Wolodymyr Selenskyj stellt Entwurf des 20-Punkte-Friedensplans vor

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erstmals öffentlich die 20 Punkte eines von den USA angestoßenen Friedensplans vorgestellt. Demnach haben sich die Ukraine und die USA in mehreren zentralen Fragen auf Schritte zur Beendigung des russischen Angriffskriegs verständigt.

Der Entwurf sieht unter anderem Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach dem Vorbild von Artikel 5 der Nato – der Beistandsklausel – sowie eine Stärke der ukrainischen Armee von rund 800.000 Soldaten vor. Dies teilte Selenskyj ukrainischen Medien zufolge vor Journalisten in Kyjiw mit. Der Präsident selbst sprach von einem Entwurf für ein Rahmendokument. 

Weiterhin ungeklärt bleibt jedoch die Frage möglicher Gebietsabtretungen, die Russland als Voraussetzung für einen Waffenstillstand fordert. Dies betrifft insbesondere Teile der Region Donezk, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen. Auch die Zukunft des derzeit von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja müsse noch geklärt werden, teilte Selenskyj weiter mit.

Demnach enthält das Papier neben ukrainischen auch russische und US-amerikanische Positionen. Selenskyj sagte, bei vielen Punkten habe es eine Annäherung gegeben, teils sogar einen Konsens. Am Wochenende hatten sowohl russische als auch ukrainische Vertreter in getrennten Gesprächen mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff über den Friedensplan beraten und die Treffen als konstruktiv bezeichnet. 

Gebietsabtretung sei der "schwierigste Punkt"

Im Mittelpunkt der Verhandlungen über ein mögliches Kriegsende steht derzeit der Streit um territoriale Ansprüche in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk, die zusammen als Donbass bekannt sind. Dies sei der "schwierigste Punkt", sagte Selenskyj. Russland fordert von der Ukraine die Abtretung auch jener Teile der Region Donezk, die bislang nicht von russischen Truppen besetzt sind. Die Ukraine lehnt dies ab. Russland kontrolliert derzeit den Großteil der Region Luhansk sowie rund 70 Prozent von Donezk. Die USA hatten vorgeschlagen, Donezk und Luhansk in freie Wirtschaftszonen umzuwandeln. 

Der 20-Punkte-Plan sieht zur territorialen Aufteilung unterschiedliche Optionen vor. Russland soll seine Truppen zunächst aus den Regionen Dnipropetrowsk, Mykolajiw, Sumy und Charkiw abziehen. Für die umkämpften Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson sieht der Entwurf zwei Varianten vor: Entweder wird die bestehende Frontlinie eingefroren oder der Donbass wird nach einem Referendum in eine besondere Freihandelszone überführt.

Die Ukraine besteht darauf, dass die Bevölkerung in jedem Fall in einem Referendum über mögliche territoriale Änderungen entscheidet. Zudem fordert die Ukraine die Entmilitarisierung der betroffenen Gebiete sowie die Stationierung einer internationalen Truppe zur Sicherung von Stabilität und Sicherheit. Nach einer Bestätigung der territorialen Vereinbarungen sollen sich Russland und die Ukraine verpflichten, auf jegliche gewaltsame Veränderung des Status quo zu verzichten. 

Uneinigkeit besteht auch über das Atomkraftwerk Saporischschja. Es ist das größte in Europa und steht derzeit unter russischer Besatzung. Die USA schlugen vor, die Anlage gemeinsam mit der Ukraine und Russland zu betreiben, wobei alle Beteiligten an den Erträgen beteiligt wären. "Das klingt für die Ukraine wenig vorteilhaft und nicht sehr realistisch", sagte Selenskyj. Die ukrainische Regierung brachte stattdessen ein Joint Venture zwischen den USA und der Ukraine ins Gespräch. Dabei könnten die USA frei über ihren Anteil von 50 Prozent verfügen. Selenskyj betonte, dass für den Weiterbetrieb des Kraftwerks Investitionen in Milliardenhöhe notwendig seien. "Es gab rund 15 Stunden Gespräche über die Anlage. Das sind sehr komplexe Fragen", sagte er.

