Wo China die Konkurrenz abhängt

"Der Nahe Osten hat Öl, wir haben Seltene Erden": Chinas legendärer Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping soll bereits 1987 gewusst haben, wo die Volksrepublik strategisch investieren müsste. Gezielt hat China seit den 1980er-Jahren auf die Verarbeitung und den Export der Mineralien gesetzt, ohne die weder Smartphones noch Raketen, Elektroautos oder Windräder funktionieren. Heute kontrolliert China gut 60 Prozent des Abbaus (siehe Grafik) und 90 Prozent der globalen Verarbeitung Seltener Erden. Im Handelsstreit mit den USA sind sie zu einem entscheidenden Hebel geworden, mit dem sich Chinas Führung gegen Trumps hohe Einfuhrzölle stemmt.

Seltene Erden sind nur ein, wenn auch das bekannteste Beispiel, wie China gezielt Märkte identifiziert hat, in denen es Führerschaft auf dem Weltmarkt erreichen will. Im Jahr 2015 verabschiedete die Regierung das Projekt Made in China 2025, um China zu einem eigenständigen Hightech-Produzenten zu machen. Es bedeutete auch das Ende für Chinas Rolle als verlängerte Werkbank internationaler Konzerne, mit günstigen Arbeitskräften. Seither gingen Milliardeninvestitionen in Sektoren wie die Informationstechnologie, die E-Mobilität oder die Medizintechnik. China ist längst in zahlreichen Bereichen Weltmarktführer. Wir zeigen exemplarisch fünf Kategorien:

Antibiotika

Welche dramatischen Folgen Abhängigkeiten im Bereich Pharma haben können, zeigte sich 2022 während der Coronakrise: Wegen der Abschottung Chinas im Zuge der strengen Null-Covid-Politik wurden weniger Wirkstoffe für Antibiotika produziert. In der Folge wurden in den USA und Europa Wirkstoffe wie Amoxicillin plötzlich knapp.

Chinesische Hersteller dominieren den Weltmarkt bei lebenswichtigen Antibiotika. Chinas Pharmaindustrie hat sich seit Anfang der 2000er-Jahre darauf fokussiert, einfache Wirk- und Ausgangsstoffe, die in Generika verwendet werden, in großen Mengen herzustellen. Auch Antibiotika sind heute hauptsächlich Generika, also Medikamente, die nicht durch Patente geschützt sind. Viele Generika werden zwar in Indien hergestellt – doch dessen Unternehmen sind abhängig von den Vorprodukten aus der Volksrepublik.

Pharmafirmen in China profitieren im internationalen Vergleich von niedrigen Lohnkosten und Umweltstandards, zudem erhalten sie Subventionen. In westlichen Industrieländern haben die meisten Hersteller generischer Antibiotika ihre heimischen Produktionsbetriebe inzwischen geschlossen – sie sind einfach nicht rentabel. Die Folge ist, dass bei einem zentralen Wirkstoff wie Amoxicillin, der weltweit gegen Lungen- und Halsentzündungen eingesetzt wird, chinesische Hersteller aktuell 80 Prozent der benötigten Rohstoffe kontrollieren.

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Lithiumbatterien

China ist heute der größte E-Autoproduzent der Welt, was besonders daran liegt, dass das Land am günstigsten die benötigten Lithium-Ionen-Batterien herstellt. Das Land kontrolliert nicht nur den Großteil der Zellfertigung, sondern auch die chemische Produktion und die Verarbeitung der Rohstoffe. Mehr als 70 Prozent der weltweiten Batterieproduktion stammen inzwischen aus chinesischen Werken. Graphit, ein zentraler Baustein in jeder Batterieanode, wird zu mehr als 90 Prozent in China raffiniert.

