„Warum die Blauen so viele Stimmen bekommen, verstehe ich“, sagt eine Bürgerin zu Bas
Die Mitte der Augustastraße im Duisburger Stadtviertel Homberg gehört an diesem Freitag ihr, zumindest beim Wahlkampftermin im Westen der Stadt, einmal über den Rhein: Bärbel Bas streift durch die Fußgängerzone – die SPD-Kandidatin für die Kommunalwahl, Merve Deniz Kuntke, ist bemüht, mit ihr Schritt zu halten. Das Problem der SPD-Co-Bundesvorsitzenden und Bundesarbeitsministerin: Es gibt kaum jemanden, mit dem sie die Straße teilt. Größtenteils verwaist ist nicht nur die Shoppingstraße. Auch der Bismarckplatz vor dem Rathaus in Homberg bietet trotz des Marktes kaum die Möglichkeit für Wahlkampf.
Bas grüßt die wenigen Menschen, die ihr entgegenkommen, höflich. Jeder kennt sie, einige bewundern sie, wollen Fotos mit ihr machen. Inhaltlich wird es selten. Stattdessen stattet sie den wenigen Läden, die am Freitagvormittag in der Einkaufsstraße geöffnet haben, einen Besuch ab. Kurz rein in eine Apotheke, in ein Eiscafé, in einen Buchladen. „Echt ein toller Laden“, „Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende“ – um Probleme oder Anliegen geht es in den Gesprächen kaum.
Dabei dürfte Bas genau wissen, was die Duisburger umtreibt – sie ist schließlich selbst eine von ihnen. Kriminalität, Probleme mit Zuwanderung, Schäden in der Infrastruktur, dreckige Straßen und Grünanlagen, diese Themen finden am Vormittag kaum statt, obwohl sich vereinzelt Bürger beklagen.
„Es gibt Gebiete, da fahre ich nicht mehr mit dem Auto lang“, erzählt eine Bürgerin, die Bas bei ihrem zweiten Wahlkampftermin am Freitagvormittag auf dem Marktplatz des Bezirks Rheinhausen beim Kaffeetrinken abfängt. Man werde sich darum kümmern, verspricht die SPD-Chefin.
Sehr aufgeschlossen unterhalten sich die beiden knapp zehn Minuten lang. Und obwohl die 68-jährige die Ministerin dafür lobt, dass diese sich für auskömmliche Renten und stabile Arbeitsplätze einsetze, hat sie offenbar von der Politik genug: „Neben Arbeit und Familie, wenn man da auf die Politik schaut: Ich sag’s Ihnen, Frau Bas, Katastrophe.“ Sie selbst wisse nicht mehr, wen sie wählen soll. „Warum die Blauen so viele Stimmen bekommen, verstehe ich“, sagt sie mit Bezug auf die AfD. „Ich falle nur nicht auf deren Sprüche rein.“
Allzu optimistisch wirkt Bas nicht
Die Beschwerden der Frau spiegeln eine in Duisburg verbreitete politische Stimmung, es gibt einen klaren Trend: Die Politikverdrossenheit ist besonders im Kommunalen dramatisch vorangeschritten. Bei der Kommunalwahl 2020 lag die Wahlbeteiligung in Duisburg bei 39,1 Prozent – die niedrigste in allen 55 Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Wer Bärbel Bas zuhört, bekommt Zweifel, dass sich fünf Jahre später ein entgegengesetzter Trend einstellen werde. „Manche Gruppen“ erreiche ihre Partei kaum noch, gibt die Sozialdemokratin zu.
Die Duisburger, die noch zur Wahl gehen, geben ihre Stimme inzwischen verstärkt der AfD. Wie in anderen ehemals sozialdemokratischen Hochburgen in Westdeutschland hat die Rechtsaußenpartei hier bei der Bundestagswahl deutlich zugelegt, holte im Wahlkreis Duisburg II mit knapp 27 Prozent der Erststimmen und 25 Prozent der Zweitstimmen das jeweils zweitbeste Ergebnis – nur knapp hinter der SPD.
Der Trend spricht auch in NRW seit Jahren gegen ihre Partei, mit großer Unterstützung aus dem Bund kommt Bas ebenfalls nicht in ihre Heimat. Mit dem Rückzug der von der SPD vorgeschlagenen Verfassungsrichter-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf ist die Stimmung in der schwarz-roten Koalition auf einem Tiefpunkt angelangt. Bas spricht von einem „ernsthaften Problem miteinander“. Und die Bürger bewerten die Arbeit der Regierung so schlecht wie nie seit deren Amtsantritt, wie der aktuelle Deutschlandtrend zeigt.
Bas bleibt nichts Anderes übrig, als darauf zu bauen, dass sie dank ihrer persönlichen Beliebtheit einige Unentschlossene für die Sozialdemokratie gewinnen kann. Knapp 40 Prozent der Erststimmen holte sie im Februar im Wahlkreis Duisburg I. Als Parteichefin scheint sie es als ihre Pflicht zu sehen, das Worst-Case-Szenario – weitere Tiefschläge im früheren SPD-Territorium – zu verhindern.
In Rheinhausen kennt sie sich aus, der Bezirk gehört zu ihrem Wahlkreis. Vom Café, in dem sie sich die Anliegen der 68-jährigen Bürgerin anhörte, lässt sie sich einen Kaffee bringen – eine kurze Pause zwischen Wahlkampfstand und Marktplatz. Hier kennt man sie. Als Bas beim Fischstand einige Flyer für die kommunalen SPD-Kandidaten lassen möchte, bittet die Verkäuferin sie um ein Autogramm für ihren Sohn: „Der findet Sie mega.“
Sympathie, Ruhrpott-Mentalität und Heimvorteil sollen aber nicht alles sein, womit Bas der SPD in Duisburg und anderen Regionen mittelfristig zum Aufschwung verhelfen möchte, in denen sich viele Menschen abgehängt und von der Politik nicht ausreichend vertreten sehen. Besonders für Gebiete mit hoher Armutszuwanderung wolle sie bundesweit besprechen, wie es dort wieder aufwärtsgehen kann. Sie bringt eine stärkere finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern in kommunale Strukturen ins Spiel. Das langfristige Ziel sei klar: „Wir wollen ja nicht dauerhaft nur Abwehrkampf gegen rechts machen.“
Dass ihre Ideen zumindest auf den Kommunalwahlkampf keinen Einfluss mehr haben dürften, ahnt wohl auch Bas selbst. Als ihr ein Bürger zur Verabschiedung auf dem Marktplatz viel Spaß und Erfolg wünscht, ruft sie ihm hinterher: „Erfolg vor allem – das braucht die SPD wieder.“
Jasper Bennink ist Volontär bei „Politico“ Deutschland.