Was ist wichtiger: Sicherheit oder bezahlbare Wohnungen?

Jahrelang hat Claudia Warnecke zusammen mit einem Team der Stadt Paderborn auf den Kauf der Dempsey-Kaserne hingearbeitet. "Wir waren mit dem Bund praktisch am Ende der Verhandlungen. Der Vertrag war so gut wie unterschriftsreif", erzählt Warnecke, Beigeordnete für Stadtentwicklung und Bauen in der nordrhein-westfälischen Stadt. Es fehlten nur noch kleine Details.

Doch dann kam die überraschende Nachricht aus Berlin: Verkaufsstopp.

Nach den Plänen der Stadt Paderborn soll auf dem rund 20 Hektar großen Gelände ein Quartier mit rund 300 Wohnungen entstehen. Dazu eine Kita und Flächen für Kleingewerbe. Doch nun liegt das Vorhaben vorerst auf Eis. "Wenn man so viel Arbeit reingesteckt hat und dann alles in der Schwebe hängt, ist das bitter", sagt Warnecke am Telefon. Sicher, es könne bei solchen Großprojekten immer etwas dazwischenkommen. Doch mit einem Moratorium aus Berlin habe niemand gerechnet.

Überraschende Kehrtwende

Das Verteidigungsministerium hat Anfang dieser Woche überraschend die Umwandlung von 200 Militärstandorten in ganz Deutschland ausgesetzt. Nicht nur in Paderborn, auch in anderen Kommunen sollen Flächen, die längst für neue Wohnungen verplant waren, plötzlich vorerst doch nicht abgegeben werden. Weil die Bundeswehr wachsen soll, ist der Bedarf an Liegenschaften inzwischen größer als noch vor einigen Jahren. Alle Standorte sollen der sogenannten "strategischen Liegenschaftsreserve der Bundeswehr" zugeführt werden.

Mit seiner Entscheidung heizt das Verteidigungsministerium den Konflikt um bezahlbaren Wohnraum weiter an. Das nachvollziehbare Ziel des Ministeriums, angesichts der Sicherheitslage die kostbaren Flächen für den Eigenbedarf zu behalten, trifft auf das Ziel vieler Kommunen, günstigen Wohnraum schaffen zu wollen. "Wir sind uns der Tragweite der Entscheidung sehr bewusst und wissen, dass in vielen Fällen bereits Planungen bestehen, betroffene Flächen zivil zu nutzen", sagt Nils Hilmer, Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Wo immer dies möglich sei, werde man versuchen, auch bestehende zivile Planungen zu berücksichtigen.

Auf der Liste der betroffenen Standorte stehen unter anderem der bayerische Fliegerhorst Erding sowie die Rheinliegenschaft in Koblenz. Auch Teile des früheren Berliner Flughafen Tegel sind betroffen, wo eine Flüchtlingsunterkunft geplant war, sowie ein Flugplatz auf Sylt. Umwandlungspläne, um Wohnraum zu schaffen, gab es unter anderem auch in Gütersloh für mehrere Kasernen.

Noch ist unklar, wie viel zusätzlicher Wohnraum bundesweit auf dem Spiel steht. Doch die bisher bekannten Fälle legen nahe, dass es wohl mindestens um Tausende neue Wohnungen geht. Beim Deutschen Städtetag versucht man sich aktuell einen Überblick über das Ausmaß zu verschaffen. Schon jetzt ist für den Verband klar: "Der vom Bund ausgesprochene Umwandlungsstopp ist für die betroffenen Kommunen eine riesige Herausforderung", sagt Geschäftsführer Christian Schuchardt. Denn in vielen Städten seien die Planungen schon weit fortgeschritten. Sie könnten nun umsonst gewesen sein.

"Glücksfall" für Paderborn

So etwa in Paderborn. Die Dempsey-Kaserne wurde frei, nachdem ein Großteil der britischen Streitkräfte vor rund zehn Jahren aus der Region abgezogen wurde. Zwei ehemalige Kasernen hat Paderborn seitdem vom Bund bereits erworben. Dort entstehen unter anderem Hunderte neue Wohnungen, ein Gründungszentrum für Start-ups der örtlichen Universität sowie ein sogenanntes Kreativwirtschaftsquartier. Wie viel Paderborn für die Kasernen bezahlt hat, ist nicht bekannt. Über den Kaufpreis sei mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die den Grundbesitz des Bundes verwaltet und die Verkäufe koordiniert, Stillschweigen vereinbart worden.

Die freigewordenen Flächen von insgesamt etwa 100 Hektar seien für Paderborn "ein Glücksfall" gewesen, sagt Warnecke, zumal sie wegen ihrer zentralen Lage besonders attraktiv waren. Die Dempsey-Kaserne liegt mitten im Stadtteil Schloss Neuhaus, gut erschlossen und angebunden ans Stadtzentrum. "Wenn eine Fläche dieser Größenordnung nun wegfällt oder sich die Fertigstellung des Projekts um Jahre verzögert, wäre das für Paderborn ein echtes Problem", sagt Warnecke.

Im benachbarten Bielefeld sind sogar gleich mehrere Standorte betroffen. Nach den Plänen der Stadt sollten auf dem Gelände der Rochdale-Kaserne 650 neue Wohnungen entstehen, auf dem Areal der Catterick-Kaserne noch einmal mehrere Hundert. Zusammen etwa 1.000 neue Wohnungen. Entsprechend aufgebracht sei die Stimmung im Stadtrat, berichtet Dominic Hallau, Co-Fraktionssprecher der Grünen. "Für viele Menschen in Bielefeld steht das Rochdale- und das Catterick-Areal für die Hoffnung auf bezahlbaren Wohnraum", sagt Hallau.