Bremst sie jetzt die Energiewende aus?: Katherina Reiches Interpretation des Monitoring-Berichts verursacht Irritationen
Mit großer Spannung war der Monitoringbericht zur Energiewende erwartet worden. Die Befürchtung vieler Klimaschützer: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) könnte den Bericht zum Anlass nehmen, die Energiewende auszubremsen.
Bereits in der Vergangenheit hatte sie sich skeptisch zur Erreichbarkeit der Klimaziele geäußert, bezeichnete den bisherigen Ausbau der Erneuerbaren als „völlig überzogen“. Besonders eine nach unten korrigierte Prognose für den Strombedarf könne nun, so die Befürchtungen, als Argument genutzt werden, das Tempo zu drosseln.
Am Montag präsentierte Reiche den Bericht nun endlich der Öffentlichkeit – gemeinsam mit einem 10-Punkte-Papier, das die Schlüsse enthält, die sie und ihr Ministerium aus dem Bericht für ihr politisches Handeln ziehen.
Wir haben versucht, deutlich zu machen, wir sind on track, was Ausbauziele angeht.
Studienautor Alexander Kox vom Beratungsunternehmen BET sieht Deutschland insgesamt auf einem guten Weg.
Der Bericht sieht Deutschland bei der Energiewende grundsätzlich auf einem guten Weg. „Wir haben versucht, deutlich zu machen, wir sind on track, was Ausbauziele angeht“, sagte Alexander Kox, einer der Studienautoren. „Wir haben aber auch versucht, deutlich zu machen, dass wir die Kosten ein bisschen aus dem Auge verloren haben.“ Es gebe durchaus Potenziale, die Maßnahmen „ein bisschen intelligenter“ zu machen. Zum Beispiel sollen Stromnetze zukünftig wieder vermehrt überirdisch gebaut werden, statt sie teuer und langwierig unter der Erde zu verlegen.
In den Worten der Wirtschaftsministerin selbst klingt es dramatischer: Die deutsche Energiewende stehe an einem Scheideweg.
Kritik und Lob für Reiches Pläne
Tatsächlich korrigiert der Bericht wie erwartet die Prognose des Strombedarfs nach unten. Statt 750 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2030 wird nur noch mit 600 bis 700 TWh gerechnet. Im vergangenen Jahr lag der Stromverbrauch in Deutschland bei rund 464 TWh. Grund sei, dass die Elektrifizierung der Industrie und der Aufbau von Elektrolyseuren zur Wasserstofferzeugung langsamer vorangehe, als erwartet.
Andere Studien rechnen dagegen mit einem höheren Bedarf. Im Vorfeld gab es bereits Kritik, Reiche habe gezielt wirtschaftsnahe Institute mit dem Monitoring beauftragt, von denen eher konservative Schätzungen zu erwarten seien.
Im Begleitpapier lässt Reiche nun wissen, dass sie damit rechne, dass der Strombedarf „eher am unteren Ende“ dieser Spanne liegen werde. Das lässt sich nur so interpretieren, dass die Wirtschaftsministerin selbst nicht daran glaubt, dass die Bundesregierung ihre Ziele in der Wärme- und Mobilitätswende sowie der Transformation zur Wasserstoffwirtschaft erreicht.
Deutliche Kritik kommt daher etwa von Julia Bläsius, Direktorin des Thinktanks Agora Energiewende: Annahmen über den künftigen Strombedarf seien ein Spiegel der politischen Ambitionen der Bundesregierung bei Zukunftstechnologien. Positiv äußerte sich hingegen der Bundesverband der Deutschen Industrie. Reiches Pläne legten ein „Fundament für deutliche Effizienzverbesserungen“.
Alle Fördermaßnahmen und Subventionen werden auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hin überprüft und auf das unbedingt nötige Maß reduziert.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht in ihrem 10-Punkte-Plan Sparpotenziale.
Welche konkreten Schlüsse Reiche aus der Korrektur für den Ausbau der Erneuerbaren zieht, ist noch nicht ganz klar. Am Ziel, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern, halte sie fest, sagte sie am Montag. Doch 80 Prozent von 600 TWh sind deutlich weniger als 80 Prozent von 750 TWh – so könnte weniger Tempo durchaus gerechtfertigt werden.
Bundeskanzler Merz äußerte sich bereits in diese Richtung. Bei einer Veranstaltung des Maschinenbauverbands sagte er am Dienstag: „Wir werden die Ausbauziele leicht zurücknehmen.“ Das diene der Kosteneffizienz.
Auch das 10-Punkte-Papier gibt erste Hinweise darauf, dass der Fokus in Zukunft mehr als bisher auf Kosteneffizienz liegen dürfte. Subventionen sollen „auf das unbedingt nötige Maß reduziert“ werden, etwa die feste Einspeisevergütung für private Solaranlagen abgeschafft werden.

© dpa/Michael Matthey
Der Monitoring-Bericht selbst ist in dieser Frage hingegen klarer: Selbst bei einem langsameren Anstieg des Stromverbrauchs bleibe ein hohes Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig, um klimapolitische Ziele zu erfüllen.
Innerhalb der Koalition rumort es
Hier offenbart sich ein grundsätzlicher Trend: An mehreren Stellen passen der Bericht und die Schlussfolgerungen, die Reiche daraus zieht, nur bedingt zusammen. Etwa bei der Solarförderung: Der Bericht warnt, „dass sich die Zubaudynamik im Segment der Aufdachanlagen abschwächt“ – bestehender Förderung zum Trotz. Reiche möchte die feste Einspeisevergütung dennoch streichen. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) spricht von „Deutungsdualismus“.
Wenig überraschend kritisieren die Grünen Reiches Schlussfolgerungen: „Ihr eigener Monitoringbericht empfiehlt Katherina Reiche, im Wesentlichen die erfolgreiche Energiewendepolitik ihres Vorgängers fortzuführen“, sagte Michael Kellner, Sprecher für Energiepolitik der Bundestagsfraktion. Reiche mache auf ihn den Eindruck, sich mit Händen und Füßen gegen diese Erkenntnisse zu wehren.
Wir dürfen uns keinesfalls künstliche Hürden bei der soliden Versorgung mit erneuerbarer Elektrizität für Industrie, Verkehr und Wärme aufbauen.
Umweltminister Carsten Schneider (SPD) warnt vor zu geringen Ambitionen beim Ausbau der Erneuerbaren.
Doch auch innerhalb der Koalition rumort es. „Wir dürfen uns keinesfalls künstliche Hürden bei der soliden Versorgung mit erneuerbarer Elektrizität für Industrie, Verkehr und Wärme aufbauen“, warnte Umweltminister Carsten Schneider (SPD). Laut „Table Briefings“ war Schneider trotz seiner Zuständigkeit für Klimaschutz nicht im Vorfeld über die Ergebnisse des Monitorings und Reiches Schlussfolgerungen informiert worden.
Einen anderen Ton als zuvor schlägt Reiche hingegen beim umstrittenen Thema Versorgungssicherheit an. Zwar heißt es in ihrem Papier weiterhin, diese sei „allen voran durch moderne Gaskraftwerke“ sicherzustellen, allerdings bekennt sie sich anders als bisher nun klar dazu, dass diese perspektivisch von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden müssten, um klimaneutral zu werden.
Auch Biomasse oder Batteriespeicher sollen nun stärker berücksichtigt werden. Anfang des Monats hatte Reiche die bis 2035 erforderlichen 22 und 36 Gigawatt an neuen „steuerbaren Kapazitäten“ noch rein mit Gaskraftwerken abdecken wollen. Davon ist nun nicht mehr die Rede.