Dobrindt auf Erfolgskurs?: So wirkt die Migrationspolitik auf die Asylzahlen

Lauscht man dem deutschen Innenminister, ist die deutsche Bundesregierung in Sachen Migration voll auf Kurs: Man habe die Zahl der Erstanträge im Vergleich zum Vorjahr massiv gesenkt, argumentiert Alexander Dobrindt (CSU) regelmäßig. An den Grenzkontrollen will die Koalition daher festhalten. Mittlerweile ist sogar die bislang eher kritische SPD eingeschwenkt und übernimmt die Argumentation der Union: Solange das europäische Asylsystem nicht funktioniert, müsse man eben weiter kontrollieren.

Hat Schwarz-Rot tatsächlich den Schlüssel zu einer besseren Migrationspolitik gefunden? Die Zahlen sprechen auf den ersten Blick dafür: Bis Juli dieses Jahres nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 70.000 Erstanträge auf Asyl entgegen. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 141.000 – ein Rückgang um rund die Hälfte. Gleichzeitig wurden Familiennachzug und Aufnahmeprogramme ausgesetzt.

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Allerdings: Die Zahl der Zurückweisungen an der Grenze steigt durch die verstärkten Kontrollen nicht.

Nun könnte man noch argumentieren, dass die Kontrollen eine so große Signalwirkung hätten, dass Asylbewerber sich anderweitig orientierten.

Allerdings sanken die Zahlen bereits seit 2023 – lange vor Amtsantritt der neuen Regierung im Mai dieses Jahres – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU.

Migrationsforscher Gerald Knaus erklärte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, das die Zahl der Menschen, die über die Türkei gekommen sind, massiv gesunken sei, vor allem die Zahl der Syrer – der wichtigsten Gruppe von Asylbewerbern für Deutschland innerhalb der vergangenen zehn Jahre.

Gerald Knaus Gerald Knaus ist Migrationsforscher und Gründungsvorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI).

„Dafür gibt es drei Gründe: Erstens hat der Druck auf Syrer in der Türkei abgenommen“, sagte Knaus. „Bei Wahlkämpfen war ein zentrales Versprechen, Syrer in kurzer Zeit zurückzuschicken. Dieser Druck hat wieder abgenommen.“ Zweitens habe sich die Situation in Syrien massiv verändert und viele hätten die Hoffnung, zurückkehren zu können. „Und drittens hat Deutschland und übrigens auch Österreich die Asylverfahren für Syrer nach dem Fall von Assad ausgesetzt. Das war ein Signal, das manche so aufgefasst haben, dass es sich derzeit nicht lohnen könnte, in diese Länder zu gehen.“

Knaus betonte: „Die Zurückweisungen an der Grenze haben die sinkenden Zahlen nicht verursacht. Denn dann müssten die Migranten ja anderswo auftauchen. In Österreich steigen die Zahlen jedoch nicht. Und auch auf dem Balkan und in Griechenland stecken keine Syrer fest. Stattdessen sinken die Zahlen in der gesamten EU.“

Die Herausforderungen lägen aktuell anderswo: „In der Türkei haben rund 2,7 Millionen Syrer temporären Schutz. Wenn die Hoffnung in Syrien schwindet, neue Konflikte aufbrechen oder der Wiederaufbau nicht funktioniert und die Türkei erneut Druck aufbaut, würden sich voraussichtlich wieder viele Menschen auf den Weg machen“, warnte Knaus. „Die Hauptzielländer wären dann wieder Deutschland und Österreich.“

Der Wissenschaftler schlug dagegen vor: „Sinnvoll wäre jetzt eine Migrationspartnerschaft mit der Türkei. Viel EU-Geld für Frontex, aber wenig für Syrien und die Türkei, wäre aus deutscher Sicht schlecht investiertes Geld. Und auch die Union weiß, dass sie die Grenzkontrollen nicht unbegrenzt aufrechterhalten kann.“ Daher brauche es dringend eine nachhaltige Strategie, sonst mache man der AfD ein großes politisches Geschenk.

Allerdings kommt es nicht nur auf Syrien und die Türkei an, so Knaus. „Auch die Ukraine darf man nicht aus dem Blick verlieren: 1,2 Millionen Ukrainer halten sich in Deutschland auf, aber nur rund 60.000 in Frankreich. Was wird passieren, wenn sich die Lage dort verschlechtert? Ich nehme hierzu Ratlosigkeit in der EU und in der Koalition wahr.“