Ex-Social-Media-Berater von Wagenknecht: „Die etablierte Politik hat digitale Kommunikation noch immer nicht verstanden“

Schon früh eroberte Adrian Schimmelpfennig die sozialen Medien für sich. Was mit Content auf Tiktok und YouTube und Kurzfilmen begann, mündete 2021 in die erste digitale Wahlkampfkampagne – damals für den baden-württembergischen SPD-Landtagsabgeordneten Martin Rivoir.

Inzwischen, im Alter von 23 Jahren, leitet Schimmelpfennig mit „Zeitgeist-Politics“ ein Unternehmen, das sich auf die Social-Media-Kommunikation von Politikerinnen und Politikern spezialisiert hat. Das BSW begleitete er im vergangenen Jahr in den Landtagswahlkämpfen im Osten, anschließend kümmerte er sich im Bundestagswahlkampf unter anderem um die persönlichen digitalen Auftritte von Sahra Wagenknecht.


Herr Schimmelpfennig, Sie sind mit sozialen Medien aufgewachsen – anders als viele Politikerinnen und Politiker und ihre Mitarbeiter. Sie sind aber als politischer Berater mit 23 Jahren auch noch sehr jung. Werden Sie da von Älteren immer ernst genommen?
Die meisten nehmen einen glücklicherweise ernst, ja. Im Vergleich etwa zum Beruf eines Handwerkers ist es in meinem Arbeitsbereich besonders, dass mich mein junges Alter zusätzlich kompetent macht, weil ich mit Social Media aufgewachsen bin. Aber klar: In den letzten Jahren habe ich parteiübergreifend auch immer wieder mit äußerst herausfordernden Persönlichkeiten gearbeitet, die stark von meinem jungen Alter irritiert waren.

Das ist dann schon ein echter Kraftakt, sich durchzusetzen. Dabei verstehe ich, dass man sich komisch fühlt, wenn man seinen Job seit 20 oder 30 Jahren macht und plötzlich ein Anfang-20-Jähriger kommt und einem etwas erzählen will. Am Ende ist es wichtig, dass man einander mit Respekt begegnet.

Wo haben Sie Ihr Wissen her? Haben Sie sich alles autodidaktisch beigebracht?
Wir leben in einem Zeitalter, in dem Elite-Universitäten ihre Vorlesungen kostenlos online zur Verfügung stellen, in dem Youtube ganze Bibliotheken an Wissen bereithält und in dem man mit KI einen Allwissenden in der Tasche trägt.

Während der SPD-Parteikanal mit einem Video seine 1500 Klicks sammelt, erhält der nächstbeste Verschwörungstheoretiker 1,5 Millionen.

Adrian Schimmelpfennig, Social-Media-Berater

Viele Politikerinnen und Politiker behandeln ihre Kommunikation in den sozialen Medien immer noch eher stiefmütterlich. Oder täuscht der Eindruck?
Nein, die etablierte Politik hat tatsächlich noch immer nicht verstanden, wie digitale Kommunikation funktioniert. Sie findet auf den relevanten Plattformen zu wenig statt. Die Zahlen zeigen: Sahra Wagenknecht ist derzeit die einzige Spitzenpolitikerin, die abseits von AfD-Chefin Alice Weidel einen Youtube-Kanal mit respektabler Reichweite hat (Anm. d. Red.: Wagenknecht hat 668.000 Abonnenten, Weidel 296.000).

Kaum ein anderer Politiker erreicht mit einem Video mal über 100.000 Aufrufe, dabei ist Youtube mit die bedeutendste meinungsbildende Plattform. Und während der SPD-Parteikanal mit einem Video seine 1500 Klicks sammelt, erhält der nächstbeste Verschwörungstheoretiker 1,5 Millionen. 

Was machen die anderen Politiker falsch?
Es beginnt damit, dass die allermeisten Politiker gar keinen Youtube-Kanal regelmäßig mit hochwertigen Inhalten bespielen. Außerdem missverstehen viele ihre Kanäle als eine Art Newsletter für Parteifreunde: Angesprochen wird die eigene Blase – nicht die Menschen, die man eigentlich noch von sich überzeugen müsste. Genau hier liegt aber das Potenzial sozialer Medien. 

Ein weiteres Problem ist, dass Politiker oft zu sachlich, zu distanziert und damit unnahbar wirken. Persönlichkeit zu zeigen, gilt da schnell als Äquivalent zum Tiktok-Tanz: peinlich, unauthentisch, unseriös. Doch Studien zeigen: Persönlichkeit ist ein wesentlicher Faktor bei der Wahlentscheidung. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, das richtige Maß an Authentizität zu finden.

