Jetzt mal was anderes

Der frühere Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seinem politischen Leben so oft "Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen" gesagt, dass sich aus all diesen Fäden einst ein mit Phrasen reich verzierter Gesprächsteppich knüpfen ließ, auf dem er bis heute durch die Floskelwelt der deutschen Sozialdemokratie fliegt. Zahlreiche Genossen hat Steinmeier mit an Bord. Vor allem jene, die dem amtierenden Außenminister, "Joe" Wadephul, nach der Absage seiner China-Reise vorhalten, man dürfe gerade in schwierigen Zeiten den Gesprächsfa..., na ja, Sie wissen schon.

Im Gegensatz dazu weiß niemand so genau, wo dieser sagenumwobene Gesprächsfaden eigentlich anfängt. Oder endet. Sicher ist nur, dass er im rhetorischen Bermudadreieck aus "konstruktivem Dialog", "vertrauensvollen Gesprächen" und "offenem Austausch" aufgenommen werden will. Und dass er trotz seines zartbesaiteten Wesens als Allzweckfaden dienen muss: Man kann ihn flechten, verknüpfen oder einfach nur so lange hin und her ziehen, bis alle glauben, es bewege sich etwas.

"Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen" ist die Lieblingsformel all jener, die sonst nicht viel zu sagen haben. Sie funktioniert immer – bei komplizierten Koalitionsverhandlungen, bei EU-Gipfeln, im Dialogversuch mit Donald Trump oder beim Bäcker, wenn die Mohnbrötchen mal wieder aus sind und man ersatzweise seinen Ärger runterschlucken muss. Gesprächsfäden, die nicht abreißen dürfen, signalisieren Handlungsfähigkeit, während sie gleichzeitig nichts versprechen. Eine rhetorische Wäscheleine, an der man die Verantwortung zum Trocknen aufhängt.

Der Gesprächsfaden trifft sich im Politikersprech regelmäßig mit seinen Floskelfreunden: "Wir stehen am Anfang eines Prozesses", "Jetzt gilt es, Brücken zu bauen" und – die Mutter aller Phrasen – "Wir müssen die Menschen mitnehmen". Ins Sozialdemokratische übersetzt lautet sie: "Wir müssen uns wieder an der arbeitenden Mitte orientieren." Gemeinsam bilden all diese immergrünen Floskeln und Phrasen die wohl stabilste Regierungseinheit, die das Land je besaß. Während Kanzler und Minister wechseln, bleiben sie im Amt.

Und wenn dann gar nichts mehr hilft, wenn weder Gesprächsfäden noch Brücken irgendwohin führen, kommt die ultimative rhetorische Wunderwaffe zum Einsatz: "Wir müssen jetzt in die Zukunft schauen." Die Zukunft ist schließlich das ideale Ausweichquartier für all die großartigen Reformen, die man nicht anzupacken wagt.