Retten Zuwanderer etwa doch die Rente?
Für ökonomische Studien gilt häufig: je interessanter die Frage, desto unbefriedigender die Antwort. Denn in vielen Fällen lässt sich der Untersuchungsgegenstand methodisch nicht so in den Griff bekommen, dass eindeutige Ergebnisse dabei herauskommen.
Das ist der
Hintergrund der Kontroverse über die Auswirkungen der Zuwanderung, die der
Bochumer Wirtschaftsprofessor Martin Werding – Mitglied im Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – mit einer neuen
Untersuchung angestoßen hat. Werding kommt zu dem Ergebnis, dass die
Zuwanderung die öffentlichen Haushalte entlastet. Das steht im krassen Gegensatz
zu einer vor einem Jahr erschienenen Analyse des Freiburger Wirtschaftsforschers
Bernd Raffelhüschen, die ein enormes Verlustgeschäft nahelegte. Sie hatte ergeben, dass die Zuwanderung mit Kosten in
Höhe von 5,8 Billionen Euro verbunden ist.
Das vorab: Mit der politischen Ausrichtung der Studienautoren lassen sich die Unterschiede nicht erklären. Raffelhüschen gilt wie Werding als seriöser Wissenschaftler, beide gehören eher dem konservativen Lager an, für den Sachverständigenrat haben ihn die Arbeitgeberverbände vorgeschlagen. Die Unterschiede sind vielmehr Ergebnis der verwendeten Methoden.
Raffelhüschen
wendet das Verfahren der sogenannten
Generationenbilanzierung an. Dabei werden die heutigen und zukünftigen Einnahmen
und Ausgaben eines Staates ermittelt und auf die Bevölkerung umgerechnet. Man
kann also eine Aussage darüber treffen, wie viel jeder einzelne Bürger mit
seinen Steuern und Abgaben zur Finanzierung des Staates beiträgt –
beziehungsweise wie viele Leistungen er vom Staat erhält. Wenn die Ausgaben im Laufe eines Lebens größer sind
als die Einnahmen, dann fällt die betroffene Person den öffentlichen Kassen zur
Last, wenn die Einnahmen größer sind als die Ausgaben trägt diese Person zur
Finanzierung des Sozialstaats bei.
Probleme früherer Berechnungen
Die Summe aller individuellen Generationenkonten ergibt die sogenannte implizite Staatsverschuldung. Raffelhüschen nimmt an, dass die Migration auf dem bisherigen Niveau bleibt, und beziffert die Verpflichtungen des Staates auf 497,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Sein Punkt ist nun: Wenn die Migration ganz zum Erliegen käme, dann beträgt der Wert nur noch 347,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Differenz macht umgerechnet die bereits erwähnten 5,8 Billionen Euro aus. Das würde bedeuten: Die Strategie der Regierung, durch den Zuzug von Fachkräften die Rente zu retten, würde nicht aufgehen. Im Gegenteil: Die Einwanderung würde uns alle ärmer machen.
Doch die Methode der Generationenbilanzierung eignet sich nur
bedingt, um die Folgen der Migration abzuschätzen. Problem Nummer eins: In den
Modellen von Raffelhüschen weisen Deutsche ebenfalls eine "negative fiskalische
Bilanz" auf, wie es Werding formuliert. Das liegt daran, dass der Sozialstaat
angesichts der Alterung der Gesellschaft derzeit nicht ausreichend finanziert
ist: Die (künftigen) Ausgaben sind höher als die (künftigen) Einnahmen. Wenn
das nun auf einzelne Beitragszahler beziehungsweise Leistungsempfänger
umgerechnet wird, ergibt sich auch bei Inländern ein Minus. Damit es
verschwindet, müssten zum Beispiel die Beiträge erhöht oder die Leistungen
gekürzt werden.