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Was braucht es noch, um digital erfolgreich zu sein?
Es braucht überhaupt einen stärkeren finanziellen und personellen Fokus auf die digitale Kommunikation. Im Moment kümmert sich oft ein Social-Media-Mitarbeiter um vier Plattformen. Das kann einen allein nur überfordern. Jeder Abgeordnete, der online erfolgreich kommunizieren will, bräuchte ein Team aus vier, fünf Personen. Es braucht Expertise in Videoproduktion, Storytelling und der Funktionsweise von Algorithmen.

Zugleich halten etablierte Bundestagsabgeordnete Vorträge in einem Saal vor 200 Akademikern. Dafür werden dann zwei Arbeitstage investiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Heidi Reichinnek macht vieles richtig. Von ihr kann man sich wirklich einiges abschauen.

Adrian Schimmelpfennig

Die AfD versteht es, die sozialen Medien erfolgreich für sich zu nutzen. Was macht die Partei richtig?
Ein wesentlicher Grund ihres Erfolges liegt in einem strategischen Fehler der anderen Parteien und der etablierten Medienlandschaft. Denn trotz ihrer Popularität wird die AfD in den öffentlich-rechtlichen Medien, die eigentlich zur Neutralität verpflichtet sind, unterrepräsentiert – man sieht es an den Einladungen in große Talkshows. Das hat die Partei von Anfang an gezwungen, alternative Kanäle zu erschließen.

Rückblickend war das vermutlich das Beste, was ihr passieren konnte. Denn auf Plattformen wie Youtube, Instagram, X oder Tiktok lässt sich eine weitaus größere Reichweite erzielen als etwa in einer Markus-Lanz-Sendung um 23 Uhr, die vor allem ein akademisches Publikum erreicht. Auf Social Media hingegen erreicht man Menschen, die sich längst von der Politik abgewandt haben oder politisch nicht sonderlich interessiert sind. 

Die AfD produziert zudem kontinuierlich plattformoptimierte, technisch anspruchsvolle und virale Inhalte, postet viel und investiert ernsthaftes Budget in ihre Online-Kommunikation – im Gegensatz zu den anderen Parteien, die in diesem Bereich wesentlich zögerlicher agieren.

Und: Plattformen wie X oder Youtube sind für einen Diskurs im Kern toxisch, weil ihre Algorithmen beispielsweise Emotionalisierung systematisch belohnen. Die AfD versteht es meisterhaft, dies für sich zu nutzen.

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Auch Linken-Co-Fraktionschefin Heidi Reichinnek erreicht viele Menschen in den sozialen Medien.
Ja, Heidi Reichinnek macht vieles richtig. Sie versteht Storytelling, achtet auf die Nachbearbeitung ihrer Videos, greift Trends auf, baut Jugendsprache und Jugendhumor ein und interagiert mit den Zuschauern. Von ihr kann man sich wirklich einiges abschauen. Vor allem geht es bei ihr auch um den Dialog: Sie streitet online, sucht die direkte Auseinandersetzung – etwas, das ich bei anderen Parteien oft vermisse, die sich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigen, anstatt andere argumentativ herauszufordern.

Was ist mit CSU-Chef Markus Söder?
Markus Söder macht wenig Inhaltliches, was viral geht. Manche seiner Beiträge bekommen viel Traffic, ja – aber es ist ein Unterschied, ob man mit einem Donut in der Hand Reichweite erzielt oder mit einem politisch argumentativen Video wie bei Wagenknecht, Weidel oder Reichinnek.

Wagenknecht und das BSW vertreten teils auch sehr populistische Positionen – etwa im Umgang mit Russland und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. War das für Sie in der Zusammenarbeit ein Problem?
Ich verstehe die Frage, halte mich aber als Social-Media-Berater mit persönlichen politischen Haltungen in der Öffentlichkeit zurück. Was sich festhalten lässt: Für viele hat das BSW eine wichtige Lücke in der deutschen Parteienlandschaft geschlossen. Vor der Parteigründung gab es objektiv keine politische Kraft, die beispielsweise einerseits mehr Druck auf das obere ein Prozent ausüben wollte und gleichzeitig in der Migrationsfrage nicht naiv war. 

Schimmelpfennig: Politiker sprechen in den sozialen Medien vor allem ihre eigene Bubble an.

© Natalie Bockarev

Wie haben Sie Sahra Wagenknecht im persönlichen Umgang erlebt?
Sie ist ruhig, extrem höflich und kann sehr gut zuhören. Sie ist auch sehr perfektionistisch, was ich an ihr schätze. In Interviews erlebt man sie ja oft als sehr hartnäckig, als jemand, der sich durchsetzen kann. Sie ist aber auch eine sehr humorvolle Person. Wir haben viel gelacht. Genau diese Seite haben wir im Wahlkampf versucht, für ihre Videos in den sozialen Medien zu zeigen. 

