Ganz ohne die Chefin wird es nicht gehen

"Unsinn", nennt Sahra Wagenknecht die seit Tagen anhaltenden Gerüchte, sie wolle sich aus der Spitze der immer noch nach ihr benannten Partei zurückziehen. Sie werde dem BSW "in führender Funktion" erhalten bleiben. Doch was genau soll das bedeuten?

Am 6. Dezember trifft sich das Bündnis Sahra Wagenknecht in Magdeburg zum zweiten Bundesparteitag seiner Geschichte. Dort werden die beiden Parteichefinnen-Posten neu gewählt. Amira Mohamed Ali, Wagenknechts Co-Chefin, könnte wohl wieder antreten. Wagenknecht aber will partout nicht sagen, ob sie ebenfalls als Vorsitzende weitermacht. Möglicherweise, so die Deutung auch in der Partei, ist die Antwort "nein".

Am kommenden Montag will die BSW-Führung nun endlich das Personaltableau vorstellen, mit dem es in Zukunft weitergehen soll. "Nun soll das Warten aber doch mal ein Ende haben", heißt es selbstironisch in der Einladung, die an die Journalisten ging. Tatsächlich: Wagenknechts Leute hatten eigentlich für das erste Novemberwochenende eine Entscheidung versprochen. Doch bei einer Klausur des Parteivorstands und der Landesvorsitzenden in Berlin tauchte die Chefin nicht auf. Sie sei krank zu Hause im Saarland, hieß es. Aber am vergangenen Dienstag, wenn der Parteivorstand erneut per Videokonferenz tage, werde es eine Entscheidung geben. Als auch dieser Termin ohne Ergebnis verstrich, verwies die Sprecherin auf ein bedauerliches "Missverständnis", das gesamte Personaltableau werde eine Woche später vorgestellt.  

Derweil laufen hektische Gespräche im BSW. Vertraute versuchten offenbar, Wagenknecht, krank im Saarland, davon zu überzeugen, dass sie als Parteichefin gebraucht wird. Es wurde befürchtet, Wagenknecht wolle nur noch eine Art "Ehrenvorsitzende" sein – ihrem eigenen Projekt also lediglich beratend zur Seite stehen und sich aus dem Klein-Klein der Parteiarbeit vollends zurückziehen.    

Es gibt – bislang unbestätigte – Berichte, wonach die Parteigründerin genau das plant, vielleicht als Chefin einer auf dem Parteitag noch zu gründenden Grundwertekommission. 

Tatsächlich hat Wagenknecht immer wieder gesagt, sie wolle nicht ewig Parteichefin sein. Sie sei eher eine Denkerin, nicht das größte Organisationstalent. Im Wahlkampf wirkte Wagenknecht auf Beobachterinnen manchmal so, als würde es sie erschöpfen, das einzige profilierte Gesicht der Partei zu sein.  

Sahra Wagenknecht und das BSW – das ist ein seltsames Verhältnis. Einerseits hat die Ex-Linke die Partei als persönliches Profilierungsprojekt ganz auf sich zugeschnitten und die wichtigen Entscheidungen immer im ganz engen Kreis getroffen. Andererseits war sie immer auch durchdrungen von der Sehnsucht, das BSW personell breiter aufzustellen. Nur: Unter den wenigen Leuten, denen Wagenknecht vertraut, fand sich niemand von ähnlichem Format wie sie. Im Gegenteil: Ihrer Co-Vorsitzenden Mohamed Ali und ihrem Generalsekretär Christian Leye wurden intern strategische Patzer vorgeworfen. 

Unglückliche TV-Auftritte und enttäuschende Wahlergebnisse

Schon länger planen sie im BSW, den Parteitag in Magdeburg zu dem Moment zu machen, in dem die Partei in eine "neue Phase" eintritt, wie es Generalsekretär Leye gerade in einem Interview sagte. So hat die Parteiführung mittlerweile beschlossen, Wagenknechts Namen aus dem Parteinamen Bündnis Sahra Wagenknecht zu streichen. Damit wird ein Versprechen aus den Tagen eingelöst, an denen die Omipräsenz der Chefin noch kritisiert wurde. Der von der aktuellen Führung präferierte neue Name "Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft" behält zwar die Kürzel des BSW, ist allerdings mehr Zungenbrecher, als dass er den Wiedererkennungswert der Partei steigern dürfte.

