Jahr eins der Vergeltung
Es ist gefährlich geworden, in St. James aus dem Auto zu steigen und einfach irgendwo rumzulaufen. Man wird hier im Bundesstaat Louisiana, eineinhalb Autostunden von New Orleans entfernt, schnell dafür verhaftet und wirtschaftlich ruiniert. Besucher bewegen sich nämlich stets in der Nähe einer Pipeline oder einer Baustelle für eine Pipeline, allerorten führen Öl- und Gasleitungen von Ölterminals am Ufer zu Raffinerien im Inland, zu Industrieanlagen mit flackernden Gasfackeln obendrauf. Das Problem ist: Wenn einen die Anlagenbetreiber entdecken und den Besuch als störend einschätzen, drohen wegen neuer Gesetze Knast und Zwangsarbeit.
Mitten im Land der Meinungsfreiheit ist die Angst inzwischen so groß, dass Gegner dieser Politik nicht einmal mehr darüber sprechen wollen. Eine Informantin sagte wie etliche andere ein geplantes Treffen mit der ZEIT ab und schrieb: "Ich halte es für gefährlich, sich im aktuellen politischen Kontext in irgendeiner Form in den Medien zu äußern." Der "aktuelle politische Kontext", das ist die zweite Amtszeit von Donald Trump, die Anfang 2025 begann. Oder, wie es in Kreisen der amerikanischen Umweltbewegung heißt: das Jahr eins der Vergeltung.
Gleich nach seiner Vereidigung erließ Donald Trump ein Notstandsdekret, das die Ausweitung der heimischen Produktion von Kohle, Gas und Öl zur obersten Priorität machte. So ging es dann weiter: Er gab das Schutzgebiet Alaska Arctic Wildlife Refuge für Ölkonzerne frei, erst vergangene Woche wurden neue Förderplattformen vor den Küsten Floridas und Kaliforniens genehmigt. Trump kassierte grüne Energieprogramme seines Vorgängers Joe Biden, er machte einen Fracking-Unternehmer zum Energieminister und besetzte die Umweltbehörde EPA mit Lobbyisten der fossilen Brennstoffindustrie.
Breiter Rachefeldzug gegen lästige Umweltschützer
Auch in den Bundesstaaten, in denen viel Öl gefördert wird, bahnte sich schon zuvor ein breiter Rachefeldzug gegen lästige Umweltschützer an, der nun auch aus dem Weißen Haus unterstützt wird. In Louisiana etwa beschlossen die Volksvertreter schon 2024, dass bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams als "organisierte Kriminalität" geahndet werden können. Das gilt auch, wenn die Betroffenen lediglich an der Organisation eines solchen Protests beteiligt waren. Bei einer Verurteilung drohen bis zu 50 Jahre Haft mit schwerer körperlicher Arbeit und eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Dollar. In dem Bundesstaat gelten ohnehin schon seit August 2018 harte Strafen für Personen, die sich unerlaubt in der Nähe von Pipelines aufhalten. Deshalb will hier kaum jemand offen reden.
Die Entwicklung setzt nicht nur einzelne Menschen unter Druck, die sich gegen Interessen der fossilen Industrie stellen. Sogar dem US-Ableger der Umweltorganisation Greenpeace droht der wirtschaftliche Ruin und damit das Aus in den USA: Im Februar verurteilte ein Geschworenengericht in North Dakota – auch ein Bundesstaat, in dem Ölförderung eine der wichtigsten Branchen darstellt – Greenpeace dazu, mehr als 660 Millionen US-Dollar Schadensersatz zu zahlen, weil Greenpeace-Aktivisten sich gegenüber einem Pipeline-Betreiber des Hausfriedensbruchs, der Belästigung, Verschwörung und Verleumdung schuldig gemacht hätten. Inzwischen hat der Richter die Strafzahlung zwar halbiert, Greenpeace droht in den USA dennoch die Abwicklung, falls das Urteil Bestand hat. Die Entscheidung der Jury ist vorläufig, der Richter muss das Urteil noch bestätigen. Greenpeace erklärte, in Berufung gehen zu wollen.
Auch auf Bundesebene könnte ein Gesetz verabschiedet werden, das Pipelinegegner treffen soll. Ein republikanischer Senator hat es eingebracht: Es sieht vor, dass Einzelpersonen oder Organisationen, die sich an der Planung oder Umsetzung einer Protestaktion beteiligen, die als "Störung" angesehen wird, eine Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren und Hunderttausende Dollar Geldstrafe droht.