Von der Realität zurechtgestutzt
Katherina Reiche beginnt ihre Reden gerne mal mit einem Seitenhieb gegen ihre Kritiker. Am Montag, als die Wirtschaftsministerin den lang erwarteten Monitoring-Bericht zum Stand der Energiewende vorstellte, ging es gegen "all jene, die sich im Vorfeld ja so sicher waren, was sie zu hören bekommen", wie Reiche sagte. Und ihr Blick schien zu ergänzen: Ihr hattet Unrecht, werdet ihr gleich sehen.
Das Ökolager, Energieexperten und selbst der Koalitionspartner SPD haben mit großem Unbehagen den Tag erwartet, an dem Reiche die Energiewende neu vermessen würde. Radikale Einschnitte bei den Erneuerbaren hatten sie befürchtet, einen großen Schaden für den Kampf gegen den Klimawandel. All das fußte aber nicht auf einer Freude an bösen Unterstellungen: Seit ihrem Amtsantritt hat die Wirtschaftsministerin selbst jede Gelegenheit genutzt, um das Zerrbild vom ungezügelten Ausbau der Ökoenergie zu zeichnen und die hochsubventionierten Wind- und Solarparks zum Problem zu erklären. Sie hat Gas und Kosteneffizienz in den Fokus gerückt und sämtliche staatliche Förderung infrage gestellt. Nicht bloß Umweltaktivisten erinnern sich mit Schrecken an ihren Auftritt beim Tag der Industrie im Juni, als Reiche so zu verstehen war, dass sie sogar am Klimaziel 2045 rütteln will.
Nun, Reiche hatte es ja selbst gespoilert: Was am Montag von den Studienautoren vorgelegt wurde, klang weniger nach einer Neuausrichtung der Energiepolitik als nach einem Weiter so mit einigen Nachbesserungen. Das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren beim Strom im Jahr 2030 unterstützen die Autoren, und sie halten es sogar für erreichbar. Man sei "on track" (also auf Kurs) bei den Ausbauzielen, lediglich die Kosten habe "man ein bisschen aus den Augen verloren". Hier und da sei es nötig, nachzujustieren, denn der Stromverbrauch sei in den kommenden Jahren geringer als bislang angenommen (etwa weil es derzeit weniger Wärmepumpen und E-Autos gibt als gedacht und die Industriebetriebe auch nicht so schnell auf Strom umstellen), eine bessere Koordination von Netzen und Kraftwerken sei nötig und natürlich, wie überall: mehr Digitalisierung.
Aus technischen Fragen wurde eine politische Grundsatzdiskussion
Eine Empfehlung für eine völlige Neuausrichtung der Energiepolitik ließ sich daraus beim besten Willen nicht ableiten. Und so klangen Reiches Schlussfolgerungen dann auch stellenweise wie in Watte gepackt. Selbstverständlich stehe man zu den Klimazielen und selbstverständlich müsse der Ausbau der Erneuerbaren vorangehen. Und vieles blieb vage, etwa von welchem Strombedarf die Regierung denn nun konkret ausgeht. Einzig bei den Offshore-Windparks wurde die CDU-Ministerin konkreter, da nehme man das Tempo raus. Das aber war ohnehin schon abzusehen. Zuletzt waren viele ausgeschriebene Flächen auf wenig Interesse bei Investoren gestoßen. Der Grund: Langsam wird es in Nord- und Ostsee eng auf den für Windparks ausgewiesenen Flächen, sodass sich die Windräder gegenseitig blockieren. Der Wind kommt dann bei einigen abgeschwächt an – also sinken die Erträge. Verschattung nennen das Fachleute.
Und so manches Vorhaben wird Reiche jetzt wohl noch einmal überdenken. Etwa ihren Plan, 40 neue Gaskraftwerke zu bauen. Als sie ihr Konzept im Frühjahr vorstellte, klang sie noch so, als wollte sie sich möglichst von ihrem Vorgänger, dem Grünen-Politiker Robert Habeck, absetzen. Der wollte Gaskraftwerke, die sich später auf klimafreundlichen Wasserstoff umstellen ließen. Reiche hingegen zählte auf herkömmliche Gaskraftwerke, bei denen das Kohlendioxid mittels der sogenannten CCS-Technologie abgefangen werden sollte. Ein Vorhaben, das Experten und selbst die Hersteller für viel zu teuer halten. Am Montag sprach auch Reiche plötzlich nur noch von wasserstofffähigen Gaskraftwerken (wenn auch im Strategiepapier des Ministeriums zum Monitoring-Bericht noch von CCS die Rede ist).
Es sind überwiegend die Subventionen, bei denen Reiche sich deutlich von der bisherigen Energiepolitik absetzen will – und das kann, wie von ihren Kritikern befürchtet, dann durchaus einen Unterschied machen und den Ausbau von Wind- und Solarparks verlangsamen. Geht es nach Reiche, dann sollen Eigenheimbesitzer keine Förderung mehr für neue PV-Anlagen bekommen, auch Windparks sollen sich künftig selbst finanzieren, die staatliche Einspeisevergütung (EEG-Förderung) will Reiche abschaffen. Zwar betonten die Studienautoren ebenfalls, dass Eigenheimbesitzer ihre PV-Anlagen künftig auch selbst, also ohne Förderung, vermarkten können. Allerdings verwiesen sie auch auf einen zuletzt langsamer gewordenen Solar-Ausbau. Dieses Problem könnte sich mit einem Wegfall der EEG-Förderung verschärfen, es dürfte für viel Unsicherheit sorgen. Privatleute können so schwer abschätzen, ob sich eine Anlage noch lohnt.
Es stimmt: Jene, die sich in den vergangenen Monaten sicher waren, was der Monitoring-Bericht bringen würde, lagen in Teilen falsch. Aber das sagt weniger über die Kritiker aus als über Reiche, die mit ihren Aussagen Befürchtungen schürte und die Stoßrichtung der Debatte vorgab. Aus technischen Fragen wurde so über die Sommermonate eine politische Grundsatzdiskussion. Dafür aber eignet sich gerade die Energiepolitik nicht. Der Bericht hat aus einer aufgeblasenen Diskussion die Luft gelassen. Nun muss ihn Reiche, wie angekündigt, zur Grundlage ihrer Politik machen.