Ein kurzer Moment des Aufatmens
Diese Woche hätte aus ukrainischer Sicht auch in einer
völligen Katastrophe enden können. Allein die Tatsache, dass der US-Präsident
Donald Trump den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Freitag auf amerikanischem Boden
empfing, wirkte aus Kyjiwer Perspektive nicht nur bedrohlich. Eigentlich war es
ein Skandal: Der Mann, der im Februar 2022 die Ukraine wider allen Völkerrechts grundlos angegriffen hat, trifft Trump nicht auf neutralem Territorium, sondern
wird von diesem gar in die USA eingeladen, nach Alaska, wo es eine gemeinsame
Geschichte Russlands und der USA gibt – es wirkte fast wie eine Belohnung der
russischen Aggression gegen die Ukraine und eine Legitimierung des Diktators aus
Moskau. Dass Putin buchstäblich der rote Teppich ausgerollt wurde, verhieß dann auch
wiederum symbolisch nichts Gutes.
Dabei hatten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und europäische Staats- und Regierungschefs doch im Vorfeld im Hintergrund offenbar mit aller Kraft versucht, Trump davon zu überzeugen, dass es zu einem solchen Zweiergipfel in der Form eigentlich nicht kommen durfte. Dass sich Trump und Putin irgendwann in ihrer Funktion als Staatschefs treffen würden, war zwar spätestens seit dem Wahlsieg Trumps im November 2024 klar. Eine Konstellation, in der die beiden allerdings über die Zukunft der Ukraine verhandeln, ohne dass die Ukraine selbst dabei ist, musste aus Sicht aller anderen verhindert werden. Das gelang nicht. Doch zu einem historischen Gipfel wurde das Treffen in Anchorage auch nicht.
Die große Befürchtung in Kyjiw war vor dem Gipfel in Anchorage, dass Trump und Putin tatsächlich zu Vereinbarungen kommen würden, die für die Ukraine inakzeptabel wären. Dazu hätte unter anderem ein Waffenstillstand unter der Bedingung gehört, dass die ukrainische Armee den Norden der Region Donezk, in der Großstädte wie Kramatorsk und Slowjansk mit gut ausgebauten Verteidigungsstellungen liegen, freiwillig räumen müsste. Dies wäre aus ukrainischer Sicht eine militärische Selbstaufgabe und eine Einladung an die russische Armee zu weiteren Vorstößen tiefer ins ukrainische Hinterland. Dass Trump und Putin am Ende ihres Treffens nichts Wesentliches verkündeten, dürfte für die ukrainische Staatsführung ein kurzer Moment des Aufatmens gewesen sein. Ihr ging es im Hinblick auf Anchorage einzig und allein darum, dass das Schlimmste nicht eintreten würde.
An diesem Samstagvormittag hat Selenskyj ein längeres Telefonat mit Trump geführt sowie mit anderen westlichen Staats- und Regierungschefs gesprochen. Am Montag wird Selenskyj dann nach Washington, D. C. reisen. Doch erleichtert kann er dies kaum tun. Der ukrainische Präsident sprach davon, dass er die Initiative des US-Präsidenten zu einem Dreiertreffen zwischen ihm, Putin und Trump unterstütze. Ob die russische Führung einem solchen Gipfel zustimmt, ist bislang allerdings unklar. Juri Uschakow, Putins außenpolitischer Berater, betonte nach dem abrupt beendeten Gipfel in Alaska, die Perspektive auf Verhandlungen in einem solchen Format sei mit Trump gar nicht erst besprochen worden.
Für die Ukraine wiederum war es bereits ein Alarmzeichen, dass Putin während der kurzen Pressekonferenz in Anchorage, auf der keine Journalistenfragen zugelassen wurden, erneut von der "Beseitigung der Grundursachen des Konflikts" sprach. Dies ist eine typische Kreml-Floskel, die vage klingt. Tatsächlich ist damit aber eindeutig gemeint: Russland will nicht akzeptieren, dass die Ukraine als unabhängiger Staat jenseits der eigenen Einflusssphäre existiert. Womöglich geht es Russland sogar darum, dass die Ukraine als solche überhaupt nicht weiter existieren sollte.