Die Entwicklung der Elektromobilität wird in China staatlich gefördert – und so haben sich zahlreiche Batteriefirmen einen technischen Vorsprung erarbeiten können. Doch die Entwicklung hat eine Kehrseite, mittlerweile werden zu viele E-Autos von zu vielen Unternehmen gebaut. Dafür reicht selbst in China die Nachfrage nicht mehr aus. Also müssen die Hersteller die Preise senken, was wiederum bedeutet, dass die Gewinnmargen sinken. Noch mehr E-Autos gehen in den Export, große Autohersteller wie BYD, aber auch Batteriefabrikanten wie CATL drängen mit niedrigen Preisen auf die Weltmärkte. 

Der Verdrängungswettbewerb in China hat inzwischen zahlreiche Unternehmenspleiten zur Folge. "Von 300 Start-ups existieren heute nur noch 50", behauptet He Xiaopeng. Der CEO des Autoherstellers Xpeng sieht keine Linderung. Von den 50 dürften sich seiner Ansicht nach mittelfristig nur sieben behaupten können. 

Ein extrem schnelles Wachstum gibt es auch bei den neuen Lithium-Eisenphosphat-Batterien (LFP). Sie unterscheiden sich in der chemischen Zusammensetzung von Lithium-Ionen-Batterien, was sie sicherer und langlebiger machen soll. Fast die Hälfte aller im Jahr 2024 verbauten E-Auto-Batterien sind vom LFP-Typ, 80 Prozent davon wurden in China hergestellt. Noch ist offen, ob sich diese Technologie langfristig durchsetzen kann.

Die internationale Konkurrenz der Chinesen gibt allerdings auch kein gutes Bild ab. Unternehmen wie der schwedische Batteriehersteller Northvolt sind bankrott. Auch der noch dominante EU-Marktanteil südkoreanischer Unternehmen wie LG Energy Solution soll in den nächsten fünf Jahren um 65 Prozent schrumpfen. 

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Stahl

Chinesische Unternehmen dominieren seit Jahrzehnten die globale Stahlproduktion. Bereits 1996 löste das Land Japan als weltweit größten Hersteller ab. Heute stellen Betriebe in China mehr als die Hälfte des weltweiten Rohstahls her, rund eine Milliarde Tonnen waren es 2023. Es folgen Indien mit gerade mal rund 140 Millionen Tonnen, dann Japan (87), die USA (81) und Russland (76). Nach Angaben des Industrieverbandes World Steel Association kamen vergangenes Jahr allein 27 der 50 größten Hersteller aus China. Die Baowu-Gruppe, ein Staatsunternehmen, ist unangefochtener Weltmarktführer, sie hat einen doppelt so hohen Output wie der zweitplatzierte, multinationale ArcelorMittal-Konzern. Großproduzenten kommen auch aus Südkorea, Japan und Indien – der größte Hersteller aus Deutschland, Thyssenkrupp, rangiert gerade mal auf Platz 42. 

Chinas Aufstieg vom Agrarland zu einer wirtschaftlichen Großmacht wäre ohne die heimische Stahlbranche nicht möglich gewesen. Der Wirtschaftsboom in den 1980er-Jahren wurde vor allem getragen von einem rasanten, staatlich geförderten Ausbau von Infrastruktur wie Brücken oder Eisenbahnen und dem massenhaften Bau von Wohn- und Geschäftshäusern, um das Land zu urbanisieren. Beides Sektoren, die viel Stahl verbrauchen. 

Inzwischen aber gerät der Ausbau der Infrastruktur an seine natürlichen Grenzen. Zudem ist vor zwei Jahren Chinas Immobilienmarkt zusammengebrochen. Die Folge: Die Stahlexporte Chinas steigen auffällig an. Über 90 Millionen Tonnen waren es 2023, ein Plus von mehr als 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Überproduktion dieses ohnehin stark subventionierten Sektors landet zunehmend im Export. Ein weiterer Grund, warum die EU und viele Staaten Zollschranken gegen Billigstahl aus China erheben – zumal die USA durch Zölle ebenfalls als Absatzmarkt immer unattraktiver werden.

