Weghoffen und wegnuscheln geht nicht mehr

"Denkt an die 1930er Jahre und wehret den Anfängen, also sprecht nicht mit Nazis!" Es ist das so valide wie ehrenwerte Argument, mit denen etliche Demokraten den Familienunternehmer-Verband hart dafür kritisieren, mittlerweile offiziell das Gespräch mit AfD-Politikern zu suchen. Und doch wirkt die Empörung in ihrer Absolutheit wohlfeil. Sie übersieht, dass es eine Realität in diesem Land gibt, in der rechtspopulistisches Gedankengut schon so stark ist, dass ein Ignorieren schlicht nicht möglich ist.  Zumindest dort muss man andere Umgangsformen finden. Der Vorstoß der Familienunternehmer ist zwar zu unpräzise. Aber er erzeugt eine womöglich hilfreiche Diskussion: Er legt rechtspopulistische Gedanken in der Wirtschaft offen, die bislang verdruckst übersehen worden sind – und schärft den Blick, wie man damit umgehen könnte.

Natürlich kann die Normalisierung einer Partei niemals richtig sein, die Spaltung zum Ziel hat, Menschen in Klassen einteilt und sich des guten Verhältnisses zum Kriegstreiber Putin rühmt. Jeder, der in Kontakt zur AfD tritt und dem am Wohl der Gesellschaft gelegen ist, muss das im Kopf behalten. Deswegen ist es gefährlich fahrlässig, wenn die Familienunternehmer eine Auseinandersetzung "jenseits von schlichten Kategorisierungen in gut und böse" suchen. Und doch muss das Sprechen mit den Gemäßigteren aus der Truppe nicht immer falsch sein, manchmal ist es sogar nötig. 

Wie etwa soll der Handwerker im Kreis Sonneberg argumentieren, wenn der vom AfD-Landrat geführte Kreistag einen Bauantrag von ihm diskutiert? Wie soll der Filialleiter eines Drogeriekonzerns handeln, wenn AfDler am Betriebsratstisch sitzen und mitbestimmen? Was wird eine Unternehmerin in Sachsen-Anhalt machen, wenn die Wahl dort im kommenden September böse ausgeht und ein dann womöglich AfD-geführtes Wirtschaftsministerium zur Anhörung lädt? 

Auch wenn es schwer vorstellbar ist und schwer zu ertragen: Es gibt Gegenden, da ist derzeit nicht mehr alles machbar, was wünschenswert ist und in westdeutschen Großstädten klappt. Nun handelt es sich bei einer Firma ohnehin nicht um eine politische Partei, sondern sie soll im Rahmen der Gesetze wirtschaften und das beinhaltet auch: Es geht in Ordnung, mit allen zugelassenen Parteien zu sprechen, wenn es sein muss – und ansonsten auf den Betriebsfrieden zu achten, sich dazu aus der Parteipolitik rauszuhalten. 

Für engagierte Geschäftsführer und Niederlassungsleiterinnen mag Vorbild sein, wie es manche Unternehmen im Osten jetzt schon handhaben. Mit AfD-Funktionären wird nur gesprochen, wenn es nötig ist – und nicht etwa des Bieres wegen auf lockeren Empfängen. Denn wie soll das helfen, diese Partei einzuhegen? Stattdessen wird mit der Belegschaft diskutiert, auch über Sorgen und Ängste, über vermeintliche Wahrheiten in sozialen Medien und das echte Leben. Wenn dazu Gäste eingeladen werden, schauen die Chefs genau hin, wer da kommen soll. Nicht aufs Parteibuch, da blieben viele draußen nach der üblichen Brandmauer-Definition, sondern auf die Verfassungstreue. Mitreden darf, wer eine persönliche Werte-Erklärung unterschreibt. Dazu gilt: Video-Mitschnitte sind meist untersagt – weil die später per Zusammenschnitt verunstaltet werden können. Klug, kontrolliert und mit Kenntnis – so machen es manche schon. Es sind Leitplanken, die dafür sorgen (und die den Familienunternehmern fehlen), dass solche Gespräche kaum zum Risiko für die Demokratie werden, höchstens zur Chance.

Etwa, wenn man über AfD-Ideen spricht. Wie wahrscheinlich ist es, dass die AfD Deutschland wirtschaftlich nach vorne bringt, obwohl sie der Technologie und Innovation in ihrem Wahlprogramm kein Kapitel widmet, während es – nur zum Beispiel – in Chinas neuestem Fünf-Jahresplan strategischer Schwerpunkt Nummer 1 ist? Wie will die AfD das Rentenniveau auf 70 Prozent hieven, wenn schon jetzt die Sozialausgaben aus dem Ruder laufen und die gegenwärtige Regierung ringt, ob überhaupt 48 Prozent bezahlbar sind? Was halten Familien von dem AfD-Plan, die Ganztagsbetreuung an Schulen einzuschränken? Was würde es bedeuten, wenn Deutschland, wie von der AfD gefordert, aus dem Euro austritt und zur D-Mark zurückkehrt – in einer Welt der Wirtschaftsgroßmächte? 

Wer spricht, kann seiner Belegschaft solche Widersprüche aufzeigen. Das Prinzip gilt übrigens auch in Bezug auf eine andere herausfordernde Klientel, die bislang oft weggehofft und weggenuschelt wurde: Führungskräfte, die der AfD zugetan sind. Tatsächlich findet man die Anhänger dieser Partei nicht mehr nur irgendwo am Rand. Es sind nicht allein freudlose Untergangsapologetinnen, die von Neonazi-Schluffis im abgelegenen Tal gewählt werden. Die AfD ist den Bürgern in der Mitte der Gesellschaft näher, als viele bislang dachten. Wer viel in Betrieben unterwegs ist, dem fallen solche Leute immer öfter auf, auch weil sie besonders irritieren: Schließlich ist das AfD-Wirtschaftsprogramm derart abstrus, dass kein ökonomisch verständiger Mensch irgendeinen Gefallen an dieser Partei finden kann. Aber um mathematische Plausibilität geht es da wohl auch weniger, sondern mehr um eine Erlöserfantasie: Eine schwarz-blaue Bundesregierung, die würde die Energiekosten senken, die Bürokratie abschaffen und die Konkurrenz aus China verschwinden lassen. 

Die sogenannte Brandmauer in der Wirtschaft abzubauen, indem man mit diesen Leuten redet, könnte sie ein Stück weit salonfähiger machen, das ist einerseits nicht gut. Doch für die Verteidigung der offenen Gesellschaft ist es doch auch hilfreich, wenn solche Gedanken und Kräfte offen zutage treten. Dann erst kann die Kraft der Demokratie wirken. Dann erst können konkurrierende Parteien, Zivilgesellschaft oder Medien über echte Probleme und falsche Träume sprechen. Dann erst können sie auch widersprechen, wenn es darauf ankommt. Und sie müssen es auch.