Wahlbeteiligung so gering wie noch nie: SPD-Mitglieder stimmen Koalitionsvertrag zu
Die SPD-Mitglieder haben den Koalitionsvertrag mit der Union gebilligt. Das erfuhr der Tagesspiegel aus SPD-Kreisen. Die Zustimmung lag bei 84 Prozent, die Wahlbeteiligung bei 56 Prozent. Dies teilte die SPD-Führung am Mittwochmorgen dem Parteivorstand und später Generalsekretär Matthias Miersch der Öffentlichkeit mit.
„Damit bekommt die SPD eine große Rückendeckung von der Basis für das Eintreten in die Bundesregierung“, sagte Miersch im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
Klingbeil soll Vizekanzler werden
Parteichef Lars Klingbeil will Finanzminister und Vizekanzler werden, sagte er nach Tagesspiegel-Informationen in Beratungen der Parteiführung am Mittwochmorgen. Die Vorstandssitzung ging dabei schnell über die Bühne, wie der Tagesspiegel aus Teilnehmerkreisen erfuhr. SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan verkündete demnach das Ergebnis des Mitgliedervotums, Klingbeil seine Entscheidung, Finanzminister und Vizekanzler zu werden. Am Montag sollten die Ministerinnen und Minister der SPD vorgestellt werden.
Fest steht schon, dass Björn Böhning beamteter Staatssekretär in Klingbeils Finanzministerium werden soll, wie der Tagesspiegel aus SPD-Kreisen erfuhr. Böhning wird demnach für die Regierungskoordination zuständig sein, inoffiziell damit das „Vizekanzleramt“ leiten. Er hat für Klingbeil bereits den Organisationserlass für die künftige Bundesregierung verhandelt, heißt es in SPD-Kreisen.
Böhning, 46, ist ein Vertrauter Klingbeils. Er war einst Juso-Chef und Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Seit 2022 ist er Geschäftsführer der „Allianz Deutscher Produzentinnen und Produzenten – Film, Fernsehen und Audiovisuelle Medien“.
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Auch SPD-Co-Chefin Saskia Esken sagte ein paar Worte. Zu ihren eigenen Ambitionen äußerte sie sich nicht. Sie lobte explizit Klingbeils Entscheidung, ins Kabinett einzutreten, hieß es anschließend aus Teilnehmerkreisen. Es gab noch ein paar Wortmeldungen, etwa von Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Arbeitsminister Hubertus Heil. Das war’s.

© dpa/Kay Nietfeld
Generalsekretär Miersch teilte auf der späteren Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus mit, dass das Präsidium Klingbeil als Vizekanzler beauftragt habe sowie damit, eine SPD-Regierungsmannschaft zu bilden. „Er trägt die Verantwortung, Frauen und Männer für das Kabinett auszuwählen“, sagte Miersch.
Nach dem Mitgliedervotum der SPD steht einer Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am kommenden Montag nichts mehr im Weg. Einen Tag später ist die Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler geplant. Anschließend werden Merz und seine Ministerinnen und Minister im Bundestag vereidigt.
Hohe Zustimmung, geringe Beteiligung
Bei dem SPD-Basisvotum gab es 169.725 Ja-Stimmen (84,6 Prozent) und 30.912 Nein-Stimmen (15,4 Prozent). Das schrieb SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Mittwochmorgen in einer E-Mail an die SPD-Mitglieder, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Er dankt darin „allen, die abgestimmt haben und damit Verantwortung für unsere Partei, unser Land und unsere Zukunft übernommen haben“. Mit der Beteiligung von 56 Prozent sei das Quorum erreicht, schreibt Miersch: „Damit ist das Ergebnis des Mitgliedervotums bindend.“
Lesermeinungen zum Artikel
„Demokratie lebt vom Kompromiss. Demokratie ist gelebter Kompromiss. Die SPD hat sich in den letzten 100 Jahren als demokratiefähig erwiesen, weil sie eben nicht nur die reine Lehre durchsetzen will. Die SPD ist wie auch CDU/CSU, Grüne, FDP eine Partei für die Bevölkerung, auch wenn der eine oder andere dies bestreitet.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit MME60
„Sie sehen einen sehr zufriedenen Generalsekretär“, sagte Miersch am Mittwoch in Berlin. Die Abstimmung sei ohne Störungen verlaufen. „Ich bin mächtig stolz auf diese Partei.“

© dpa/Michael Kappeler
Vor allem der Parteinachwuchs hatte für eine Ablehnung des Koalitionsvertrages geworben, will das Ergebnis nun aber trotzdem akzeptieren. „Die Mitglieder haben abgestimmt und sich für diesen Koalitionsvertrag in einer demokratisch enorm schwierigen Ausgangslage entschieden“, sagte Juso-Chef Philipp Türmer dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Es hätten aber „mehr als die Juso-Mitglieder ihre Bedenken gegenüber diesem Koalitionsvertrag“ zum Ausdruck gebracht. Das zeige, dass die SPD nun in der Koalition dringend das Soziale nach vorne stellen müsse.
Zum dritten Mal hat die Parteibasis der Sozialdemokraten bundesweit über einen Koalitionsvertrag abgestimmt. Nie war die Zustimmung so hoch wie bei diesem Mal. Gleichzeitig haben sich so wenige Mitglieder beteiligt wie noch nie. 2018 stimmten 66 Prozent der SPD-Mitglieder dafür; 2013 votierten 76 Prozent mit Ja. Die Wahlbeteiligung lag damals allerdings jeweils über 78 Prozent.
Ein Grund dafür könnte auch der Abstimmungsmodus sein. Dieses Mal verzichtete man auf die Option eines Votums per Brief. Alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hatten per Post ein Passwort zugeschickt bekommen, mit dem sie ihre Stimme online verschlüsselt abgeben konnten. Dafür hatten die gut 358.000 SPD-Mitglieder vom 15. bis 29. April Zeit.
SPD-Generalsekretär Miersch verglich die Wahlbeteiligung nicht mit der von vergangenen Abstimmungen zu Koalitionsverträgen 2018 und 2013, sondern der zur Wahl des Parteivorsitz 2019. Diese fand weitgehend digital statt. Damals lag die Beteiligung bei 54 Prozent. „Wir sind sehr zufrieden, auch mit dem Beteiligungsprozess“, sagte Miersch im Willy-Brandt-Haus.