Oft hatte ich die Situation, dass sie aus dem Nichts – zum Beispiel im Auto auf dem Weg zu einem Interview – einen lustigen, klugen politischen Kommentar abgelassen hat, der eigentlich schon das perfekte Videoskript war. Meine Aufgabe war es dann häufig, einfach nur zu sagen: „Sahra, sag das bitte noch einmal, wir brauchen das auf Video.“ Genau diese Aufnahmen waren oft die erfolgreichsten.

Für den Bundestag hat es für das BSW allerdings trotzdem nicht gereicht. Wie erklären Sie sich das?
Das BSW ist eine extrem junge Partei. Neben vielen anderen Punkten wird meines Erachtens oft unterschätzt, dass es schlicht Zeit braucht, bis sich eine Partei etabliert und ihre Botschaften klar in die Gesellschaft trägt. Die prominente Erzählung ist natürlich, dass das BSW gescheitert ist. Allerdings ist das BSW auch die erfolgreichste Neugründung in der Geschichte der Bundesrepublik. Aus dem Stand ein solches Wahlergebnis – das hat zuvor niemand geschafft. 

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Wie haben Sie selbst den Weg in die digitale politische Kommunikation gefunden?
Angefangen hat bei mir alles mit Videos auf Tiktok und Youtube. Zunächst war das aber nichts Politisches und anfangs habe ich auch keine Leute damit erreicht. Mein Vater war ein totaler Filmliebhaber, so bin ich zum Film und darüber auch zur Videobearbeitung gekommen. Ich habe mir mit 13 beigebracht, wie man mit dem Videobearbeitungsprogramm After Effects umgeht. 

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich ein Video gemacht habe, in dem ich mich selbst klonte. Das ging total durch die Decke: Über Nacht hatte es plötzlich eine halbe Million Aufrufe – ein unglaubliches Gefühl. In diesem Moment war mir klar, dass ich daraus mehr machen muss. Nach gut einem halben Jahr hatte ich alleine auf Tiktok 140.000 Follower.

Und was hat Sie politisiert?
Viel dazu beigetragen haben sicher meine Mutter und mein Bruder – beide diskutieren gerne und viel. Meine Mutter war auch streng. Ich durfte in meiner Jugend vor allem die Tagesschau gucken. Hier und da vielleicht noch Peter Lustig.

Mein bester Freund in der Schule hat auch eine Rolle gespielt. Wir fanden mit 13, 14 Jahren tatsächlich die FDP toll und haben viel über Politik gesprochen. Die anderen Kinder dachten wohl, wir sprechen Mandarin. Irgendwann ist uns zunehmend aufgefallen, dass die FDP die oberen ein Prozent und ihr Handeln völlig unkritisch sieht. Auch deshalb habe ich mich von den Liberalen abgewandt.

Im Moment lassen wir uns komplett fremdsteuern von US-Techkonzernen.

Adrian Schimmelpfennig

Worin sehen Sie die Gefahren, wenn es die politische Mitte nicht schafft, digital mehr Menschen zu erreichen?
Dann wird die politische Mitte weiter geschwächt. Wir sehen ja bereits, wie die Ränder wachsen. Gerade die Generation Z ist sehr gespalten. Die aktuelle politische Medienlandschaft legt in vielerlei Hinsicht die Axt an die Demokratie. Und irgendwann haben wir hier amerikanische Verhältnisse und einen irreversiblen Schaden, wenn wir jetzt nichts tun. 

Was halten Sie für nötig?
Es bräuchte einen europäischen Ansatz. Im Moment lassen wir uns komplett fremdsteuern von US-Techkonzernen. Die beeinflussen ganz wesentlich den öffentlichen Dialog in diesem Land. Europa braucht eigene Plattformen und eigene Start-ups mit Algorithmen, die unseren Werten entsprechen.

Ihre Aufgabe beim BSW ist abgeschlossen. Wie geht’s jetzt weiter für Sie?
Für mich war nach fast zehn Monaten Wahlkampf klar, dass Abwechslung hermuss. Jeder, der schon einmal Wahlkampf gemacht hat, weiß, dass es kaum etwas vergleichbar Intensives gibt. Und natürlich gibt es im Leben auch schönere Dinge als Politik. Aus meiner Sicht ist es wichtig, immer wieder aus der politischen Blase herauszukommen.

Bis es wieder losgeht, befasse ich mich mit anderen Projekten – zum Beispiel mit dem Projekt „Eltern-Medien-Akademie“, das ich gegründet habe. Dort können Eltern in Kursen lernen, was ihre Kinder online erleben und wie sie sie besser schützen und fördern können. Denn nie zuvor waren so viele junge Menschen depressiv; die junge Generation leidet unter Social Media. Umso notwendiger ist es, hier aufzuklären. Für mich ist das im Moment extrem sinnstiftend.