Und er muss auf dem Parteitag noch mit Zweidrittelmehrheit bestätigt werden.  Am Samstag meldeten sich die Landeschefs aus Rheinland-Pfalz mit einem neuen Vorschlag: "Bürger schaffen Wandel - Vernunft und Gerechtigkeit." Nicht alle im BSW sind sich sicher, ob diese Ideen bei den vielen Wagenknecht-Fans so einfach durchgehen werden.

Ganz ohne die Chefin und ihre pointierten Auftritte geht es nicht, vor allem nicht, wenn man als Partei ums Überleben kämpft, das ist inzwischen allen im BSW klar. Neun Monate ist es her, dass die Partei knapp den Einzug in den Bundestag verpasste, seitdem bleibt das BSW in Umfragen konstant unter der Fünf-Prozent-Hürde. Schon kurz vor der Bundestagswahl hatte Wagenknecht öffentlich mit einem Rückzug aus der Politik gedroht, falls es das BSW nicht ins Parlament schaffe. Dann machte sie doch weiter – auch weil es ihre Talkshow-Auftritte brauchte, um die Aufmerksamkeit für das BSW hochzuhalten. 

Wie könnte das BSW ohne Parteichefin Wagenknecht aussehen? Ihre Co-Chefin Amira Mohamed Ali scheint weitermachen zu wollen. Dem Vernehmen nach soll sich außerdem Fabio De Masi, Ex-Linker und EU-Abgeordneter des BSW, für einen Führungsjob interessieren. Allerdings fehlt es Mohamed Ali an innerparteilicher Autorität und öffentlicher Strahlkraft. Und De Masi ist mehr genialer Chaot als ordnende Hand: In der Vergangenheit hat der ehemalige Bundestagsabgeordnete eher durch akribische Recherchen zu Finanzskandalen überparteilich an Ansehen gewonnen. Er schafft es gut, Aufmerksamkeit auf seine Themen zu lenken – so steckt er offenbar hinter der Öffentlichkeitskampagne, mit der das BSW gerade versucht, eine Neuauszählung der Bundestagswahl zu erreichen. Gleichzeitig gibt es Zweifel, dass De Masi die emotionale Ruhe und den nötigen strategischen Überblick mit sich bringt, einen so chaotischen Laden wie das BSW zu führen. 

Der Posten des Generalsekretärs muss definitiv neu vergeben werden: Der amtierende Generalsekretär Leye hat angekündigt, sein Amt hingegen nicht weiter ausüben zu wollen und sich auf einen Posten als Vizeparteichef zu bewerben.

Angesichts dieser dünnen Personaldecke sei ein Rückzug von Wagenknecht – ob voll oder halb –  "Harakiri" für das BSW, gerade in der aktuellen Situation, heißt es aus der Partei. Eigentlich bräuchte es jetzt mehr denn je eine ordnende Hand. Selbst Wagenknechts größte innerparteiliche Konkurrentin, die Thüringer Finanzministerin Katja Wolf, wiederholte in diesen Tagen mehrfach öffentlich, Wagenknecht sei der "Identifikationsfels" des BSW.  

Das BSW ringt um Aufmerksamkeit

Denn auch mit der prominenten Chefin kämpft das BSW gerade ums Überleben: Wagenknecht fühlt sich und ihre Partei von den Medien bewusst ins Abseits gestellt, wie sie bei ihrem letzten Auftritt in der Fernsehsendung Markus Lanz beklagte. Der Schmollauftritt der Chefin wurde in Teilen der Partei als unglücklich wahrgenommen. Enttäuschend findet man dort auch den Ausgang der Kommunalwahl in NRW im September, wo die Partei mit einem 1,1-Prozent-Ergebnis unter der Wahrnehmungsgrenze blieb.