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Schiffsbau

Der Schiffsbau ist zwar seit vielen Jahrzehnten eine Domäne Ostasiens, war aber lange nicht in fester Hand Chinas. Früher waren die größten und führenden Werften Unternehmen aus Japan, später dann Südkorea. 2002 formulierte der damalige Ministerpräsident Zhu Rongji die Ambitionen Chinas, indem er erklärte, dass "China die Hoffnung hat, das größte Schiffsbauland der Welt zu werden". Er wies chinesische Regierungsbehörden an, "die Entwicklung der Schiffbauindustrie zu unterstützen". 

Inzwischen hat China sein Ziel erreicht. Eine Untersuchung der US-Handelsbeauftragten (USTR) vom vergangenen Januar ergab, dass Chinas Anteil an der 150 Milliarden Dollar schweren weltweiten Schiffsbauindustrie von rund fünf Prozent im Jahr 2000 auf mehr als 50 Prozent im Jahr 2023 gestiegen ist, größtenteils dank staatlicher Subventionen. Ob Containerschiffe, Tanker und Schüttgut: China baut fast alle Kategorien – nur Kreuzfahrtschiffe sind noch fest in der Hand europäischer Werften. 

Auch im Reedereigeschäft kommt man an China nicht vorbei. 2016 schlossen sich zwei staatliche Reedereien zu Cosco zusammen, so entstand die größte Reederei der Welt, wenn man die Zahl der Schiffe betrachtet (mehr als 1.500). Cosco gehören außerdem weltweit Anteile an Containerterminals wie in Hamburg und am Hafen von Piräus in Griechenland. China habe sich so den Zugriff auf eine gesamte Logistikkette gesichert, wie es im US-Handelsbericht heißt: Der internationale Handel würde heute auf Schiffen durchgeführt, "die in China gebaut, von staatlichen chinesischen Institutionen finanziert, chinesischen Reedereien gehören und von einer globalen See- und Logistikinfrastruktur abhängig sind, die zunehmend von China dominiert wird".

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Windräder

Chinas Windkraftindustrie bricht Jahr für Jahr Rekorde. Allein im vergangenen Jahr fügte sie rund 80 Gigawatt an neuer Windkraftleistung hinzu, das sind rund zwei Drittel des jährlichen Zubaus weltweit. Doch die Ambitionen sind größer, Chinas Windkonzerne suchen die internationale Expansion. Firmen wie Goldwind gehören heute zu den größten Herstellern der Welt, das Unternehmen hat in Brasilien bereits Werke eröffnet. Ein weiterer Hersteller, Envision, realisierte im vergangenen Jahr mit Projekten in acht internationalen Märkten das bislang größte Auslandsgeschäft der chinesischen Windkraftbranche. Chinesische Konzerne bauen in Kasachstan, produzieren in Indien und kooperieren mit Südkorea und Italien. Angesichts des Klimawandels setzt das Land darauf, ein entscheidender Player beim Ausbau erneuerbarer Energien zu sein.

Europa war bislang in der Lage, sich auf die eigene Herstellung zu verlassen. Nach Informationen des Bundesverbands Windenergie (BWE) dominieren fünf europäische Hersteller den Markt. Aber der Verband warnt, dass ähnliche Fehler gemacht werden könnten wie in der Solarbranche vor 15 Jahren. Heute ist China der unangefochtene Marktführer für Fotovoltaik in Europa und weltweit. Chinesische Firmen setzten sich dank niedriger Produktionskosten im internationalen Wettbewerb weltweit durch. Tatsächlich lässt sich ein Vorstoß Chinas auf den europäischen Markt erkennen: In Ländern wie Serbien, Frankreich, Italien, Schweden und Kroatien stehen schon erste chinesische Turbinen.

Insgesamt wurden in Europa bereits 2,7 Gigawatt chinesische Windturbinen bestellt, die meisten davon in den vergangenen zwei Jahren. Laut dem Bundesverband Windenergie (BWE) setzen chinesische Hersteller die Europäer stark unter Druck: Sie sind nicht nur bis zu 50 Prozent günstiger, sie liefern auch genauso schnell, bieten großzügige Zahlungsfristen und haben einen Staat im Rücken, der sie strategisch unterstützt.

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