Das Pflichtjahr für Babyboomer ist eine Chance für alle

Mein Vorschlag eines Pflichtjahres für Rentnerinnen und Rentner, insbesondere für die Babyboomer-Generation, hat heftige Kritik ausgelöst. Viele empören sich angesichts der Idee, ältere Menschen nach Eintritt in den Ruhestand noch einmal verpflichtend in den Dienst der Gesellschaft zu stellen – etwa in sozialen Einrichtungen oder bei der Bundeswehr. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Es geht nicht um Strafe, sondern um die Chance, den Generationenvertrag gemeinsam zu erneuern.

Dabei ist wichtig zu betonen: Viele Ältere haben bereits einen großen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet – sei es durch Wehr- oder Zivildienst, jahrzehntelanges Arbeiten, ehrenamtliches Engagement, die Betreuung von Kindern und Enkelkindern oder die Pflege von Angehörigen. All das verdient Anerkennung und Respekt. In Anbetracht der wachsenden Belastungen für die jüngeren Generationen brauchen wir aber kreative Wege, Verantwortung gerechter zu verteilen.

Einige wollen angesichts des Ukrainekriegs die Wehrpflicht wieder einführen. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor einiger Zeit die Diskussion über ein verpflichtendes soziales Jahr neu entfacht. Beide Vorstöße zielen auf die junge Generation und wurden von vielen Politikerinnen und Politikern unterstützt. Doch ein Pflichtjahr für junge Menschen ist der falsche Ansatz. Es würde ihre Bildungswege verlängern, ihren Start ins Berufsleben verzögern und damit uns allen wirtschaftlich schaden. Es lässt zudem außer Acht, dass viele Ältere Fähigkeiten, Zeit und Lebenserfahrung einbringen können – und oft auch wollen.

Die Illusion von Solidarität

Der Vorschlag eines Pflichtjahres ist Ausdruck einer tieferen Krise: der zunehmenden sozialen Polarisierung. Auf dem Papier beruht der Generationenvertrag auf Gegenseitigkeit: Die Jungen finanzieren die Rente, Pflege und Gesundheit der Älteren, während diese die Grundlagen für eine bessere Zukunft der nächsten Generation schaffen. Doch in der Realität ist dieser Vertrag längst einseitig. Wir leben in einer Illusion von Solidarität.

Die Babyboomer hinterlassen ihren Kindern und Enkelkindern eine Welt, die in vielerlei Hinsicht schlechter dasteht als zuvor. Politisch hat man nach 1990 die Friedensdividende verspielt, die militärische Abhängigkeit von den USA verstärkt und autokratische Regime wie Russland und China durch kurzsichtigen Merkantilismus gestärkt. Ökologisch verschlief man die notwendige Transformation, weil kurzfristige Profite wichtiger erschienen als Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und gesellschaftlich beharrte man auf ein Familienmodell, ohne in eine moderne Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur zu investieren.

Gleichzeitig wurden Spitzenverdienende und Vermögende – oft Babyboomer – nicht stärker an der Finanzierung gemeinschaftlicher Aufgaben beteiligt. Stattdessen wurde die Schuldenbremse zementiert, die Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz massiv erschwert hat.

Heute sollen junge Menschen mehr arbeiten, länger zahlen und zugleich mit weniger Sicherheit und Perspektiven leben. Die jüngste Rentengarantie der Bundesregierung verstärkt die Umverteilung von Jung zu Alt noch einmal. Gleichzeitig erwarten viele Babyboomer, dass ihre eigene Rente weiter mit den Löhnen steigt und ihr Renteneintritt nicht später erfolgt.

Die Folge ist eine massive Schieflage. 84 Prozent der Menschen sind überzeugt, dass es künftigen Generationen schlechter gehen wird. Angesichts dessen wirkt die Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr für junge Menschen nicht nur unangemessen, sondern geradezu zynisch. Ein solcher Zwang würde ausgerechnet diejenigen belasten, die ohnehin schon die Hauptlast der Fehler der Vergangenheit schultern müssen. Er würde ihnen zusätzliche Bürden aufladen, statt sie zu entlasten.