Russland äußerte sich bislang nicht konkret

Selenskyj strebt nun ein Treffen mit US-Präsident Donald Trump an, um diese heiklen Punkte für ein mögliches künftiges Abkommen zu klären. Trump hatte wiederholt davon gesprochen, den Krieg in der Ukraine beenden zu wollen, bislang jedoch keine entscheidenden Zugeständnisse der Konfliktparteien erreicht. 

Unterdessen arbeitet die russische Regierung an ihrer Position zu den jüngsten US-Vorschlägen zur Beendigung der Kämpfe. Präsident Wladimir Putin wurde inzwischen von seinem Gesandten Kirill Dmitrijew über dessen Reise in die USA informiert. Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte daraufhin mit, Moskau wolle nun eine Stellungnahme formulieren. Zu möglichen Inhalten äußerte er sich nicht.

Selenskyj erwartet eine Antwort aus Moskau noch am 24. Dezember. "Dann werden wir unsere nächsten Schritte und den möglichen Zeitrahmen für weitere Entscheidungen besser einschätzen können", sagte er.

20-Punkte-Plan zu Sicherheitsgarantien, Wiederaufbau und Territorialfragen

Fest steht: Sollte es zu einer Einigung auf den 20-Punkte-Plan kommen, würde die Souveränität der Ukraine ausdrücklich bestätigt. Der Entwurf sieht zudem eine gegenseitige Nichtangriffsvereinbarung zwischen Russland und der Ukraine vor. Moskau müsste sich dabei juristisch verbindlich zu einem dauerhaften Gewaltverzicht gegenüber der Ukraine und Europa verpflichten. Neben den umfassenden Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Passagen über die Stärke der ukrainischen Streitkräfte bekennt sich der Entwurf auch klar zur europäischen Perspektive der Ukraine und nennt einen möglichen EU-Beitritt. Zugleich müsste die Ukraine ihren Status als neutraler Staat ohne Atomwaffen bestätigen.

Um den Wiederaufbau des Landes zu unterstützen, ist ein umfangreiches Investitions- und Entwicklungspaket vorgesehen, das auch eine enge Zusammenarbeit mit US-Unternehmen einschließt. Geplant ist zudem ein Fonds für den wirtschaftlichen Wiederaufbau mit dem Ziel, Investitionen in Höhe von bis zu 800 Milliarden Dollar anzuziehen. Parallel dazu soll die Ukraine den Prozess für ein Freihandelsabkommen mit den USA beschleunigen. Darüber hinaus sieht der Plan Maßnahmen zur gesellschaftlichen Annäherung vor. Ukraine und Russland sollen Bildungsprogramme fördern, die auf gegenseitiges Verständnis und Toleranz abzielen. Die Ukraine verpflichtet sich zudem zu den EU-Standards bezüglich religiöser Toleranz sowie zum Schutz der Sprachen nationaler Minderheiten.

Russland soll sich verpflichten, die Ukraine weder bei der Nutzung des Flusses Dnipro noch im Schwarzen Meer zu behindern. Zudem ist die Einrichtung eines humanitären Komitees geplant, das unter anderem den Austausch aller Kriegsgefangenen sowie die Rückkehr inhaftierter Zivilisten organisieren soll – darunter Kinder und politische Gefangene. Nach Unterzeichnung der Vereinbarung soll die Ukraine möglichst rasch Wahlen abhalten, zunächst für das Präsidentenamt, anschließend für das Parlament und auf kommunaler Ebene.

Die Friedensvereinbarung wäre juristisch bindend und würde von einem Friedensrat überwacht, der unter der Führung von US-Präsident Donald Trump stehen soll. In dem Gremium wären Vertreter der Ukraine, der EU, der Nato, der USA und Russlands vertreten. Nach Zustimmung aller Beteiligten würde ein vollständiger Waffenstillstand in Kraft treten.