Charmeoffensive für die Rüstungsindustrie
Eigentlich sollte es jetzt losgehen. Doch der Star von Borussia Dortmund nippt an seiner Wasserflasche, telefoniert und schaut sich um. Erné Embeli wirkt alleingelassen auf der Gamescom, der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele in Köln. Dabei ist er nicht als gamingbegeisteter "Zocker", sondern als Attraktion hier. Der Gamer und Influencer mit mehreren hunderttausend Followern tritt für das E-Sports-Team von Borussia Dortmund auf.
Der Fußballklub verkündete im Mai 2024 eine Partnerschaft mit dem Rüstungshersteller Rheinmetall. Und an einem Stand von Rheinmetall steht deswegen jetzt Embeli in einem Dortmund-Shirt und ruft in seiner Instagram-Story dazu auf, am Stand vorbeizuschauen. Er sei bis 15.30 Uhr da.
Die Idee dahinter: Die Fans folgen ihrem Star – und kommen nebenbei mit den wartenden Recruitern ins Gespräch. Denn seit ein paar Jahren ist die Messe nicht nur für Spielehersteller oder Elektronikmarken interessant. Arbeitgeber sind auf der Gamescom präsent, um für sich und eine Karriere in ihrem Unternehmen zu werben. Neben Airbus, Commerzbank und Ritter Sport haben das auch die Bundeswehr, der Bundesnachrichtendienst (BND) und Rheinmetall erkannt, die ebenfalls in Halle 10.1, der "Career Area", vertreten sind. Hinzu kommt: Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich das Standing von Militär und Rüstungsindustrie in der Gesellschaft verändert. Rheinmetall-Chef Armin Papperger bezeichnete seine Branche jüngst als "Jobmaschine".
Und um für einen Berufseinstieg bei dem Konzern zu begeistern, heuert der auch schon einmal einen YouTube-Star wie Erné Embeli an. Aber wie kommt diese doch recht durchsichtige Charmeoffensive bei den jungen Gamern an? Haben die Unternehmen und Institutionen Erfolg damit?
"Oh mein Gott, das war einfach Erné!"
Die "Career Area" ist weniger besucht als die anderen Hallen, trotzdem finden auf ihren Streifzügen übers Messegelände viele Gamer ihren Weg hierhin, und sei es aus Versehen. Die in der Halle vertretenen Unternehmen und Institutionen geben sich große Mühe, einen Stand auf der Gamescom zu rechtfertigen. Bei Rheinmetall streifen sich Besucher eine VR-Brille auf und "sitzen" damit in einem Lynx-Panzer. Zum Mitnehmen gibt es gebrandete Socken, Kondome mit der Aufschrift "Sicherheit zählt, immer und überall" oder Spielkarten, auf denen verschiedene Panzer zu sehen sind, versehen mit Attributen wie "Life-Saver. Living Legend". Mit den hausmeisterkittelblauen Aufstellwänden und den kontrollierten Mitarbeitern könnte der verhältnismäßig kleine Stand auch für eine Versicherung werben. Dass er zu einem der größten Waffenhersteller der Welt gehört, erkennen Besucher auf den ersten Blick nur auf dem Flachbildschirm. Hier laufen die Videodateien "panther.mp4" und "001_imagefilm.mp4", die Panzer im Einsatz auf einem Übungsplatz zeigen.
Auf der Gamescom gilt traditionell: Je populärer ein Spiel, desto länger ist die Schlange. Keine Schlange, aber immerhin eine kleine Traube versammelt sich fünf Minuten nach Erné Embelis Aufruf vor dem Rheinmetall-Stand. "Oh mein Gott, das war einfach Erné!", sagt einer der drei Jungs, die gerade ein Selfie ergattern konnten und es noch gar nicht glauben können. "Wir wussten gar nicht, dass er hier ist", sagt der Aufgeregteste von ihnen. Für welches Unternehmen ihr Star hier Werbung macht? Allgemeines Achselzucken, die Gruppe zieht weiter, raus aus Halle 10.1 und rein ins Herz des Gamer-Paradieses.
