Auch Friedrich Merz wird jetzt zum Klimaschutz verpflichtet

Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock zu Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich seiner oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und Lesern der ZEIT. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem Artikel auf Leserkommentare. Diskutieren Sie mit!

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat einen Donnerschlag hingelegt. Als eine Art Weltverfassungsgericht interpretiert er das Pariser Klimaabkommen und die Menschenrechte so, dass die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Temperaturniveau begrenzt werden muss. Also nicht auf zwei Grad, wie es in der Politik noch heißt. 

Wie kürzlich mit den neuesten Klimadaten vorgerechnet, bedeuten 1,5 Grad faktisch, dass Deutschland – das ein Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert – sein Klimagasbudget inzwischen aufgebraucht hat. Deutschland müsste also jetzt klimaneutral sein, nicht 2045 und erst recht nicht noch später, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz und die Union immer wieder suggerieren.

Das bedeutet, dass die neue Bundesregierung und auch die EU-Kommission maximalen Gegenwind bekommen, wollten sie es zuletzt doch eher etwas geruhsamer angehen lassen mit Umwelt- und Klimathemen. Viel Rückenwind erhalten dagegen die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) liegenden weiteren Klimaklagen, welche die zu laschen deutschen und EU-Klimaziele ins Visier nehmen. 

Auch Folgen für den Schutz der Biodiversität

Mittelbar wirkt sich das IGH-Gutachten auch auf Klagen zu anderen Umweltproblemen wie dem Biodiversitätsverlust aus. Dort sind die planetaren Grenzen – also die Grenzen dessen, was für menschliches Leben auf der Erde auf Dauer noch tragfähig ist – nach einhelliger naturwissenschaftlicher Auffassung sogar noch deutlicher überschritten als beim Klimawandel. Zudem verweist der IGH zutreffend darauf, dass Klimawandel und Naturzerstörung sich gegenseitig befeuern – und dass es völkerrechtlich neben Klimazielen eben auch Ziele für den Erhalt der Biodiversität gibt.

Ebenfalls revolutionär ist: Da der IGH seine Einschätzung nicht nur aus dem Pariser Abkommen, sondern auch aus dem Völkergewohnheitsrecht und den Menschenrechten herleitet, nützt US-Präsident Donald Trump auch sein Austritt aus dem Parisabkommen nichts. Die USA müssen trotzdem kurzfristig aus den fossilen Brennstoffen aussteigen – also genau das Gegenteil von dem, was die US-Regierung derzeit will. Und da kommt gleich die nächste Revolution: Wer keine Lust hat, sich an all das zu halten, muss die Schäden des Klimawandels in ärmeren Ländern kompensieren, die künftig vor dem IGH genau das einklagen können. Es geht potenziell um dreistellige Milliardenbeträge. Schon weitere Genehmigungen für die Erschließung neuer fossiler Quellen wie auch fossile Subventionen wertet das Gericht dabei als schuldhaftes Verhalten.

Milliardenschwere Klagen sind wahrscheinlich

Auf dieser Basis sind zeitnahe Klagen gerade von Ländern des Globalen Südens gegen die Industriestaaten wahrscheinlich. Sie könnten nun auf Kompensation ihrer schon heute massiven Klimaschäden pochen, und zwar in Höhe des Anteils, den der jeweilige Industriestaat an den historischen Klimaemissionen hat. Im Fall von Deutschland wären das etwa knapp fünf Prozent. Dabei käme es dann zu Urteile – und die sind, anders als ein Gutachten, direkt bindend. 

Allerdings muss beim IGH dann der Nachweis geführt werden, dass die Schäden, beispielsweise durch Hochwasser, wirklich Klimawandelfolgeschäden sind. Das wird zu intensiven Debatten führen. Was aber klar ist: Alle Staaten dieser Welt, die das Klimathema weiter so schleifen lassen wie bisher, gehen ab sofort ein hohes Risiko ein. Wohlgemerkt werden IGH-Urteile bisher von den Staaten weltweit meist beachtet, auch von autoritären Staaten. Ausnahmen waren in der Vergangenheit allerdings oft die USA, China, Russland und Israel. Und genau das ist auch die Schwachstelle dieses jüngsten Donnerschlags: Die USA unter einer Regierung Trump werden die Einschätzung ignorieren, weil sie die Zuständigkeit des IGH nicht anerkennen.

Und das IGH-Gutachten hat weitere Lücken. Die Tierhaltung als zweite große Emissionsquelle neben den fossilen Brennstoffen bleibt etwa unerwähnt. Auch sie muss zeitnah stark reduziert werden. Eine weitere große Auslassung: Der IGH thematisiert nicht, dass ein zeitnaher Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen auch für den Weltfrieden ein massiver Schritt nach vorn wäre, finanzieren sich aggressive Staaten wie Russland doch maßgeblich aus dem Verkauf von Öl und Gas.

Die Rechte zukünftiger Generationen

IGH und BVerfG übersehen keinesfalls, dass in Demokratien die richtige Klimapolitik zunächst einmal die Sache gewählter Politiker und Politikerinnen ist. Doch weltweit gibt es kein Parlament und keine Weltregierung. Und auch innerstaatlich oder innerhalb der EU gilt: Missachten Parlamente und Regierungen bestimmte Grenzen ihrer politischen Spielräume, gerade gegenüber künftigen Generationen, die oft keine Stimme im gegenwartsfixierten politischen Diskurs haben, kann man sie vor einem Verfassungsgericht verklagen – auch wegen zu wenig Klimaschutz.

Der IGH geht mit seiner Einschätzung nicht den Umweg wie das BVerfG, den grundrechtlichen Klimaschutz darüber zu rechtfertigen, dass ein verschlafener Klimaschutz später zu einem freiheitsfeindlichen überstürzten Klimaschutz führe. Im Gegenteil: Der IGH verweist darauf, dass der Klimawandel – und nicht die verspätete Klimapolitik – die eigentliche Gefahr für die Freiheit aller ist. Denn ohne Leben, Gesundheit und Existenzminimum gibt es keine Freiheit.