wenn wir der anderen Seite nichts geben, bekommen wir unsere Rechte nicht zurück. Es ist eine Art Kompromiss.

Es ging darum, Medienrummel zu erzeugen.
Oleksandr Klymenko

ZEIT: Wieso eigentlich Lügendetektoren? Die funktionieren doch nicht.

Klymenko: Sie wirken eher psychologisch. Wenn man in einem Auswahlverfahren einen Lügendetektor erwähnt, bewerben sich Leute, die etwas zu verbergen haben, gar nicht erst. Wir nutzen sie auch bei Ermittlungen. Sie liefern keine Beweise, aber helfen uns, eine Suchrichtung zu finden.

ZEIT: Egal, wie die Abstimmung ausgeht: Vertrauen Sie noch darauf, dass Selenskyj und sein Team Sie unabhängig arbeiten lassen?

Klymenko: Ich hoffe es. Der Druck bleibt erst mal bestehen. Ich sage nicht, dass er direkt vom Präsidenten kommt. Aber die Ermittler des Nabu, die Montag vor fast zwei Wochen festgenommen wurden, befinden sich immer noch in Haft. Uns liegen keine anderen Beweise vor als die, die der Geheimdienst veröffentlicht hat. Ich bin der Meinung, dass sie nicht ausreichen, um diese Personen in Haft zu halten.

ZEIT: Welche Beweise sind das?

Klymenko: Es gibt zum Beispiel Vorwürfe, dass einer der Ermittler Verbindungen zu Russland habe. Auf der veröffentlichten Tonaufnahme, die das beweisen soll, soll der Mann "Dagestan" sagen und damit die russische Republik meinen. Für die meisten klingt es aber so, als würde er vom Land "Usbekistan" sprechen. Das untergräbt den gegen ihn erhobenen Verdacht.

ZEIT: Bei mehreren Nabu-Ermittlern führte der Geheimdienst Hausdurchsuchungen durch, zwei wurden daraufhin festgenommen. Wieso?

Klymenko: Es ging darum, Medienrummel zu erzeugen, nach dem Motto: "Wir müssen sie unter Kontrolle bringen, schaut, was sie treiben, sie sind außer Kontrolle und arbeiten im Grunde für die Russen."