Es braucht mehr Steuerprüfungen – aber die richtigen

Hochvermögende in Deutschland haben immer seltener eine Steuerprüfung zu befürchten. Zwischen 2021 und 2023 ist die Zahl der Prüfungen um gut 20 Prozent zurückgegangen, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Haushaltspolitikers Dietmar Bartsch. Der sieht darin einen Skandal und bezeichnet die Entwicklung gar als "Bankrott der Steuergerechtigkeit", und eine "politisch gewollte Steuergerechtigkeit à la FDP". 

Die Empörung über die rückläufige Zahl von Steuerprüfungen bei Spitzenverdienern ist nicht nachvollziehbar. Zum einen, weil die Zahl der Prüfungen schon immer niedrig war und immer mal wieder variiert. Schon im Jahr 2005 wurden lediglich 1.200 Spitzenverdiener und -verdienerinnen mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 500.000 Euro überhaupt geprüft; 2014 waren es 980, 2021 wieder 1.108 Prüfungen, 2023 nur 876. 

Zum anderen gibt es aber über 102.000 Steuerpflichtige in Deutschland mit einer halben Million Euro Einkommen pro Jahr. Und mindestens 34.500 Personen davon sind Einkommensmillionäre – also Menschen, die sogar eine Million Euro und mehr an Einkünften pro Jahr erzielen. Wenn man zugrunde legt, dass es 2023 in 661 Fällen der 876 Prüfungen zu Nachforderungen kam – das entspricht immerhin einer beeindruckenden Erfolgsquote von über 75 Prozent – könnte man auf den Gedanken kommen, die Gruppe der Spitzenverdiener sollte doch viel öfter und gleich flächendeckend überprüft werden. Oder, noch besser, sie, wie Großunternehmen auch, gleich einer Dauerprüfung unterwerfen. 

Wer dies fordert, weiß wenig darüber, wie die Steuerfahnderinnen und Betriebsprüfer im Auftrag des Staats tatsächlich arbeiten. Zum einen geht es dabei nicht um eine flächendeckende Kontrolle von Einkommen, sondern um die gezielte Bekämpfung von Finanzkriminalität. Die Finanzbehörden müssen dort prüfen, wo komplexe Strukturen, internationale Verflechtungen und kreative Steuervermeidungsmethoden den Staat und somit auch die Solidargemeinschaft Milliarden kosten. Dass 661 von 876 Fällen zum Erfolg führten, zeigt, wie effizient die Prüfer arbeiten. Sie ermitteln, wenn es einen Verdacht gibt und sich Auffälligkeiten zeigen. Und dort, wo Prüfungen auch wirtschaftlich Erfolg versprechend sind.

Aus diesem Grund werden Menschen, die ihr Einkommen ausschließlich aus abhängiger Beschäftigung bestreiten, eben auch fast nie geprüft. Rein rechnerisch müssen Arbeitnehmerinnen alle 800 Jahre mit einer Steuerprüfung rechnen; die jährliche Prüfquote bei dieser Gruppe liegt bei 1,25 Promille, also 0,125 Prozent. Arbeitnehmer haben wenig Spielraum, Steuern zu vermeiden oder zu hinterziehen, denn die Lohnsteuer wird direkt vom Arbeitgeber abgeführt. 

Es geht um effizienten Ressourceneinsatz

Eben weil viele Menschen mit einem zu versteuernden Einkommen von 500.000 Euro abhängig Beschäftigte sind, werden sie auch nicht geprüft. Dabei gilt zu beachten: Auf ein solch hohes Jahreseinkommen kommt ein zusammen veranlagtes Ehepaar, bei dem beide als angestellte Führungskräfte arbeiten, etwa als Chefärztin und Jurist in einer Großkanzlei, durchaus einmal, ganz ohne kriminelle Energie.