Ein Besucher in königsblauem Schutzanzug zeigt Interesse am Stand von Rheinmetall, fotografiert ihn. Der Overall hat gelbe Details, an seinem Armgelenk trägt er eine klobige Computerarmbanduhr, an seinem Gürtel klemmt eine Plastikwaffe. Zwar findet Christian, wie er sich vorstellt, es moralisch fragwürdig, dass Rheinmetall den Schriftzug "Multiplayers" auf die Werbewände schreibe, fast so, als sei Krieg auch nur ein Computerspiel. Trotzdem geht es für ihn in Ordnung, dass ein Rüstungshersteller einen eigenen Stand hat, schließlich "ist es irgendwie ja doch ein Unternehmen wie jedes andere". Für einen Besuch am Stand reicht Christians Interesse allerdings nicht.
Anders sieht das Laurenz, der mit zwei Freunden feixend bei Rheinmetall vorbeiläuft. Der 17-Jährige ist für die Messe aus Bielefeld angereist. "Ich will das nicht unterstützen", sagt er. Waffenhersteller haben für ihn nichts mit Gaming zu tun: "Rheinmetall sollte hier keine Präsenz zeigen dürfen." Nicken in der Runde, dann sagt sein 18 Jahre alter Begleiter: "Einen Job würde ich da nicht annehmen. Außer, sie schenken mir eine Aktie."
Ein Junge namens Miron mustert den Stand kurz und geht dann weiter. "Sie waren die letzten Jahre halt auch da. Es ist irgendwie normal geworden", sagt er. "Und schließlich ist die Bundeswehr auch hier." Die würden es aber deutlich besser machen, sagt sein Begleiter, "sie bieten viel mehr an".
"Bereit für das nächste Level?"
Vorbei an den Ständen des TÜVs und eines Energieversorgers, geht es genau dorthin weiter. Es sind nur wenige Schritte bis zum Stand der Bundeswehr, an dem sich viele Besucher versammelt haben. Mit ihren Handys filmen sie einen Roboterhund, der gerade auf eine junge Besucherin im Rollstuhl zugeht und sich auf der Stelle dreht. Gesteuert wird der Roboter von einem Herrn in Tarnfleck, der für einen Soldaten recht lässig an einer Säule des Bundeswehrstands lehnt.
Der Roboterhund, ein gepanzertes Fahrzeug, eine Klimmzugstange
(Höchstwert am Freitagnachmittag: 22), hochgewachsene Soldaten: Der
Stand der Bundeswehr sticht heraus. Wohl kein Stand hat eine so hohe
Mitarbeiterdichte pro Quadratmeter wie dieser. Überall sind Soldaten im
Gespräch, an zwölf Stationen erzählen die Soldaten aus ihrem Alltag.
Messebesucher können eine Kopie des beliebten Handyspiels Flappy Bird testen oder sich selbst als Cyberhacker ausprobieren. "Willst Du das
nächste Level erreichen?", lautet das offizielle Bundeswehr-Motto für die
Gamescom. Die Truppe versucht sich darin, Personalgewinnung zu
gamifizieren. Messeauftritte wie dieser haben sich bewährt, erklärt der
Standleiter, und zückt sein Handy aus der Tasche. Über 100.000 Menschen
habe man bereits an den ersten zwei Tagen erreicht, und zeigt einen
virtuellen Zähler, der die Aktivitäten am Stand misst.
Jeder Kontakt zählt, denn schließlich ist die Bundeswehr auf Nachwuchssuche. Zeit zu warten, bis möglicherweise der Wehrdienst wieder eingesetzt wird, bleibt nicht: Laut Wehrbericht ist jede fünfte Stelle unbesetzt, zudem scheiden jährlich etwa 30.000 Soldaten aus dem Dienst aus, die meisten altersbedingt. Um der Schrumpfung vorzubeugen, investiert die Bundeswehr viel Geld, im Jahr 2024 waren es 58 Millionen Euro. Die fließen in aufwendig produzierte Serien, die den Soldatenalltag zeigen sollen, in Kampagnen in den sozialen Medien oder in "Discovery Days", Schnuppertage beim Bund.
