So sabotiert man sich selbst

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte vor Kurzem in Brüssel etwas, was kaum Beachtung fand, aber folgenschwer ist: Man wolle in die nächste Stufe des Klimaschutzes "weich" einsteigen. Klingt nett, heißt aber: Der Europäische Emissionshandel soll aufgeweicht werden. Sollte das tatsächlich kommen, dann kann die EU das Klima künftig nicht mehr so schützen, wie sie es ursprünglich vorhatte.

Merz ist nicht der Erste, der so etwas fordert – er klingt nur etwas zaghafter als die Regierungschefs im Osten der EU, allen voran der polnische Premierminister Donald Tusk. Die wollen die Ausweitung des Emissionshandels, kurz ETS 2, für Anfang 2027 gleich ganz verhindern. Ab dann soll ein europaweiter CO₂-Preis dafür sorgen, dass Heizen und Fahren von Verbrennern teurer wird. Ginge es nach ihnen, sollte das frühestens 2030 kommen. Sonst, so warnen sie, könnten soziale, politische und ökonomische Verwerfungen die Folge sein.

Auch in Teilen der deutschen Wirtschaft wird die Kritik an dem Vorhaben immer heftiger. Christian Kullmann, Chef des Chemieunternehmens Evonik nannte den ETS in der Süddeutschen Zeitung volkswirtschaftlichen "Irrsinn". Und Michael Vassiliadis, Chef der Chemiegewerkschaft IGBCE, forderte "einen Realitätscheck".

Wenn Friedrich Merz nun in den Chor einstimmt, dann platzt damit der große Deal, den er und seine CDU vor Jahren geschlossen haben: Die Christdemokraten haben sich, wie viele andere konservative Parteien, stets gegen Verbote und Subventionen zugunsten des Klimaschutzes gewehrt; der Emissionshandel, so ihr Argument, werde die Sache schon regeln. Da herrsche schließlich der Markt, und der werde die nötigen Innovationen triggern. Bleibt jedoch vom Emissionshandel bald nicht mehr viel übrig, verschwindet damit auch die konservative Klimapolitik.

Derweil warnen Naturwissenschaftler immer lauter, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre weiter steigt. Ändere sich das nicht, schreiben die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft, werde es schon 2050 um drei Grad wärmer sein als vor der industriellen Revolution. Bald schon sei mit deutlich mehr Extremwetterereignissen zu rechnen, auf die sich Deutschland "unzureichend" vorbereite. Was übersetzt so viel bedeutet wie: Weiter zu wenig Klimaschutz zu betreiben, dürfte sehr, sehr teuer werden.

50 Prozent der CO₂-Emissionen der Energiewirtschaft wurden durch den Emissionshandel seit 2005 bereits eingespart.

Es scheint, als steckten die Europäer in der Falle: Eine ehrgeizige Klimapolitik könnte die Stabilität von Gesellschaften und Regierungen gefährden – aber keine ehrgeizige Klimapolitik noch mehr. Nur eben etwas später. Doch ganz so schwarz-weiß ist die Wirklichkeit dann doch nicht. Denn der Emissionshandel hat längst bewiesen, dass er für den Klimaschutz taugt – und zwar ohne die Wirtschaft zu ruinieren.

In der Energiewirtschaft und für energieintensive Unternehmen gibt es ihn bereits seit 20 Jahren, und das extrem erfolgreich. Der ETS hat die Modernisierung der Branche beschleunigt und dafür gesorgt, dass sie ihre Klimaziele sogar übererfüllt: Ihr CO₂-Ausstoß hat sich in den vergangenen 20 Jahren fast halbiert. Auch deswegen wird er inzwischen weltweit kopiert, seit 2021 auch in China, das den Emissionshandel bald noch weiter hochfahren könnte, um den grünen Umbau seiner Industrie zu beschleunigen.