Mit BWL zur HAW-Professur – eine Professorin und ihr Weg
Die HAW-Professur verbindet Praxis und Lehre: Hier wird Expertise aus dem Berufsleben direkt in die Ausbildung von Studierenden eingebracht, mit regionalen Unternehmen zusammengearbeitet und gleichzeitig geforscht. Neben erster Lehrerfahrung und einer Promotion ist die Berufserfahrung außerhalb der Hochschulwelt eine der wichtigsten Voraussetzungen, um sich auf eine vakante HAW-Professur zu bewerben.
Die Wege zur HAW-Professur sind so vielfältig wie die Menschen selbst: Manche kommen aus der Forschung, andere haben freiberuflich oder als Angestellte in der Industrie gearbeitet und teils Führungserfahrung gesammelt. Gemeinsam ist ihnen der Wunsch, ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben und ihrer Karriere neuen Sinn zu verleihen.
Wie das gelingt, zeigt eine BWL-Professorin der Hochschule Rhein-Waal. Ihr Porträt beweist, eine HAW-Professur ist eine attraktive Option für alle, die mehr bewegen wollen als KPIs.
Vom Konzern in den Hörsaal – und ein bisschen zurück
Nach der Promotion führte der Weg von Franca Ruhwedel in die Welt der großen Zahlen: Im Bereich Corporate Mergers & Acquisitions bei thyssenkrupp war sie mittendrin in der Welt der Milliardendeals und Unternehmensfusionen. Ein anspruchsvolles Umfeld, spannend, fordernd – aber auch: recht hierarchisch und fremdbestimmt. "Ich habe dort unheimlich viel gelernt", sagt sie rückblickend, "aber irgendwann wollte ich raus aus dem Korsett des Konzerns."
Die Freude am Vermitteln, am Erklären komplexer Zusammenhänge, hatte schon zu Kindertagen ihren damaligen Berufswunsch als Lehrerin geprägt. Aus Englisch und Deutsch wurden Finance und Accounting, die sie heute als Professorin mit Begeisterung lehrt. "Ich liebe es, meinen Studierenden mitzugeben, dass Bilanzen mehr sind als ein trockenes Buchhalterthema. Sie erzählen Geschichten über Unternehmen – man muss nur wissen, wie man sie liest und die Zahlen mit Leben füllt."
Der erste Schritt raus aus dem Konzern führte sie an eine private Hochschule, bevor sie an der Hochschule Rhein-Waal ihre berufliche Heimat fand. Was sie dort besonders schätzt? Freiheit. "Ich kann selbst bestimmen, wo ich meine inhaltlichen Schwerpunkte setze." Die Arbeitsbelastung ist anspruchsvoll, aber die Arbeit im Team macht ihr Spaß und als Vorsitzende der Kommission für Lehre hat sie die Möglichkeit, die Entwicklung der Hochschule aktiv mitzugestalten. Dazu kommt zeitliche Flexibilität: "Als die Kinder klein waren, konnte ich nachmittags mit zum Kinderturnen. Heute fahre ich mit dem Rennrad um den See, wenn ich eine Pause brauche und arbeite dafür abends."
Eine HAW-Professur bietet Raum, die eigene Berufung zu finden – in der Lehre, in der Forschung oder in der Praxis. Ruhwedel selbst verkörpert den Praxisbezug, ist als Aufsichtsrätin tätig und über den Förderverein der Hochschule eng mit der regionalen Wirtschaft vernetzt. "Ein Bilanzierungsproblem unterrichtet sich einfach lebendiger, wenn man im Hinterkopf die Diskussion mit dem Wirtschaftsprüfer aus der letzten Woche hat", sagt sie mit einem Lächeln, das verrät: Hier spricht jemand, der seine Berufung gefunden hat.
Zu einer HAW-Professur gehört auch die Forschung, die heute längst nicht mehr nur den Universitäten überlassen wird. Internationale Publikationen und deren Präsentation auf Konferenzen weltweit: "Forschung an einer HAW ist oft anwendungsorientiert – aber deshalb nicht weniger anspruchsvoll. Gerade die Nähe zu Unternehmen ermöglicht es, relevante Fragen zu bearbeiten, die in der Praxis wirklich etwas bewegen."
Über Drittmittelprojekte, die von öffentlichen Institutionen oder privaten Unternehmen gefördert werden, lassen sich zudem nicht nur Forschungsfragen bearbeiten, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. "Wer Drittmittel einwirbt, kann Mitarbeiter*innen einstellen, die bei der Forschung, der Lehre oder in Projekten unterstützen. Das schafft Freiraum und erweitert die Wirkung der eigenen Arbeit enorm."
Wie unterschiedlich eine Professur ausgestaltet sein kann, hat Ruhwedel selbst erlebt. "An privaten Hochschulen ist der Anteil der administrativen Aufgaben, die durch die Verwaltung übernommen werden, deutlich höher; auch ist die akademische Selbstverwaltung im Vergleich reduziert – das entlastet zeitlich. Dafür gibt es oft weniger Gestaltungsspielraum bei den Inhalten." An staatlichen Hochschulen habe man in der Regel höhere Freiheitsgrade mit Blick auf Ausgestaltung der Module, Lehrformate und Kooperationen. "Am Ende ist der Unterschied im Alltag aber kleiner, als viele denken."
Wer selbst über eine Professur nachdenkt, dem rät sie zu einem klaren Blick auf den Dreiklang aus Forschung, Lehre und Praxis. "Man sollte für alle drei Bereiche eine echte Leidenschaft mitbringen – sonst wird man nicht glücklich." Für den Weg dorthin empfiehlt sie, frühzeitig Erfahrungen zu sammeln: "Ein Lehrauftrag an einer Hochschule ist Gold wert. Gute Evaluationen zeigen der Berufungskommission, dass man didaktisch überzeugt. Und wer einige Aufsätze veröffentlicht hat, beweist, dass auch im Forschungsbereich Ambitionen bestehen."
Auch das Ankommen in der Professur will gelernt sein. "Die ersten Jahre sind die härtesten", sagt Ruhwedel offen. "Man muss alle Lehrveranstaltungen neu aufbauen und gleichzeitig Forschung und Selbstverwaltung unter einen Hut bringen." Ihr Rat an Neuberufene: Gelassen bleiben. "Es muss nicht alles sofort perfekt sein. Studierende schätzen partizipative Formate viel mehr, als wenn man neunzig Minuten Folien vorliest. Formate wie der Flipped Classroom funktionieren hervorragend."
Ob sie sich wieder für diesen Weg entscheiden würde? "Jederzeit!", sagt Ruhwedel ohne Zögern. "Ich kann Wissen weitergeben, junge Menschen für Wirtschaft begeistern – und dabei selbst ständig lernen. Es gibt kaum einen Beruf, der so viel Freiheit und Sinn vereint."