Oder eben in einen VR-Helikopter, den man auf der Gamescom ausprobieren kann. Dabei tragen die Besucher eine Virtual-Reality-Brille und sitzen auf einer beweglichen Plattform, die jeden Flugwinkel des virtuellen Helikopters nachahmt. Arlind, der gerade den Helikopter steuert, hat große Mühe, ihn unter Kontrolle zu halten, er schaukelt und kippt während seines "Flugs". Nach der Landung klatscht der 18-Jährige mit einem Freund ab.
"Eine starke Bundeswehr wird immer wichtiger"
"Ich finde den Stand sehr cool, der Helikopterflug war geil – obwohl ich zweimal abgestürzt bin", sagt der Student. Eine Karriere beim Bund kommt für ihn trotzdem nicht infrage, eigentlich sei er "komplett gegen Armeen". Anders der 15-jährige Nils, der am Stand erst einen Fallschirmrucksack anzieht und sich danach mehrere Minuten mit einem Soldaten unterhält. "Eine starke Bundeswehr ist wichtig und wird immer wichtiger." Eine Karriere beim Bund? Nach der Schule kann er sich das auf jeden Fall vorstellen. Eine Anstellung bei der Armee scheint für viele hier im Bereich des Vorstellbaren zu liegen. Die herumliegenden Gewinnspielkarten füllen viele der jungen Besucher mit dem Zusatz aus, an einem Beratungsgespräch interessiert zu sein.
Wenige Schritte weiter ist der BND vertreten. Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, in dunkelblauen Poloshirts mit BND-Wappen, aber ohne Namensschild, stehen für Fragen bereit oder weisen Gäste in das eigens für die Gamescom entwickelte Spiel ein. Kinder stellen sich in eine Fotobox und machen Fotos mit KI-generierten Spielfiguren. Wie viele Bewerbungen konkret auf den Messeauftritt zurückgehen, könne der BND nicht sagen, heißt es im Gespräch.
Doch neue Mitarbeiter zu finden, ist nicht das einzige Ziel auf der Messe. Auf Anfrage betonen alle drei, Rheinmetall, die Bundeswehr und der BND, dass es ihnen auch um Sichtbarkeit und Dialog geht. Ein Rheinmetall-Sprecher verweist darauf, dass man bereits seit vier Jahren auf der Messe präsent sei und "über fehlende Bewerbungen nicht klagen" könne. Der Standleiter der Bundeswehr erzählt, dass das Interesse an der Armee und vor allem die Wertschätzung seit 2022 gewachsen sei. Und BND-Pressesprecherin Julia Linner formuliert einen Satz, der wohl für alle drei gilt: "Durch die Aufmerksamkeit, die wir durch so einen Messeauftritt erreichen, haben wir auf jeden Fall unser Ziel erreicht."
Erné Embeli steht währenddessen am Stand von Rheinmetall, eine Hand in der Tasche, den Blick auf den Fernseher gerichtet. Er schaut zwei Kindern zu, die die Fußballsimulation Fifa spielen, ohne ihn. Wo eben noch Panzer in staubigen Manövern über den Bildschirm rollten, zieht jetzt ein Stürmer am Verteidiger vorbei. Jeder Treffer löst Jubel am Stand aus. Gleich ist es 15.30 Uhr, und Erné hat Feierabend. Am Tag drauf wird er wieder am Stand sein, bereit für jeden Fan, der ihn treffen und vielleicht auch gegen ihn spielen will. Und im besten Fall noch offen für ein kurzes Gespräch mit den Leuten ist, die ihn engagiert haben.