Wissen sollte man auch: Der sinkenden Zahl der Steuerprüfungen steht eine sinkende Zahl Prüferinnen und Prüfer in den Steuerbehörden gegenüber – und eine immer größer werdende Fachkräftelücke. Die Zahl der Betriebsprüfer ist seit Jahren rückläufig. 2023 waren es nur noch rund 12.400, im Jahr davor noch fast 13.000, vor 20 Jahren sogar noch über 14.000. Der Grund dafür liegt in einer Mischung aus Überalterung und unattraktiven Arbeitsbedingungen. In den 2010er-Jahren wurden in vielen Finanzbehörden zudem Stellen abgebaut und nicht nachbesetzt. Dazu kommt schlechtes Management: In der Hoffnung, durch Automatisierung Personal einsparen zu können, wurde der Personalaufbau vielerorts gebremst. Doch komplexe Steuerfälle – etwa bei Konzernen oder internationalen Vermögensstrukturen – lassen sich nicht automatisiert prüfen. Heute schrecken hohe Fallzahlen, starre Hierarchien und veraltete IT-Systeme sowie eine eher durchschnittliche Bezahlung junge Talente ab. 

In einem Punkt aber hat die Linkspartei recht: Es braucht mehr Steuerprüfungen. Doch dafür muss die Politik gezielt in die Ausbildung und Gewinnung von Steuerprüferinnen und Steuerprüfern investieren – mit attraktiven Gehältern, flexiblen Arbeitsmodellen und modernen Arbeitsplätzen.  

Mehr Personal, mehr KI, weniger Bargeld

Und das Personal und die Sachmittel sollte sie dann intelligent einsetzen. Die Fakten sind eindeutig: Bei Großunternehmen wurden im Jahr 2023 rund 7,8 Milliarden Euro an Steuern nachgefordert – das entspricht über 70 Prozent aller Mehreinnahmen durch Betriebsprüfungen. Auch bei Einkommensmillionären liegt der durchschnittliche Mehrertrag pro Prüfung bei über 300.000 Euro; es ist richtig, sich diese Gruppe genauer anzusehen. Aber nicht als Generalverdacht, sondern wenn Fachleute für internationale Steuerstrukturen, Kapitalerträge, Kryptowährungen und digitale Geschäftsmodelle auf konkrete Verdachtsfälle stoßen. 

Gleichzeitig muss die Digitalisierung der Finanzverwaltung vorangetrieben werden. KI-gestützte Risikoprofile können helfen, Prüfungen dort anzusetzen, wo das Risiko für Steuervermeidung am höchsten ist. Und nicht zuletzt sollte Deutschland endlich den Bargeldverkehr begrenzen. Eine Obergrenze – wie sie in vielen EU-Staaten längst üblich ist – würde Geldwäsche und Steuerhinterziehung deutlich erschweren. 

Die schwarz-rote Koalition hat im Koalitionsvertrag 2025 durchaus ambitionierte Pläne formuliert: eine Verschärfung der Vermögensabschöpfung, eine Beweislastumkehr bei unklarer Vermögensherkunft und ein "Follow-the-Money"-Ansatz zur Bekämpfung von Geldwäsche. Das klingt gut – und ist in Teilen überfällig. Doch es bleibt die Frage, ob diese Maßnahmen auch konsequent umgesetzt werden oder ob sie im Verwaltungsalltag versanden. Denn die Union ist eher nicht für politische Durchsetzungsstärke bekannt, wenn es darum geht, die ökonomische Elite stärker zu kontrollieren. 

Steuergerechtigkeit ist kein technisches Problem – sie ist eine Frage des politischen Willens. Wer es ernst meint mit dem Kampf gegen Steuervermeidung und Finanzkriminalität, muss dort ansetzen, wo das Geld ist – bei den großen Vermögen, den internationalen Konzernen und den komplexen Finanzstrukturen. Und er muss bereit sein, in die Menschen zu investieren, die diesen Kampf führen: die Steuerprüferinnen und Steuerprüfer in den Finanzämtern. Denn eines ist sicher: Jeder Euro, der in eine gute Steuerprüfung investiert wird, kommt mehrfach zurück. Es ist Zeit, dass wir uns das leisten. Nicht nur aus fiskalischer Vernunft, sondern aus Respekt vor all jenen, die ehrlich ihre Steuern zahlen.