Ein vergifteter Vorschlag
Noch besorgniserregender ist aus ukrainischer Sicht allerdings, dass Trump, der von Beginn seiner zweiten Amtszeit an vor allem einen Waffenstillstand an der russisch-ukrainischen Front gefordert hat, nun Putins Perspektive auf die mögliche Lösung des Konflikts zu übernehmen scheint. Es solle nun nicht über eine bloße Waffenruhe verhandelt werden, sondern gleich um ein vollumfassendes Friedensabkommen gehen – wie vom Kreml seit mehr als einem Jahr gefordert. Was gut klingt, ist in Wirklichkeit ein vergifteter Vorschlag. Denn mit einem "vollumfassenden Frieden" meint Russland unter anderem, dass teilbesetzte Gebiete der Ukraine als russisch anerkannt werden. Hinzu kommt die Forderung nach einer sogenannten "Entmilitarisierung", nämlich der radikalen Verkleinerung der ukrainischen Armee und ihres Waffenarsenals, sowie die eher abstrakte nach einer "Entnazifizierung".
Dass es zu einem Abkommen zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte, das beide Seiten zufriedenstellen würde, ist nahezu ausgeschlossen – anders als bei einem Waffenstillstand, bei dem die Ukraine den Status quo an der Front de facto akzeptieren würde. Zu einem Waffenstillstand hat sich die ukrainische Führung längst auch öffentlich bereit erklärt – und mehr als zwei Drittel der eigenen Bevölkerung würden diesen laut Umfragen unterstützen, solange es nicht darum geht, besetzte Regionen offiziell als russisch anzuerkennen. Dafür gibt es in der ukrainischen Gesellschaft keine Zustimmung.
Ein schier unauflösbares Dilemma
Weil die Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja sowie die Krim und die Stadt Sewastopol jedoch inzwischen sowohl in der ukrainischen als auch – zu Unrecht – in der russischen Verfassung verzeichnet sind als Teile der jeweiligen Staatsgebiete, lässt sich das Dilemma ohnehin kaum auflösen. Selbst wenn sich die ukrainische Führung bei Verhandlungen auf eine Gebietsabtretung einließe: Die dann nötige Änderung der ukrainischen Verfassung bedürfte mehrerer Abstimmungen im Parlament und auch eines nationalen Referendums. Damit wäre ein Jahre währender Prozess verbunden, ohne wirkliche Erfolgsaussicht; an zu vielen Hürden könnte die Sache scheitern.
Wolodymyr Selenskyj betont stets, er wolle ebenfalls zu einem dauerhaften Frieden mit Russland kommen, jedoch sicher nicht zu Bedingungen, wie sie nun im Raum stehen. Seine Reise nach Washington, D. C. wird daher eine schwierige werden. Er kann sich dabei zumindest des Rückhalts seiner europäischen Partner sicher sein, die in einem Statement ihre Unterstützung Selenskyjs noch einmal betont haben.
Die bittere Wahrheit für die Ukraine aber ist: Während Putin offensichtlich weiterhin auf Zeit spielt, wird der Krieg zunächst weitergehen. Einen wirklichen Grund, diesen einzustellen, hat der Kremlherrscher nicht, dessen Armee derzeit im Donbass kleine, aber wichtige Geländegewinne macht. Und so wird es Selenskyj in Washington vor allem um die Beantwortung einer Frage gehen: Werden die USA weiterhin über europäische Länder Waffen an die Ukraine verkaufen und auch Aufklärungsdaten mit ihr teilen – während Trump auf weitere Verhandlungen mit Putin setzen dürfte?
Für Selenskyj ist es ein schwieriger diplomatischer Spagat, der in dessen Abwehrkampf gegen die russische Aggression jedoch alternativlos bleibt. Zu einer ähnlichen Szene, wie sie sich zwischen Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und dessen Vizepräsident JD Vance im Oval Office am 28. Februar 2025 zugetragen hat, darf es am Montag aus Sicht Selenskyjs jedenfalls nicht kommen.

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