Irgendwann ist auch mal gut

Adeline Tsopgni ging noch zur Schule, als sie das erste Mal von einem anderen Kamerun träumte. Von einem Land, in dem die Politik jünger und weiblicher sein würde. Sie saß vor dem Fernseher und sah eine Frau mit imposant aufgetürmtem Haar. "Die Zeit ist reif", rief diese Frau von einer Bühne: "Die Zeit ist reif."

Das war 2011. Was Tsopgni am Bildschirm verfolgte, war ein historisches Ereignis: Zum ersten Mal bewarb sich eine Frau um die kamerunische Präsidentschaft. Da, so erzählt es Tsopgni heute, fragte sie sich: Was, wenn es tatsächlich gelingt, die Herrschaft des alten Mannes zu brechen? Doch die Zeit war nicht reif. Und sie ist es wohl noch immer nicht. Kameruns Präsident Paul Biya ist heute 92 und der älteste Staatschef der Welt. Mitte Juli hat er seine Kandidatur für die nächste Präsidentschaftswahl verkündet, gewinnt er, wäre das seine achte Amtszeit. Träumt das Mädchen von damals noch immer?

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Die Hauptstadt Kameruns ist umringt von dichtbewachsenen Bergen. Ein dunkelgrüner Kessel, in dem jetzt, in der Regenzeit, zwei Millionen Menschen wie in einem Dampftopf leben. Adeline Tsopgni sitzt an einem Sonntag im Juli auf der Brüstung eines Springbrunnens. Sie ist mittlerweile 25, und mit ihren geflochtenen Locken ähnelt sie Kah Walla, die sie einst im Fernsehen sah. "Eine Frau zu erleben, die das höchste Amt anstrebt, hat für mich alles verändert", sagt Tsopgni. "Ich habe an diesem Tag entschieden, dass ich einmal selbst Präsidentin sein werde."

Ein Kreisverkehr am 5. Juli 2025 in Douala, der wirtschaftlichen Metropole Kameruns. © Issio Ehrich für DIE ZEIT

Kah Walla ist bis heute eine Ikone der Opposition. Als Kandidatin lässt sie sich jedoch nicht mehr aufstellen. Sie boykottiert Wahlen im System Biya. Tsopgni hingegen will in die Politik. Sie hat ihr Leben schon lange auf dieses Ziel ausgerichtet – allen Widerständen zum Trotz. In der Schule überzeugte sie, das Kind eines Bauern und einer Marktfrau, den Direktor, den Posten des Klassensprechers von den Noten abhängig zu machen. Tsopgni wurde die erste Klassensprecherin. An der Uni, wo sie Jura und Politikwissenschaften studiert, wurde sie die erste Präsidentin des Debattierklubs. "Die Erste" – dieser Begriff zieht sich durch ihre Biografie. Bald führte Tsopgni Streiks an, weil an der Hochschule so oft der Strom ausfiel. Sie wurde festgenommen, bedroht, doch am Ende wurden die Blackouts seltener. 2022 gründete Tsopgni eine NGO: Her Impact, (Ihr Einfluss).

Kah Walla, Aktivistin und ehemalige Präsidentschaftsbewerberin in Jaunde. © Issio Ehrich für DIE ZEIT

Tsopgni hat viel verändert in ihrer Gesellschaft. Doch eines veränderte sich nicht. "Ich habe nie einen anderen Präsidenten erlebt als Paul Biya", sagt sie. "Meine Mutter hat nie einen anderen Präsidenten erlebt. Und wenn sie Großmutter wird, wird es immer noch so sein." Biya regiert seit 1982. Gewinnt er die Wahlen im Oktober, kann er bis zum Jahr 2032 im Amt bleiben. Und es gibt wenig Zweifel daran, dass er gewinnt. Die Opposition ist gespalten und von regimetreuen Scheinkandidaten durchsetzt. Zudem kontrolliert die Regierung die Wahlkommission, die schloss Ende Juli mit Maurice Kamto einen der gefährlichsten Herausforderer aus. Gegen die Proteste seiner Anhänger gingen die Sicherheitskräfte mit Tränengas vor.

Paul Biya, 92, der Greis unter den Staatschefs © Jacovides Dominique/​Abaca Press/​Imago

"Demokratie gibt es in Kamerun nur auf dem Papier", sagt Tsopgni. "Aber dieses System kann nicht ewig bleiben, die Menschen, die dahinterstehen, können es nicht." Schon mit solchen Äußerungen riskiert man viel, sie werden als Anspielung auf das Alter Biyas interpretiert. In Kamerun ist es seit 2024 verboten, Spekulationen über die Gesundheit des Präsidenten anzustellen. Damals war Biya für Wochen in die Schweiz verschwunden. Daheim kursierten Gerüchte, er sei gestorben. War er nicht. "Das ist kein Geist", kommentierte das Staatsfernsehen Biyas pompös inszenierte Rückkehr.

Doch ganz so sicher sind sich viele in Kamerun nicht mehr. Das Volk bekommt seinen Präsidenten meist nur noch zur Neujahrsansprache und zum Nationalfeiertag zu sehen. Sein Kabinett hat er das letzte Mal 2019 einberufen.

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Es gilt als offenes Geheimnis, dass Biya auch deswegen noch einmal antritt, weil das System, das hinter ihm steht, seine Nachfolge nicht klären konnte. Etliche seiner Vertrauten sind selbst in die Jahre gekommen und älter als 80. Es ist eine Herrschaft der Greise, die keinen Platz machen wollen.

Die junge Aktivistin Adeline Tsopgni will ins Parlament einziehen. © Issio Ehrich für DIE ZEIT

Der Konflikt zwischen den Generationen spitzt sich nicht nur in Kamerun zu, das Problem treibt heute fast ganz Afrika um. Denn auf keinem Kontinent ist die Bevölkerung so jung, im Durchschnitt 19 Jahre. Und auf keinem anderen Kontinent klammern sich noch so viele alte Männer an die Macht, nicht wenige sind über 80.